vonDetlef Berentzen 05.05.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Vorsichtig tasteten seine Lippen nach ihren, suchten und fanden ihren Mund, kleine zärtliche Berührungen wuchsen zu einer unbekannten Leidenschaft heran. Als Ignaz ihre Zungenspitze spürte, glaubte er, etwas in ihm würde explodieren…

Als ich im letzten Jahr Anna Basener lesen hörte, dachte ich: Weiter geht’s nicht. Denn bei ihr ging’s doch schon ziemlich weit, meine Güte, all dies Triviale: heiße Lippen, scharfe Cowboys, impotente Fürsten, notgeile Ärzte, das muss man schon aushalten. Da konnte das so schwer gepilcherte ZDF nicht mehr mithalten. Frau Basener, höchst erfolgreiche Autorin traditioneller Groschenromane, trat mit ihren Werken in den Räumen des Kneipenkollektivs “Tante Horst” auf, las, collagierte, pikantierte und alle waren begeistert, nicht nur die röhrenden Hipster in ihren bunten Flanellhemden. Nein, in jedem von uns steckt ein triviales Monster. Irgendein verdammter Bergdoktor, der seine Herzklappen an irgendeine Heidi verliert, bevor er dann wieder zur Strafe seinen Camus lesen muß. Triviales entspannt, ist Schund, vielleicht, aber es entspannt, macht hemmungslos und wie gesagt, ich dachte damals, allein Anna Basener treibe die immergleiche herzzerfetzende Dramaturgie der Groschenhefte in orgiastische Höhen, aber da kannte ich “Schwester Cordula” noch nicht. Jetzt kenne ich die Dame und weiß: Da geht noch mehr.

rosabueckt

Schwester Cordula heisst eigentlich Saskia Kästner, ist zwar Schauspielerin und was für eine, aber doch eine Schwester (die ich im “BKA” am Berliner Mehringdamm erlebte), eine Krankenschwester, die all die Ärzte persönlich kennt, die in den gängigen Heftromanen unterwegs sind, nicht nur Bergdoktoren, auch Buschdoktoren, verliebte Herzklappenmonteure, all das und sie dreht und wendet ihre Figuren in einer wilden kabarettistischen Collage, gibt ihnen Ton, Laut und Farbe, erzählt sie an die Wand und wieder zurück und das an sich selbst irre gewordene Triviale packt uns, schmiert die Backen, bläst uns auf und da wächst Lachen, unbändiges Lachen und zwischendurch immer wieder dieser in heißem Zen gebadete Musiktherapeut mit seinem Akkordeon, Dirk Rave: intoniert die Szenen, spielt zwischen die Zeilen, gleitet cool über die Tasten, begleitet die Hitze dieser formidablen Schwester, die ihre schwer erhöhte Temperatur aus der Inszenierung jener Groschenromanen bezieht, die niemals ihren Weg aufs blaue Sofa finden werden. Was “Schwester Cordula” indes nicht weiter stört. Sie trivialisiert ihr Publikum bis zur Kenntlichkeit.  Ab morgen zum Beispiel in Mainz. Just click it.

Unterhaus Mainz

Homepage Schwester Cordula

Groschenromane (Hörfunk-Feature SWR2)

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