vonDetlef Berentzen 03.12.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Gestern im Roten Salon der Berliner Volksbühne: Verwegene Prosa, tönende Poesie, edler Faustkampf und Staunen darüber, wo Sprache hinführt. Wie sie uns vorführt, was weder ehern noch notwendig ist. Wie sie uns auch anarchisch verführt. Und uns final beatmet, weil das Leben viel leichter ist, wenn Cravan es erfindet. Und immer wieder der nächste verbale Knock Out – congenialisch und mit Mütze vorgetragen von Jörg Pohl (Thalia Theater). Dazu heisere musikalische Interventionen auf der elektrischen Gitarre: gewagte Vertonungen des gar nicht so stillen Kommandeurs HF Coltello. Das Ganze lächelnd inszeniert von Nautilus-Verlegerin Hanna Mittelstädt (s.Foto).

Als ich nach einer langen Periode schlimmster Faulheit fieberhaft davon träumte, wie ich sehr reich werden könnte (mein Gott! wie oft träumte ich davon!); als ich so beim Kapitel der ewigen Projekte war und der Gedanke mich allmählich erwärmte, unredlich zu Reichtum zu kommen, und zwar unerwarteterweise durch die Poesie – ich habe immer schon versucht, die Kunst als Mittel und nicht als Zweck zu betrachten –, sagte ich mir fröhlich: »Ich sollte Gide aufsuchen, der ist Millionär. Na, was für ein Jux, ich werde den alten Literaten um den Finger wickeln!«

Sogleich – denn genügt es nicht, sich in Schwung zu bringen?– verlieh ich mir eine außerordentliche Gabe zum Erfolg. Ich schrieb ein paar Zeilen an Gide, in denen ich mich auf meine Verwandtschaft mit Oscar Wilde berief; Gide empfing mich. Er staunte über meine Statur, meine Schultern, meine Schönheit, mein exzentrisches Wesen, meine Worte. Gide fraß einen Narren an mir, ich hielt ihn für angenehm. Schon machten wir uns davon nach Algerien – er wiederholte die Biskra-Reise, und ich konnte ihn sicher bis Somaliland mitreißen.

Schnell bekam ich ein goldfarbenes Gesicht, habe ich mich doch schon immer etwas geschämt, weiß zu sein. Und Gide zahlte die Coupés 1. Klasse, die edlen Reittiere, die Palasthotels und die Liebschaften. Ich konnte endlich einigen meiner Tausenden von Seelen Substanz verleihen. Gide zahlte, zahlte, zahlte immer; und ich wage zu hoffen, dass er mich nicht auf Schadenersatz verklagen wird, wenn ich ihm gestehe, dass er, um die letzten Launen eines modernen Kindes zu befriedigen, in den krankhaften Ausschweifungen meiner galoppierenden Phantasie sogar sein solides Gut in der Normandie verkauft hatte. Ach, ich sehe mich noch, wie ich mich damals vorstellte, die Beine auf den Polstersitzen des Mittelmeerexpress ausgestreckt und ungereimtes Zeug schwatzend, um meinen Mäzen zu unterhalten.

Man wird vielleicht von mir sagen, ich habe die Sitten eines Androgide. Wird man das sagen?

(Arthur Cravan in: “König der verkrachten Existenzen”, Edition Nautilus, Hamburg 2015)

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