vonDetlef Berentzen 29.01.2016

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Programmdirektor von “Radio DJ” ist seit 1994 Pasquale Di Molfetta, besser bekannt unter dem Namen Linus, ein berühmter und sehr wortgewandter Radio-Moderator für super-schnelle Unterhaltungssendungen. Außerdem moderiert er Talentshows im Fernsehen. Vor einigen Tagen habe ich nun gelesen, dass die PD, die Demokratische Partei von Matteo Renzi, Urenkel der Kommunistischen Partei Italiens, Linus, weil er so populär ist, gebeten hat, bei den kommenden Bürgermeisterwahlen in Mailand für die Demokratische Partei zu kandidieren. Linus hat das Angebot abgelehnt. Nicht nur das Sendeprogramm, auch das Parteiprogramm der PD ist also wohl umzugestalten. (Andrea Giuseppini)

Mein Italien, mein Rom, mein Radio – was ist nur geschehen? Vor mehr als 20 Jahren habe ich via RAI und SFB noch begeistert aus Bologna und Modena gesendet, aber niemand hat bei mir angerufen und mich als Kandidaten für die nächsten Bürgermeisterwahlen nominiert. Alle hörten nur zu und freuten sich, endlich mal Loris, Umberto oder auch den letzten Stadtindianer im Radio hören zu können, der tatsächlich aus einem alten Buch (Trikont-Verlag) zitierte: “Wie sagte Genosse Bettino Craxi? Schmeißt jeden Faschisten unter ein Taxi.” So etwas tut man nicht. Man sagt es auch nicht. Das zitiert man. Die Welt war einfach. Einfach Radio.

Inzwischen musst Du offensichtlich nur “super-schnell” unterhalten und irgendwelche Talente zum Showdown bitten, schon ruft dich der Renzi an und du regierst Mailand. Als ich den Radioblog von Andrea Giuseppini im SWR2 hörte, habe ich mich sofort wegen all dem “Linus” bei Charlie Brown und seinen Peanuts entschuldigt: solche Entwicklungen habe ich leider nicht verhindern können und meine Freunde in der Emilia-Romagna auch nicht. Sagen sie. Denn ich habe Luisa und die anderen nach der “Mehrspur”-Sendung vom alten Wessels sofort angerufen und gefragt, was denn bei Ihnen los ist und ob sie die Lage nicht mehr im Griff haben? Haben sie nicht und nun weiß ich auch das. Dem “reflektierten Radio” von Wolfram Wessels sei Dank.

Ich habe “Mehrspur”, die Audiostories, MiniFeatures, Collagen und Kommentare des kleinen, feinen, munteren SWR-Medienmagazins ja bereits öfter empfohlen, war aber immer ein wenig verstört ob der Desorganisation von dessen Homepage, hörte oft genug das Versprechen, daß der Designer des Senders oder sonstwer demnächst und überhaupt. Aber jetzt! Alles anders! Wessels hat renoviert, renovieren lassen und nun darf gefunden werden. Ohne groß zu suchen. Das Interview mit der “Höragentin” Ines Zimzinski zum Beispiel. Es geht um ihre “Hörparties” und wie sie diese Parties definiert.

Hörparties sind Parties, wo Leute mit gleichem Geschmack zusammen kommen und Geschichten hören.

Im Grunde eine prima Idee, habe ich auch schon öfter gemacht, vor dem Sendetermin meiner Hörfunk-Features bspw. ein “Pre-Listening”  oder nach deren Ausstrahlung ein Meeting im Hörkino , aber das ist wohl nicht gemeint. Hier geht es (selbstverständlich) um ein “Event” und um die Hörbuchverlage, habe ich gelernt. Auf diesen “Parties” bekommst du nicht das ganze Stück zu hören, sondern nur Auszüge und dann schon wieder die nächste CD. Beratung inklusive. Was auch erklärt, warum sich Frau Zimzinski eine “Tuppertante” nennt: du wirst angefixt und wenn du weiterhören willst, musst du kaufen. Diese Parties als ein Treffen von Hörfreaks “am Lagerfeuer” zu bezeichnen, trifft es zumindest nicht so ganz. Animiert aber dazu, nach wie vor eigene Hörparties zu inszenieren und ein Hörspiel, ein Feature, eine Lesung gemeinsam und ohne Werbeunterbrechung bis zum Schluß zu hören. Danke, Mehrspur, du hast mich wieder auf die eine, meine eigene Spur gebracht.

Natürlich steht bei dieser Ausgabe der aktuellen Sendung (nachzuhören im Web) noch mehr auf dem Programm: Ein Touch von Fluxus, die renommierte “Nachrichtenkritik” und ein “Neuanfang ohne Gedächtnis” – was auf die monothematischen Intermezzi der Sendung verweist: “Anfang” war das Thema des Monats Januar, zu dem jedefrau und jedermann ihre Audios (auf welchem Gerät und mit welcher Software auch immer produziert) liefern resp. hochladen konnten. Just listen!

Mehrspur/Dokublog

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