vonDetlef Berentzen 26.11.2016

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Langsam darf man wehmütig werden. Zwar wird es den traditionsreichen Wiener Eislaufverein (WEV) in seiner altbewährten Art noch ein bisschen geben, aber: Wird das Heumarktareal ab 2018 umgestaltet, wird der WEV in seiner bisherigen Form verschwinden – und muss zudem für zwei Jahre auf einen Ersatzstandort ausweichen. (Die Presse, Wien)

 
„Fühlen Sie sich entlastet“, sprach der Herr Finanzminster. Tatsächlich wurden die Österreicher und Österreicherinnen um Milliarden erleichtert. Die schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (Amtszeit 2000-2007) und seinem Finanzminister Karl-Heinz Grasser privatisierte Staatsbesitz wie nie zuvor in Österreich. Es war einer der größten Raubzüge der jüngeren Geschichte des Landes. Das lateinische “privare” heißt schließlich berauben. Dazu ein Beispiel. Die “Austria Tabak” wurde an die private irische Gallaher-Gruppe verkauft. Diese hatte den Kaufpreis nach sechs Jahren wieder hereingewirtschaftet und verkaufte dann die Austria Tabak gewinnbringend an die Japan Tabacco weiter, die im übrigen mehrheitlich dem japanischen Staat gehört. Großer Verlierer bei dieser Mehrfachtransaktion: die österreichische Bevölkerung!

So wie die Austria Tabak wurden auch Immobilien en gros verhökert. Tausende Wohnungen im Bundeseigentum und wertvolle Grundstücke. Ein ganz besonderes Filetstück darunter war die Fläche (s.Foto), auf der der Wiener Eislaufverein seit über hundert Jahren residiert. Allerbeste Zentrumslage zwischen Karlsplatz und Stadtpark. Zuerst wurde das Areal, das bis heute keine Widmung ausweist – also nicht bebaut werden darf -, an eine Gesellschaft namens „Buntes Wohnen“ veräußert. Unter dem Marktwert. Dann kam Michael Tojner, ein Wiener Immobilienentwickler, und erwarb die Fläche und das nebenan befindliche Hotel Interconti gleich dazu.
Was macht nun eigentlich ein Investor in Wien mit einem in die Jahre gekommenen Hotel in bester City-Lage und einem unbebauten widmungslosen Eislaufplatz daneben? Nun, er sucht erstens den Kontakt mit der Stadtregierung, vorzugsweise mit dem Bürgermeister und der Stadträtin für Stadtplanung und Stadtentwicklung und schreibt zweitens (Aha!) einen “Architekten-Wettbewerb” aus. Schließlich will er bauen, um die neue Immobilie möglichst gewinnbringend zu verwerten.

Der Sieger des Architektenwettbewerbs heißt dann Isay Weinfeld. Dessen Bauten kommen in den wichtigen Publikationen zeitgenössischer Architektur eher selten vor. Aber Weinfeld weiß, was Investoren schätzen: Aktuell werden Wohnungen in einem von Weinfeld geplanten Turm in Miami für 14 Millionen Dollar angeboten. Ähnliches wünscht sich Investor Tojner auch für Wien. Neben dem Interconti-Neubau soll noch ein Luxuswohnturm stehen, gleich neben der Ringstraße. Für reiche Russen und Chinesen. Endlich!

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Die ganze Sache hat allerdings einen dramatischen Schönheitsfehler. Kommt der Luxusturm für die Oligarchen und ihre Freunde, verliert Wien seinen Weltkulturerbe-Status. Das hat die UNESCO unmissverständlich klar gemacht. Grund genug für die rot-grüne Stadtregierung, die Notbremse zu ziehen, …könnte man meinen. Dem ist aber nicht so. Der Investor verspricht, dem Eislaufverein gegen angemessene Pacht nach dem Turmbau an der Wien (nicht zu Babel) wieder eine Fläche zur Verfügung zu stellen. Das nahe gelegene Akademische Gymnasium soll zudem einen Turnsaal bekommen, den es dann mieten kann. Außerdem würde doch die ganze Zone belebt, prahlt der Investor und hätte dafür gern noch etwas vom öffentlichen Grund vor dem Areal als Dreingabe. Der Clou dabei: Die grüne (!) Planungsstadträtin Maria Vassilakou findet das alles ganz in Ordnung. Sie will sich vor allem von der UNESCO nicht dreinreden lassen, was in Wien gebaut wird oder nicht – Weltkulturerbe hin oder her. Nur fünf europäischen Millionenstädten wurden für ihre Stadtzentren dieses Prädikat verliehen. Prag, Rom, St. Petersburg, Warschau und Wien. Wien aber ist drauf und dran diesen Status zu verspielen. Für ein simples Spekulationsobjekt, allemal unter tatkräftiger Mithilfe einer grünen Stadträtin. Oha!

 

Dabei gäbe es einfache Lösungsmöglichkeiten: Das Grundstück muss nicht umgewidmet werden, schon gar nicht in Bauland. Es könnte auch eine Sportplatzwidmung erhalten. Dann kann der Eislaufplatz weiter bestehen. Der Eislaufverein wäre in der Lage, die sanierungsbedürftige niedrige Randbebauung und seine technischen Anlagen selbst und mithilfe von Sponsoren zu renovieren. Es geht hier auch nicht um ein wichtiges Großprojekt der öffentlichen Hand im öffentlichen Interesse. Hier wird kein neues Museum gebaut, nicht das Haus der Geschichte, über das in Wien seit Jahren diskutiert wird. Es geht auch nicht darum, der aus allen Nähten platzenden Universität endlich einen dringend benötigten Neubau zur Verfügung zu stellen. Vom neuen Luxusturm hat die Wiener Bevölkerung nichts. Gar nichts. Nicht einmal die Stadt Wien. Im schweizerischen Basel behält sich die Stadt von Umwidmungsgewinnen siebzig Prozent ein. Nicht so die Stadt Wien! Nein, Wien verzichtet sogar auf dieses Geld. Da würde sich der Bau für den Investor ja nicht mehr rechnen. Das geht ja gar nicht.

Politische Brisanz gewinnt die Angelegenheit einmal mehr durch die Rollenverteilung: Die grüne Stadträtin forciert das Projekt, der rote Bürgermeister lehnt sich zurück und wartet ab. Die FPÖ hingegen inszeniert sich neuerdings als Retterin des Kulturerbes und könnte bei den nächsten Wiener Wahlen die Ernte dafür einfahren. Der Turm stünde dann als Rohbau da und das Weltkulturerbe wäre futsch. Keine guten Aussichten. Oder?

Servus!
Michael

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