vonDetlef Berentzen 24.03.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Verdammt gut, dass es ihn gibt. Denn manchmal springt mich all das simple Funktionale an, macht mich quadratisch, praktisch, verrät mein wildes Denken an all das vorgegebene Nützliche, all das Glatte, an Dinge, die mich kalt machen und keine eigene Sprache haben – ihr Schweigen quält mich. All die gestanzte Massenware macht uns zu Immergleichen und ich merke, daß mir die von Hand gedrechselte Schönheit der Büffets, Schränke und Sekretäre verloren geht, die sich einst mit Bildern und Geschichten verbanden, jede Narbe wie Poesie speicherten und mich als Kind noch des Nachts, wenn ich durch die Wohnung der Großeltern geisterte, Staunen machten – ihr Anblick erzählte mir, wer ich war, woher wir kommen und dass ich bleiben kann, wenn ich nur einen weiteren Anfang finde, der seine Herkunft nicht vergisst. Und er, genau dieser Mann, ist so ein Anfang.

Der weißbärtige Herr des Schellacks, der Furniere, der Polituren, einer, der um den kochenden Leim tanzt, …der Fürst der Sekretäre, Tabernakel und Barockschränke…der große Heiler all der Verwundeten, die dreibeinig, mit Rissen und fast schon verloren zu ihm gebracht werden. Auch von mir. Er begreift sie, lauscht ihren Geschichten und gibt ihnen Zeit und Raum. Hat eine Werkstatt. Draußen auf der Domäne Dahlem. Und betreibt seit Jahrzehnten das Handwerk der Restaurierung: Mein alter Freund Manfred. Der Sturm. Der Larondelle.

Ihn besuche ich, wenn mich all die schwedische Postmoderne blind macht und auch mein gutes altes Bauhaus mich nicht mehr rettet. Mit ihm trinke ich Tee, wenn sich zum suchenden Kopf die Hand, aber auch die Spuren der Erinnerung gesellen sollen. Manfred ist ein Nordlicht, macht guten, starken Tee, mit Sahne, trägt eine blaue Schürze mit illustren Flecken und ich kann ihn neugierig fragen, wer vielleicht einst an diesem zierlichen Sekretär saß, was sie oder er wohl schrieben und später in den kleinen Schüben verstaute. Keine Ahnung, wie das Möbel all die Krisen seiner Besitzer überlebte, aber jetzt steht es hier und will noch einmal werden, will bleiben, nicht vergehen. Dafür sorgt der Beschürzte. Gegen den Trend. Ist einer, der bewahrt – die Spuren der Dinge und ihre Geschichte. Gibt ihnen mit Hingabe neuen Atem. Erzählt sie neu.

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