vonDetlef Berentzen 18.06.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Als das Kind noch ein Kind war, ein blonder deutscher Junge in kurzen Lederhosen, täglich gut durchgeprügelt, mit aufgeschundenen Knien und irgendwie soldatischem Kurzhaarschnitt, da spielte ich Fussball, auf der Straße, im Hinterhof oder sonstwo. Mit den anderen aus der Klasse, alles Nachbarn aus dem Kiez. Manche von deren Eltern hatten sogar schon ein Auto, wie der Beckmann von gegenüber, der fuhr eine Isetta mit satten 13 PS, hellblau war die und man stieg durch die Vordertür ein, hockte sich neben ihn auf die Sitzbank und der Beckmann klappte die Tür zu und raste los bis uns schwindelig wurde. Wir standen immer wieder lange an, um nur eine Runde mitfahren zu dürfen. Der Beckmann war schwer in Ordnung und er trug Hut. Alle trugen Hut damals. Irgendwann musste er dann immer in die Kneipe und wir spielten wieder Fussball. Mit kleinen Steinen oder Konservendosen.

Die Torpfosten wurden aus Anoraks, Stöcken oder Schultornistern gebaut. Dann lärmten wir los, waren sofort eins mit unseren Vorbildern: Uwe Seeler, Helmut Rahn oder Horst Szymaniak, den kannte mein Vater aus Karlsruhe, der betrieb dort zum Broterwerb eine Tankstelle, egal, der spielte auch prima Fussball mit einem richtigen Lederball, den man aufpumpen konnte, wenn er mal zu platt war. So was konnten wir uns nicht leisten. Aber wir träumten davon, wenn wir die Blechdosen aus den Mülleimern klauten. Ich träumte erst recht von dem runden Leder, wenn mein Vater wegen irgendeines Fussballspiels bei uns zu Hause im Wohnzimmer vor dem Radio saß, die Hemdsärmel hochgekrempelt, jede Menge Bierflaschen in Reichweite und all seine Kumpanen aus der Kneipe mit dabei.

Die Kumpels rauchten ohne Ende: Overstolz, Eckstein, Ernte 23, soffen die Flaschen leer, skandierten: Deutschland!, wohl eine frühe Art des Public Listening, wurden immer breiter und meine Mutter schnappte meinen kleinen Bruder und verließ schimpfend die Wohnung: “Männer! Alles Säufer!” Doch das Röhrenradio glühte begeistert: Toooor! Oder eben auch nicht. Jedenfalls konnte ich mich damals noch für Fussball begeistern, der steckte in jeder Konservendose, in jeder Schramme und noch ein paar Jahre später, wir hatten schon einen Fernseher mit dem ersten Programm, vielleicht auch schon den Konverter für das Zweite, jedenfalls spielte da Borussia Dortmund, eine Mannschaft aus der Geburtsstadt meines Vaters, und das Spiel war so verdammt aufregend, ich glaube Siggi Held war bereits dabei, es war so spannend, dass ich immer wieder kotzen musste und am nächsten Tag nicht in die Schule konnte, weil ich zu ausgelaugt war. Und das in jener Zeit, als Helmut Schön gerade den knorrigen Sepp Herberger abgelöst hatte.

Wenn ich heute Schumanns “Kinderszenen” höre, den “Haschemann”, die “Träumereien”, den “Ritter vom Steckenpferd”, dann schreib ich en passant gerne mal ein paar Noten für die “Jungs und ihre Konservendosen” auf. Ich erinnere dabei unsere wilde Begeisterung, den stechenden Schmerz meiner Verletzungen und vor allem die Entschuldigung, die mein Vater an den Lehrer schrieb: “Unser Sohn konnte leider nicht zum Unterricht erscheinen. Er hat gestern zu lange Fussball gesehen, Und der Junge ist doch so schrecklich sensibel.” Manchmal habe ich ihn geliebt meinen Vater. Tue ich heute noch, wo er längst auf himmlischen Tribünen sitzt. Das mit dem Fußball indes hat sich für mich erledigt. Obwohl, …wenn irgendwo ‘ne Konservendose rumliegt, kicke ich das Ding. Like Beckham.

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