vonDetlef Berentzen 20.09.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Es wird Herbst, sagen sie. Das hört sich an wie eine Drohung. Ich schaue aus dem Fenster auf die Straße, und der Typ ist tatsächlich schon wieder im Anmarsch, trägt bestimmt wieder seine grüne Latzhose, ein rosa Hemd und die weiße Schirmmütze auf dem kahlen Kopf. Ich kenne seinen Namen nicht, nennen wir ihn also Paule – eigentlich ein alter Freund aus dem Gripstheater. Und ich mag Paule. Aber das wird dem Lärm-Gängsta da unten nichts nützen.

Paule steht also lässig samt Latzhose vor seinem mächtigen schwarzen Pick-Up, raucht noch kurz eine Kippe, dann greift er sich dieses orangene Ding von der Ladefläche, wirft es an, schnallt es auf den Rücken und nimmt sein Rohr in die Hand. Mein Gott, schon wieder! Sein Rohr ist schwarz und lang und der Motor nichts als ein kreischendes Monster, das jedes Leben zwischen unseren Häusern mit brutalem Lärm erstickt.

Paule ist unerbittlich, verbläst Gehweg und Einfahrt, treibt mit seinem Blasrohr bunte Blätter und jede Menge schwarzen Dreck vor sich her. Dabei macht er ein ziemlich stumpfes, angewidertes Gesicht, während das Jetpack auf seinem Rücken nach wie vor erbarmungslos kreischt und Paules Nerven massiert. Das also ist Fortschritt.

Wo aber, verdammt noch mal, sind die Besen hin? Diese breiten Besen, mit denen ein kundiger Feger, im selbstgewählten Takt, mit eigenem Rhythmus einst die bürgerlichen Steige kehrte? Ich habe unseren Straßenfeger, er hieß Günter, als lederbehostes Kind des AfterWar immer bewundert, gerade dann, wenn im Herbst eine Menge Laub zu fegen war. Pfad auf Pfad bahnte Günter durch die weiten Laubflächen, legte das Ursprüngliche frei, war dabei hochkonzentriert und trug ein klitzekleines Lachen im bärtigen Gesicht. Ich liebte das Geräusch seines Besens, den gleichmäßigen Takt, mit dem Günter die Borsten über den Gehsteig führte: fünf vorwärtstreibende kleine Schübe, ein kurzes Innehalten, zweimal den Besen energisch auf den Boden stupfen, dann weiter und wieder von vorn.

Wenn ich unseren Hinterhof fegen musste, versuchte ich Günter nachzuahmen, machte ein kleines wichtiges Gesicht und war glücklich, wenn ich endlich den Rhythmus spürte – Fegen war meine Leidenschaft, und ich wusste an manchen Tagen genau, was ich später einmal werden wollte.

 

Ich wollte einer von denen sein, die immer den großen gepflasterten Platz im nahegelegenen Park fegten. Die traten dort in einer Reihe an, sechs Mann hoch, alle in Graumann und mit Besen, den hölzernen Stiel mit beiden Händen vor der Brust gefasst und dann tanzten sie voran, Schritt für Schritt, nebeneinander, im ¾-Takt. Der geliebte Rhythmus des Fegens erhielt so eine wunderbare Verstärkung und die Feger gerieten mir zu einem regelrechten Ballett, ihr Gleichmaß zu einer wunderbaren Aufführung, die ich, wie gesagt, vor allen Dingen im Herbst besuchte.

Kaum hörte ich, durch die Straßen streunend, den Takt ihrer Besen, fing ich an zu laufen und da war es wieder: mein Feger-Sextett. Die Graumänner sorgten für jene Laubhaufen, durch die ich, wenn sie dann fort waren, mit meinen Freunden toben konnte. Dabei behielt ich sie immer im Ohr. Die Feger gaben mir die Choreographie des restlichen Tages vor, versorgten mich mit Taktgefühl, vor ihnen hatte ich Respekt. Manchmal, wenn sie neben ihren Besen standen, Pause machten, das Bier mit dem Schnappverschluss in der Hand und ihre Overstolz rauchten, ging ich hinüber zu ihnen, blieb vorsichtig in einiger Entfernung stehen, doch sie kannten mich ja schon, ihren ständigen Zuschauer, winkten mich heran und ich durfte einen ihrer langstieligen breiten Besen in die Hand nehmen. Und ich war stolz. Wie Harry.

Wo also sind die Besen? Oder, noch wichtiger, was ist Fortschritt? Offensichtlich ein stumpf blickender Mann mit einem fetten Motor auf dem Rücken, einem langen schwarzen Rohr in der Hand, der monströsen Lärm verbläst und dann macht, dass er wegkommt, in einem ebenso monströsen Pick-Up mit dem Aufkleber „Eure Armut kotzt mich an“.

Es stimmt schon, nicht alles war schlecht damals.

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