vonDetlef Berentzen 12.12.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Lieber Detlef,

das “Goldene Wienerherz” ist berühmt, wie du weißt. Die Stadt wirbt gern damit. Wir kennen das. Doch du warst zu oft in Wien, als dass du nicht ganz genau wüsstest, wie bedrohlich die Wiener Gemütlichkeit sein kann. Mitunter tun sich wahre Abgründe auf. Dazu eine kurze Geschichte, die das wieder einmal belegt.

Mitte Oktober traf sich im Wiener Josef-Strauß-Park der Rapper T-Ser mit einigen Musikerkollegen, um über gemeinsame Projekte zu plaudern. Wäre T-Ser ein klassischer Wiener Heurigenmusiker und hätte er mit seinen Freunden da im Park bekannte Wiener Lieder – wie „Wann i amol stirb“ – zum Besten gegeben, hätten die jungen Tonkünstler einen beschaulichen Nachmittag verbringen können. Doch dummerweise haben T-Ser und seine Freunde afrikanische Wurzeln – sie sind dunkelhäutig. Vielleicht fühlte sich deshalb ein knappes Dutzend Polizisten bemüßigt, die Musiker als irgendwie Verdächtige zu perlustrieren (kontrollieren/durchsuchen). T-Ser und seine Freunde jedenfalls hatten den Eindruck, dass hier “Racial Profiling” betrieben wurde.

Dazu muss man wissen, dass in Österreich keine allgemeine Ausweispflicht existiert. Strafprozessordnung und Sicherheitspolizeigesetz setzen für eine sogenannte Identitätsfeststellung einen konkreten Verdacht auf strafbare Handlungen voraus. Weil aber bei T-Ser und seinen Freunden so ein Verdachtsgrund nicht gegeben war, zimmerte sich die Polizei flugs ein Hilfskonstrukt zwecks Rechtfertigung: “Das LKA Wien analysierte die Häufigkeit bestimmter strafrechtlicher Delikte inklusive Fälle nach dem Suchtmittelgesetz für den betroffenen Bereich (Parkanlage sowie angrenzende Bereiche) für den Zeitraum 01. April bis 15. Oktober 2018“, heißt es in der Aussendung. 26 Delikte hätten sie festgestellt. Der Bezirksvorsteher (= Bezirksbürgermeister) ist verwundert: „Es gibt einfach seit längerer Zeit keine Vorfälle, und seit Wiedereröffnung überhaupt. Nicht einmal Anrufe und keine Beschwerden. Die Polizei hat’s mir auch nicht dokumentieren können.“  Wie dies? Ganz einfach. Der Bezirksvorsteher spricht vom Josef-Strauß-Park, aus dem dem T-Ser und Freunde abgeführt wurden. Bei der Polizei hingegen ist recht vage von der „Parkanlage sowie angrenzenden Bereichen“ die Rede. In der Nähe des Parks gibt es zwei U-Bahnstationen, bei denen sich des öfteren Dealer und Sandler (Obdachlose) aufhalten. So einfach kommt man zu den gewünschten Verdachtsfällen.

 

Dass T-Ser und Freunde ein Video der Amtshandlung ins Netz stellten (s. Foto), ergrimmte die Exekutive ganz besonders. Die bedauernswerten Beamten seien durch “diskreditierende Fotos der Lächerlichkeit preisgegeben worden.“ In solchen Fällen eilt der Wiener FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp gern zur Hilfe. Er verlieh prompt den “tapferen Ordnungshütern” das „Goldene Wienerherz“. Sein Kommentar: “Ich bin stolz auf unsere Polizei!”

Den Preis mit dem seltsamen Namen hat übrigens Nepps FPÖ-Kollege Johann Gudenus für angeblich „selbstlose und gute Taten“ erfunden. Selbstlose und gute Taten? Damit kennt sich dieser Herr Gudenus tatsächlich aus. War er es nicht, der 2013 im Wiener Gemeinderat verkündete: „Jetzt heißt es ‚Knüppel aus dem Sack!‘ für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegalen Ausländer, kriminellen Islamisten und linken Schreier!“

Was die elf Polizisten und Polizistinnen bewogen hat, sich recht willig vor den blauen FPÖ-Propagandakarren spannen zu lassen, hat bislang noch niemand analysiert. Doch das kommt noch. Und wenn nicht, werden sich letztlich bei Sigmund Freud einige schlüssige Erklärungsansätze finden lassen. Wir sind ja schließlich in Wien.

Auf bald
Michael

 

Affirmative Action (T-Ser)
(“Ich bleibe nicht in einem Land, in dem jeder Zweite Rassist ist”)

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