vonDetlef Berentzen 16.04.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Lieber Detlef,

„Volk, begnadet für das Schöne“, heißt es in der österreichischen Bundeshymne. Manchmal sind solche Hymnenzeilen auch politisches Programm. In diesem Fall kulturpolitisches Programm. In den staatlichen und privaten Sammlungen Österreichs liegt eine (für so ein kleines Land) immense Menge an wunderbaren Kunstschätzen. Ein Gutteil davon wird nur selten gezeigt. Und auch die Ausstellungspolitik der großen Häuser war in den vergangenen Jahren nicht von besonderem Ehrgeiz oder gar dem Mut zur politischen Auseinandersetzung mit der Kunst geprägt. Eher das Gegenteil war der Fall. Es wurde gezeigt, was Touristen und Touristinnen wie Einheimischen mehrheitlich gefällt. Also das einfach nur Schöne – gefällig, aber fad.

Doch plötzlich, ganz unvermutet, tun sich in den großen, bekannten Museen neue Perspektiven auf. Ich habe dir unlängst von der Ausstellung „Stadt der Frauen“ im Belvedere berichtet, in der erstmals das großartige Œuvre bildender Künstlerinnen in Österreich zwischen 1900 und 1930 gewürdigt wird. Nun überrascht das “Leopold Museum” mit einer erfreulicherweise sehr politisch angelegten großen Schau zu Oskar Kokoschka. Keine Frage, Kokoschka war zeitlebens ein hochpolitischer Künstler. Ein deklarierter Antifaschist mit klaren Aussagen in Wort und Bild. Eigentlich sind Österreich und die politische Kunst ein unerfreuliches Kapitel. Hierzulande versucht man gern zu trennen. Die Kunst darf leben, das Politische wollen wir dann aber doch lieber weglassen. Das betrifft diejenigen, die sich freudig mit den Machthabern eingelassen haben oder im Faschismus deren Handlanger waren, genauso wie jene, deren eindeutig progressive Positionen den Herrschenden zuwider waren. Wie bei Kokoschka.

 

Porträt Oskar Kokoschka, 1919 (Hugo Erfurth)

 

Schon zu Beginn der 1930er Jahre wurden seine Werke Deutschland beschlagnahmt. In der großen NS-Schau „Entartete Kunst“ des Jahres 1937 war Kokoschka mit neun bedeutenden Arbeiten sehr prominent verteten. Eben dieser absurden Inszenierung der Nazis gegen frühe Moderne und Expressionismus ist ein eigener Teil der Kokoschka-Ausstellung im Leopold Museum gewidmet. Mit Original-Unterlagen und einer zeitgenössischen Filmdokumentation. Auch Kokoschkas politischen Plakaten und Flugblättern, die er im englischen Exil produziert hat, wird ganz besonderer Stellenwert eingeräumt. Kaum jemand weiß, dass der Künstler auf eigene Kosten in London Plakate drucken und affichieren ließ, um beispielsweise notleidenden Kindern zu helfen. Und wer kennt schon Kokoschkas eindrucksvolle großformatige Guernica-Lithographie oder die zwischen 1939 und 1943 entstandene hochexpressive Ölbilder-Serie, die sich mit den seinerzeit aktuellen politischen Ereignissen auseinandersetzt. Das Leopold Museum hat all diese politischen Arbeiten in einem eigenen Raum vereint. Eine einzigartige Gelegenheit, diesen Teil des Werkes von Kokoschka in seiner Gesamtheit zu sehen. Denn die verschiedenen Bilder sind ansonsten in diversen Sammlungen über ganz Europa verstreut.

Auch dem Kosmopoliten Kokoschka, der bereits in den 1950er Jahren im “Prometheus-Zyklus” sein malerisches Bekenntnis zu einem vereinten Europa ablegte, huldigt diese Ausstellung. Sehr spannend dabei die subtile Dokumentation zu dieser Arbeit durch die großartige amerikanische Photographin Lee Miller (ja, genau die Lee Miller, die mit ihrem Bild in Hitlers Badewanne 1945 weltberühmt wurde). Wie wichtig der Ausstellungskuratorin Heike Eipeldauer die politische Konnotation von Kokoschkas Werk ist, lässt sich schon aus dem Titel ableiten: “Oskar Kokoschka, Expressionist, Migrant, Europäer”. Eipeldauer hat mit ihrem Team für diese Schau Kokoschka-Werke aus aller Welt zusammengetragen und beleuchtet in der Ausstellung selbst wenig bekannte Aspekte in Kokoschkas Schaffen, wie z.B. sein bemerkenswertes Eintreten für das Matriarchat oder seine grenzüberschreitenden Auseinandersetzungen mit anderen Kunstformen, wie dem Theater.

Deutschlandbezüge finden sich in den Arbeiten aus seinen Dresdener Jahren und in seiner im Springerhochaus gefertigten Ansicht des Mauerstreifens vom 13. August 1966 (“Kokoschka malt Berlin”). Für diese Auftragsarbeit von Axel Springer wurde Kokoschka von der damaligen Studentenbewegung kritisiert. Doch wer das Ölbild genau betrachtet, kann hier eine durchaus kritische Position zur geteilten Stadt entdecken. Auf Kokoschkas Adenauer-Porträt musste die Ausstellungsmacherin verzichten. Es hängt im Büro von Angela Merkel und kann wegen „Eigenbedarfs“ leider nicht hergeborgt werden, wie Merkels Büroleitung per Mail ausrichten ließ.

Doch auch ohne Adenauer ist die Ausstellung so sehenswert, dass sich dafür in jedem Fall ein Ausflug nach Wien lohnt.

Auf bald
Michael

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