vonMesut Bayraktar 18.10.2018

Stil-Bruch

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Statt von »Freiheit der Kunst« zu sprechen, müsste man über »Befreiung der Kunst« sprechen – Ein Kommentar

In der aktuellen Ausgabe von »Theater der Zeit« (Oktober 2018/Nr. 10) wird viel über die Freiheit der Kunst diskutiert. Die Frage hebt mit einem Interview zur Hetzjagd von Rechten in Chemnitz, interviewt wird Franz Knoppe, und einem weiteren Interview mit Thomas Irmer zum „DAU“-Projekt in Berlin ab. Dann dreht sich der Blick auf den Eklat bei der diesjährigen Ruhrtriennale rund um die Intendantin, Stefanie Carp, und ihre Ein-, dann Aus- und dann wieder Einladung der schottischen Band »Young Fathers«, die dann schließlich keine Lust mehr hatte (Hintergrund war ihre Unterstützung der BDS-Kampagne gegen die brutale Apartheid des israelischen Staates gegen die Palästinenser). Schließlich folgen Schriften, angeknüpft an die Erdogan-Statue bei der diesjährigen Wiesbaden Biennale, zur „Aufstehen“-Sammlungsbewegung usw. Verschiedene Autoren versuchen die Grenzen der Kunstfreiheit und ihr Verhältnis zur Politik auszuloten. Alle diesbezüglichen Artikel sind idealistisch und tendenziös, kurz: unbrauchbar. Alle gehen von dem unkritischen Standpunkt aus, die Kunst hätte ihren Standort in einem ideellen Bereich, d.h. einen virtuellen Standort außerhalb der realen, materiellen Gesellschaft.

Dabei wird die Vorfrage unterschlagen oder vergessen, die unterschiedlich formuliert werden kann: Unter welchen realen Bedingungen wird Kunst heute gemacht? Welche organische Verbindung, welche Verbindung überhaupt hat sie noch zu den lohnabhängigen Klassen, deren Arbeit vermittels Steuergelder die Kunst finanziert, die überraschenderweise hauptsächlich von höheren, weisungsbefugten Klassen konsumiert wird? Welchen Einfluss hat die Kunst auf die materiellen, logistischen, künstlerischen Produktionsmittel, die ihr zur Verfügung stehen oder gestellt werden? In welchen Abhängigkeitsverhältnissen stehen die Künstler eigentlich, auf welche sozialen Sicherheiten können sie eigentlich zählen? In welcher Beziehung stehen Hartz IV, Zeitarbeitsfirmen, Gentrifizierung, die Strangulierung von Pflegepersonal und die Putzfrau bei Aldi oder der Metallarbeiter in der Gießerei bei Thyssen-Krupp zu Kunst? Angenommen sie ist frei, die Kunst, das Diadem der Kulturintellektuellen, wann wurde sie befreit, vor allem: von wem für wen?

Um über die Freiheit der Kunst zu sprechen, muss man zunächst danach fragen, wo die Kunst in den bestehenden Produktionsverhältnissen steht; nicht, wie sie zu den bestehenden Produktionsverhältnissen steht. (Das Erste tut derzeit beispielsweise das »Ensemble-Netzwerk«, wenn auch noch viel zu zaghaft und unpolitisch.) Mit anderen Worten: die Frage nach der Freiheit der Kunst in einer kapitalistischen Gesellschaft ist ebenso sinnlos, wie die Frage, ob ein Fisch auf Beton schwimmen kann. Die Kunst ist nicht frei, und sie wird es solange nicht sein, wie im kapitalistischen Verwertungszwang die soziale Klassengewalt, die sich heute nahezu einseitig von oben nach unten schraubt, fortbesteht. Die einzige Freiheit, die die Kunst hat, ist die Freiheit, Widerspruch zu sein, sich zum Teil des gesellschaftlichen Widerspruchs zu machen, Geschichte in mimetischer Bewegung zu werden. Darin war die Kunst seit jeher stark, ob bei den Alten, bei Shakespeare, Lessing, Schiller oder Brecht. Darin war sie historische Aktion – ein Bruch in der Ordnung der Dinge. Dann wird wieder von »Befreiung der Kunst« und nicht von »Freiheit der Kunst« gesprochen.

Manchmal hat man heute in Kunst-Debatten den Eindruck, dass sie albern und abgehoben, naiv und realitätsfremd, ja erschreckend ungeschichtlich und dumm sind. Vor allem wenn man dann so ein Nonsens liest, dass „das Theater einer der wenigen anti-kapitalistischen Inseln in unserer heutigen Welt“ sei. Warum? „Es erzielt keinen materiellen Wert[??], die Leistung ist nicht mit Gewinn gleichgesetzt [was auch immer das heißen soll! Wahrscheinlich, dass die Künstler keinen bis geringen Lohn erhalten.], zumindest nicht in erster Linie [ach so! In welcher dann?], es ist nahezu verschwenderisch [Champagner und Glitzer, hurra, die Kunst geht unter!]: Man schafft etwas, das von kurzer Dauer ist, und lässt es dann wieder verschwinden.“ [Das verdient Applaus, wirklich! So ehrlich und konsequent das Theater, das uns seit dem klassischen Altertum begleitet, zu erniedrigen, das muss man erst mal schaffen, indem man es auf Vorstellungsbeginn und Vorstellungsende reduziert, wie wenn man das Klo besucht, um das von kurzer Dauer Geschaffene mit dem Abzug verschwinden zu lassen.]

Das schreibt die zig-fach preisgekrönte Nino Haratischwili bei ihrer redaktionell bearbeiteten Dankesrede vom 19. April 2018 anlässlich der Verleihung des Bertolt-Brecht-Preises der Stadt Augsburg. Die Rede ist auch in der aktuellen Ausgabe von »Theater der Zeit« abgedruckt. Erstaunlich, wie leicht Antikapitalismus funktioniert, wie leicht er erklärt werden kann, wie ungefährlich Theater ist! Zumindest dachte Haratischwili einst „nach dem Abschluss meines Studiums“ an der Theaterakademie in Hamburg so über das Theater und sie lässt vermuten, dass sie nun über die Literaturindustrie dergleichen denkt, die „viel mehr Spielraum und viel mehr Themen“ zuließe.

Sollte die zig-fach preisgekrönte Haratischwili Recht haben, die sie seit 15 Jahren „immer wieder in der Literatur (…) wie im Theater“ »Zauber« sucht, statt für »Zauber« ins Casino, zum Kirmes oder ins Musical zu gehen, dann ist eine Börse und ihr »Zauber« auch eine „der wenigen anti-kapitalistischen Inseln in unserer heutigen Welt.“ Warum – fragen die Leser verwundert? Hier die Antwort: „Sie erzielt keinen materiellen Wert, die Leistung ist nicht mit Gewinn gleichgesetzt, zumindest nicht in erster Linie, sie ist nahezu verschwenderisch: Man schafft etwas, das von kurzer Dauer ist, und lässt es dann wieder verschwinden“, nämlich ein Wertpapiergeschäft.


*Titelbild zur Wiederverwendung gekennzeichnet:
https://pixabay.com/de/abstrakt-kunst-hintergrund-blau-1850417/

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