vonannette hauschild 15.04.2013

Sauerländische Erzählungen.

Annette Hauschild berichtet Interessantes und Wissenswertes über Strafverfahren sowie Weiteres aus dem Feld der inneren und äußeren Sicherheit.

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Ich habe mir viel Zeit gelassen, den weiteren Prozess gegen die Brüder Turgay und Ömer C zu beobachten, bin aber nicht dazu gekommen, hier weiter zu berichten. Das soll jetzt nachgeholt werden.

Zunächst: Mittlerweile ist das Urteil auch gegen Ömer gefallen: 6 Jahre Haft. Es ist noch nicht rechtskräftig, da die Verteidigung Revision eingelegt hat. Dazu später mehr.

 

Hier gehe ich noch mal auf die Einlassung des älteren Bruders vom Sommer letzten Jahres ein und auf das Verhalten des Gerichts.

Das Geständnis selbst war nur spärlich, in einem halben Tag war Turgay mit der Einlassung und den darauffolgenden Fragen durch.

Denoch gingen daraus etliche Informationen  über die Struktur der Kaplan-Bewegung hervor. Die sind allerdings nicht neu:  Es gab wohl Schulen (sogenannte Imam-Hatip-Schulen) in der Türkei – Turgay nannte die Städte  Bursa und Konya – die der Bewegung nahestanden oder dem Verband gehörten, und auch in Jordanien und Syrien gab es wohl derartige Einrichtungen. Viele Kaplan-Anhänger schickten (und schicken wohl noch immer) ihre Kinder aus Europa dorthin.

Und: Kalifatsstaatanhänger waren verpflichtet, ihre Lebensmittel, insbesondere Fleisch, ausschließlich bei einer der Organisation gehörenden Firma zu kaufen. Das band die Kaufkraft der Mitglieder und bescherte der Bewegung große Summen, besonders bei den großen  religiösen Festen.  Der Fleischgroßhandel belieferte die der Kaplan-Bewegung verbundenen Moscheegemeinden in Deutschland, Niederlanden, Belgien und Frankreich.

Turgays und Ömers Vater arbeitete zeitweise in dieser Firma und übernahm diese später. Der Sitz wurde nach dem Verbot des Kalifatsstaates in Deutschland  ins grenznahe  Lüttich verlegt. Auch dann seien viele Moscheegemeinden weiterhin Kunden geblieben, aber die Familie habe in Belgien die Firma auf eigene Rechnung als normales privates Unternehmen geführt und auch Kunden beliefert, die nicht der Organisation nahegestanden hätten, erklärte Ömer, der jüngere Bruder.

 

Turgays Geständnis

Turgays  Geständnis umfasste vier Din A4 Seiten, in einem halben Tag war er mit der Verlesung und der Befragung fertig.

Er sei 29 Jahre alt, der älteste von 6 Kindern und habe einen Teil seiner Schulzeit in Deutschland, einen anderen Teil auf Veranlassung der Eltern in Internaten in der Türkei, Jordanien und Syrien verbracht, die dem Kaplan-Verband nahestanden.  Nach seiner Rückkehr nach Europa im Jahr 2008 lebte die Familie in Belgien.

Seine Frau, eine Tochter des “Kalifen von Köln” Metin Kaplan,  lernte Turgay bei der Arbeit im Fleischgroßhandel  in Köln kennen.

Auf der Hadsch habe er einen Mann  kennengelernt, der  ihm erzählt habe, er sei  Spendensammler für die Islamische Hilfsorganisation IHH .  Dieser  habe ihn gefragt,  ob er, Turgay, der Schwiegersohn von Metin Kaplan sei und ob er für ihn beim Opferfest Spenden sammeln könne.

Die Hodschas hätten nicht gewußt, wofür das Geld sei, erklärte Turgay. Der Mann habe ihm eine Telefonnummer eines Autohändlers in Hessen  gegeben. Dessen Onkel besitze eine Wechselstube in Peschawar. Der Neffe würde das Geld an den Onkel schicken. Eine andere Person,  ein Mann  in Peschawar, solle den Eingang des Geldes telefonisch bestätigen.

Er, Turgay, habe dem Autohändler in zwei Tranchen 39.000 Euro übergeben, einmal 12.000 und ein paar Wochen später den Rest von 27.000.

“Bei der Übergabe der Spendengelder war mir klar, dass die IBU eine terroristische Vereinigung ist,” sagte Turgay. “Während meiner Haft habe ich mich von der IBU distanziert, ich möchte nur mit meiner Frau und meinen Kindern in Frieden in Deutschland leben. ” Zu seinem Bruder Ömer wollte er sich nicht äußern.

Wie viele Krieger kann man mit 39.000 Euro bezahlen?

Es war  nicht verwunderlich, dass die Anklagevertreterin, Oberstaatsanwältin beim  BGH Duscha Gmel in ihrem Plädoyer dem Angeklagten vorwarf, dass er 5 Monate Beweisaufnahme gebraucht habe bis zu seinem Geständnis.  Sie war aber ebenso auf Deal-Kurs wie der Senat und die Verteidiger Pausch und Martens. Ausdrücklich würdigte sie Turgays Distanzierung von den jihadistischen Zielen der IBU und seine Abkehr von der ideologischen Haltung seiner Familie. Immerhin, so Gmel, sei die Familie des Angeklagten seit Jahrzehnten dem globalen Jihad-Gedanken verpflichtet. Es gebe eine personelle Überschneidung ehemaliger Funktionäre des Kaplan-Verbandes mit der terroristischen Islamischen Bewegung Usbekistans.  Der Verfassungsschutz habe in seinem Behördengutachten die beiden Kontaktpersonen als den Finanzverantwortlichen der IBU für die Türkei und dessen Stellvertreter identifiziert. Und der  Gutachter Guido Steinberg habe erklärt, dass es keinerlei Hinweise darauf gäbe, dass eingehende Gelder außerhalb der IBU verwendet würden. “Vielmehr geht alles in die Kriegskasse.”

 

Sie forderte 3 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe. Begründung: die Höhe der Geldsumme (39.000 Euro). Durch die Verhaftung von Irfan Demirtasch, dem Fundraiser der IBU, der in Frankreich für die IBU Gelder eingetrieben hatte, sei die IBU 2008 in eine große Finanzklemme geraten.   Ahmad S. habe  in seinem Prozess in Koblenz erzählt, dass  die IBU verheirateten Männern 1.600 Rupies (etwa 13 Euro) Sold  pro Monat zahle, zusätzlich Verpflegung und Unterkunft. “Wenn ich mir vorstelle, wie viele Terroristen mit dieser hohen Summe unterhalten werden können…”

Ich habe mal nachgerechnet und mit meiner Nachbarin ein Zahlenspielchen veranstaltet:

39.000 Euro ist die Gesamtsumme

1 Mann (verheiratet)  erhält pro Monat 13 Euro (1600 Rupies) und  zusätzlich noch Kost und Logis im Lager.

1 Mann (ledig)  bekommt etwa 6,5 Euro (etwa 800 Rupies), also die Hälfte, und ebenfalls Kost und Logis im Lager.

Wie viele Krieger kann man sich leisten

– für einen Monat?

– für 3 Monate?

– für 12 Monate?

( Anm.:  Viele deutsche IBU-Leute brachten ihr eigenes Geld mit oder wurden  aus der Heimat alimentiert.)

 

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