vondie verantwortlichen 07.09.2019

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Versuchen wir also, den Platz für neue Debatten frei zu machen.

Erstens heißt es in den Kommentaren,  es fehle die argumentativer Auseinandersetzung mit dem Programm der AfD.

Nur: Hat sie denn eines? Flüchtlinge hier, volksferne Eliten dort – wo  kaum Argumente zu finden sind, fällt es  schwer, sie zu widerlegen. Es ist nämlich nicht das Programm, es ist die Redeweise der AfD-VertreterInnen, die Talkshows sprengt. Daran ist wenig neu,  Parteien dieses Typs sind in demokratischen Gesellschaften spätestens seit Mussolini bekannt. Ihnen geht es nicht um konkrete Ziele innerhalb demokratischer Aushandlungsprozesse, sondern um ein einziges Ziel: Macht. Um diese zu erringen, mobilisieren sie nicht gegen Zustände, die zu ändern wären (wie? da müssten sie sich auf Details einlassen und Vorschläge machen), sondern gegen Menschen aus Fleisch und Blut. Wir oder die. Freund oder Feind. Eine solche Redeweise macht jede „Sachfrage“ zum heißen Thema: Wer darf mitreden, wem verbieten wir den Mund, wem darf man etwas antun? Verglichen mit dieser Hitze sind ist alles andere lauwarm. Wahr oder falsch, sinnvoll oder unsinnig, moralisch angemessen oder nicht – wen interessiert das noch? Mit der AfD zu reden heißt,  auf ihre innergesellschaftlichen Feinderklärungen zu antworten. Mit Programmdebatte hat das wenig zu tun.

Zweitens wird zu bedenken gegeben, die AfD sei  die Partei der Armen und Abgehängten.

Die Behauptung trifft empirisch nicht zu, weder Funktionäre noch Anhänger der Partei sind besonders arm, trotzdem scheinen fast alle AfD-Gegner an diesem Punkt einig zu sein. Offenbar ist bei vielen Menschen gerade aus linken und liberalen Kreisen das Bedürfnis übermächtig, sich hilfreich über „die Armen“ zu beugen und deren moralisch-politische Verirrungen zu entschuldigen bzw. – auf lange Sicht – durch „mehr Gerechtigkeit“, also mehr Geld, also mehr vom Gleichen, zu beseitigen. So wird regelhaft das falsche Bein operiert. Die Vermutung vieler besser gestellter Menschen, dass Arme weniger klug sind als sie selbst, ist schwer aus der Welt zu schaffen. Wer wirklich arm ist, weiß hingegen, warum er oder sie nicht AfD wählt.

Drittens wird behauptet, schuld an den Wahlerfolgen der Afd sei eine Linkswende der CDU.

Es stimmt, in den letzten 50 Jahren hat sich die Bundesrepublik zunehmend zivilisiert, die im Grundgesetz formulierten Menschenrechte wurden mehr und mehr gesellschaftliche Wirklichkeit. Die CDU hat, nach dem Vorbild der Katholischen Kirche, gegen die neuen Ansprüche von Kindern, Frauen, LGBT-Menschen hinhaltenden Widerstand geleistet, um sie irgendwann doch anzuerkennen. Inzwischen fordert auch niemand mehr, dass Vergewaltigung in der Ehe straflos bleiben soll, dass Eltern ihre Kinder (und Hunde) schlagen dürfen oder dass das moderne Scheidungsrecht abzuschaffen sei – schließlich gäbe es ohne solche Anpassungen an den „Zeitgeist“ die CDU als Volkspartei heute nicht mehr. Die Kritiker der „Linkswende“ schweigen denn auch konsequent, wenn sie sagen sollen, welche Veränderungen genau zurück zu nehmen wären. Tatsächlich hat sich nicht die CDU nach „links“ gewendet (wenn die Anwendung der Menschenrechte denn „links“ genannt werden soll) sondern die Gesellschaft selbst. Wer das Manifest der „Werte-Union“ zu Rate zieht, findet tatsächlich nur einen einzigen Punkt, an dem sich diese Gruppe wirklich von der CDU unterscheidet: Sie ist fremdenfeindlich. Sie läuft den angeblichen „Werten“ der AfD hinterher.

Viertens ist zu lesen, es fehle ein konservatives Politikangebot.

Das sagt z. B. der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes Maaßen. Er ist der Mann, der gefeuert wurde, weil er als Spitzenbeamter selbst in der Öffentlichkeit politisch tätig sein wollte, dabei seinen  Vorgesetzten widersprochen hat und auch noch bei einer Lüge ertappt wurde – die größtmögliche Schande, wenn man ihn an der Tradition des konservativen Berufsbeamtentums misst.

Selbst kluge konservative  Fachleute wie Andreas Rödder mit seinem Buch “Konservativ 21.0“ tun sich unterdessen schwer, angesichts einer ungebrochen dynamischen technischen Entwicklung und realer wirtschaftlicher Globalisierungszwänge zu definieren, was gesellschaftlich und politisch konservativ heißen könnte. Rassistisches Pöbeln jedenfalls gehört, entgegen der Vermutung vieler KommentatorInnen nicht dazu, vielmehr ist der historische Konservatismus u. a. entstanden, um die internationale, französisch sprechende Adelselite zu verteidigen. Auch eine Rückkehr zum Nationalismus des Bismarckreiches (eine seither entstandene weitere Möglichkeit, den Begriff zu interpretieren) wäre keine Option, die im heutigen  Deutschland noch einmal politikfähig werden könnte.

Fünftens argumentieren manche Kommentare erneut, nicht alle AfDler seien  Nazis.

Richtig ist daran, dass es der politischen Leistung eines Alexander Gauland bedurfte, damit sich eine rechtsextreme Partei dauerhaft im parlamentarischen System der Bundesrepublik etablieren konnte. Er hat die AfD als Bündnis dreier Strömungen zusammen gehalten: Eines aufgewühlten Bürgertums, das seine wirtschaftlichen Erfolge bedroht sieht und am Ursprung der AfD-Gründung stand, eines Konglomerats von ideologisch neonazistischen Gruppen, die durch die  5-% – Hürde und durch interne Streitigkeiten in den letzten Jahrzehnten bei den meisten Wahlen gescheitert waren, sowie, drittens, einer für die soziologischen Untersuchungen nur schwer sichtbar werdende Halbwelt, zu der Fanklubs, Motorradgangs, einzelne „Oligarchen“, sowie als sichtbare Akteure dann die Bachmanns (Pegida) und Straches (FPÖ) gehören, die im Alltag wie in der Politik Macht ausleben, dabei reich werden und sich an keinerlei Regeln halten wollen. Wie das zusammen passt, hat lange vor der Flüchtlingskrise Ronald Schill in Hamburg vorgeführt, jener „Richter Gnadenlos“, der im Jahr 2000 aus dem Stand 19,4 % der Stimmen für die Bürgerschaft gewann. Dass ein solcher Haufen so lange „gärt“, bis geklärt ist, wer ihn als  „Führer“ beherrscht,  ist naheliegend, trotzdem können sich – wie internationale Vergleiche zeigen – solche Verbindungen auch längerfristig halten. Gemeinsam haben sie die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die damit verbundene Verachtung für demokratische Institutionen. Der einzige „Wert“, den sie ernst nehmen, ist die eigene Macht.

Sechstens, so können wir wieder einmal warnend lesend, befördere die „Ausgrenzung“ der AfD deren Opfermythos.

Schon als die anderen Parteien den der AfD zustehenden Vizepräsidenten-Posten unbesetzt ließen, wurde  das als politischer Fehler bewertet – als hinge der Opfermythos von solchen Details ab. AfD-Anhänger phantasieren für sich (bzw. für  ihre Führer) ein Recht auf Allmacht („Wir sind das Volk“). Institutionelle Entscheidungen, die deren Macht begrenzen, befeuern deshalb automatisch den Opfermythos. Hinzu kommt, dass die Partei von ihren Ausgrenzungswünschen gegenüber einem Teil der Bevölkerung lebt – schon deshalb wird es kaum möglich sein, sie durch freundliche Einbeziehung  von diesem ihrem Thema abzulenken. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wem Macht der höchste Wert ist, dem sollte man sie nicht freiwillig übergeben. Machtgewinne – wie die jüngsten Wahlerfolge – führen zu weiterem Zuwachs, Machtverluste (wie gerade bei Salvini in Italien) zu Stimm-Verlusten.

Siebtens, so wird aus den Wahlergebnissen gefolgert, wir alle müssten in den „Kampf gegen rechts“ ziehen.

Stellung zu nehmen ist wichtig, ob das schon ein „Kampf“ ist, sei dahin gestellt. Mindestens ebenso wichtig wie die Haltung der Zivilgesellschaft ist aber, dass die staatlichen Institutionen endlich das tun, was ihre Aufgabe ist. Rassistische Parteien nutzen jede Bruchlinie für ihre Agitation; die AfD möchte die multiethnische Realität der Bundesrepublik Deutschland sprengen und je nach politischer Opportunität bzw. daraus entstehenden Machtchancen einzelne Gruppen zur Zielscheibe machen oder aus dem Land jagen, wie Gauland das formuliert hat. Dass die Bürgerrechte all derer, die anders aussehen oder anderer Meinung sind, derzeit im Netz und auf der Straße nicht wirksam verteidigt werden, hängt mit der verfehlten Innenpolitik der letzten Jahrzehnte zusammen. Beides, die Sicherheit auf den Straßen und die Beendigung der rechtsextremen Hetze im Netz, kann nur der Staat gewährleisten. Verantwortlich sind seine VertreterInnen in den Ministerien und Polizeistationen. Nur erlebt, während die Alltagskriminalität einen historischen Tiefpunkt erreicht hat, die rassistisch motivierte, menschenfeindliche Kriminalität einen Höhepunkt. Demonstrationen gegen rechts mögen für die eigene Stimmung hilfreich sein (und es ist wichtig, öffentlich zu zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lassen will), gegen die Überfälle und Übergriffe im Alltag helfen sie wenig. Und was die Eingebungen mancher Antifa-VertreterInnen angeht, etwa die „Outing“ Aktionen gegen AfD-Aktivisten auf Indymedia, sollte man diskutieren, ob es richtig ist, die Methoden des Gegners zu übernehmen, und weshalb die historische Antifa gescheitert ist.

Was könnte anstelle dieser (und ähnlicher)  Vermutungen  weiterführen? Zentrale Aufgabe der Verantwortlichen in den jetzt neu zu bildenden Regierungen wird ein Neuanfang mit einer menschenrechtsorientierten Innenpolitik sein. Es gilt, die alltäglichen Grenzüberschreitungen zu unterbinden und zu verfolgen, bei denen aus menschenverachtenden Reden die physische oder psychische Verletzung von Menschen wird – auch und gerade dann, wenn sie von „den eigenen Leuten“ ausgehen. Gelingt das nicht, bleibt der Umgang der Polizei mit Rechten und Linken und der Umgang von Rechten und Linken mit der Polizei ein dauerndes politisches Risiko und ein Sprengsatz für jede demokratische Koalition.

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