Der Fettstuhl
Eines Tages las ich über einen Streit zwischen der Witwe von
Joseph Beuys und dem Assistenten von Joseph Beuys, der
eigentlich kein Assistent war, sondern eher ein Manager .
Sie stritten sich über zwei Fettstühle. Frau Beuys war im
Besitz eines Fettstuhles und der Assistent war im Besitz
eines Fettstuhles. Der Streit entzündete sich vor der
ersten großen Retrospektive des Künstlers im Gropius- Bau zu
Berlin. Für die Ausstellung war nur ein Fettstuhl vorgesehen,
ein zweiter machte keinen Sinn. In der inzwischen schon
juristisch öffentlich geführten Auseinandersetzung bekämpften
sich die beiden Parteien, wer den originären, den ersten,
den also einzig bedeutenden Fettstuhl besitze, der in der
Ausstellung gezeigt werden sollte.
Das brachte mich auf eine Idee.
In einer kleinen Galerie in Nijmwegen, Holland, hatte ich
einmal eine Ausstellung. Der Galerist zeigte Ende der
70er und Anfang der 80er Jahre auch Arbeiten von
Klaus Staeck und Joseph Beuys, in jeweils getrennten
Einzelausstellungen. Für diese Ausstellungen musste ein
Pflichtprogramm absolviert werden. Die erste Bedingung
bestand in der persönlichen Anreise, die zweite, eine Erbsensuppe
im Kreise der Familie des Galeristen zu akzeptieren, und die
Dritte, während der Ausstellungseröffnung mit den Besuchern
zu diskutieren, natürlich über die eigene Arbeit.
Ich wusste, Beuys hatte wie ich, alle drei Punkte absolviert.
Er kam mit dem Taxi aus Düsseldorf, er hatte sicherlich auch
die Erbsensuppe gegessen und er hatte, was er sehr liebte, seine
Mission erfüllt und seine künstlerischen Weltanschauungen mit den
Besuchern diskutiert. Ich telefonierte mit dem Galeristen und
kündigte meine Ankunft in den nächsten Tagen an. Da ich mich
seit fünf Jahren nicht mehr gemeldet hatte, zeigte er seine Überraschung.
Den Grund meines Besuches nannte ich noch nicht.
Ich hatte mich im Haus des Galeristen immer sehr wohl gefühlt.
Mit Frau und Kindern lebte er am Rande der Stadt, an einer
sehr befahrenen Autostraße, deren Geräusch man auch noch
im Garten hinter dem Haus hörte, aber durch die reizvolle
Umgebung und die Gastfreundlichkeit der Familie vergaß.
Holländische Kekse und Tee, Schokolade und gehäkelte
Tischdecken strahlten Wärme und Gediegenheit aus,
man fühlte sich in einem anderen Land, aber wie zu Hause.
Der Galerist, ein kleiner schmaler Mann mit einem grauen Vollbart
und einer Nickelbrille öffnete mir die Tür und zeigte mir gleich
seine Freude über mein Erscheinen. Auch ich war damals angereist,
hatte meine Erbsensuppe gegessen und mit den Ausstellungsbesuchern
über meine engagierten Karikaturen und Fotomontagen diskutiert.
Inzwischen hatte man sich auch
in Berlin gesehen und näher kennen gelernt. Die fünfjährige
Kontaktpause war im Nu überbrückt. Bei einer Tasse Tee und der
Absicherung auch die Nacht bleiben zu können,
kam ich direkt auf den Grund meines Besuches.
„ Joseph Beuys war doch auch persönlich bei seiner
Eröffnung in deiner Galerie?“
„Ja natürlich,“ erwiderte der Galerist in holländisch gefärbten Deutsch,
ähnlich der Stimme eines bekannten holländischen Unterhaltungskünstlers.
„Ja, natürlich, er kam mit einem Taxi direkt aus der Kunsthochschule
in Düsseldorf zur Eröffnung und fing sofort an zu reden.
Wir hatten ihm auf Wunsch zwei große grüne Schiefertafeln
aufgestellt, auf die er während seiner Ausführungen mit weißer Kreide
seine sogenannte soziale Plastik erklärte.“
„Habt ihr die denn noch?“
„Was für eine Frage, von dir haben wir doch auch noch das
signierte Plakat plus Originalzeichnung, die du spontan angefertigt hast.“
„Wo sind denn die Schiefertafeln?“
„ Möchtest du eine kaufen? Vor ein paar Tagen hat Klaus Steack
angerufen und nach einer Tafel gefragt. Vierzigtausend DM auf die
Hand hat er mir für eine geboten, nicht wissend, das wir zwei haben.
Eine ist allerdings nicht mehr brauchbar, die hat unsere
Katze zu sehr gemocht und sich immer daran gerieben, so
dass jetzt alles verwischt ist, aber die andere,
die haben wir sofort nach dem Anruf konservieren lassen
und in einer Bank deponiert.“
“Aber Vierzigtausend, das ist doch ein guter Preis,“ murmelte ich,
„also ich könnte das sowieso nicht“.
„Jetzt stell dir doch mal vor, gestern rief ein Galerist aus Berlin an,
der fragte auch nach einer Tafel und ohne eine Abbildung oder
eine Kopie zu sehen, bot der Minimum Hunderttausend DM.
Ich habe gleich einige Polaroids gemacht und zeige diese
dem Galeristen bei der Eröffnung der Retrospektive von Beuys in Berlin.
Wir werden uns also in Kürze wiedersehen.
Ich bin sicher, bei Hunderttausend wird der Preis nicht bleiben.
Beuys ist heiß. Mein Gott, wenn ich daran denke, wie die beiden
Tafeln hier einfach in unserem Haus herumstanden.
Mir wird ganz schlecht.“
„Du bist herzlich eingeladen, in meinem Atelier zu übernachten,
aber jetzt möchte ich dir von meinem Vorhaben berichten.“
Ich erzählte ihm vom Streit zwischen Beuys’ Witwe und dessen
Assistenten, vom Fettstuhl und von einer realen Linie die
man als Lunte zuerst legen muss, damit ein Fake funktioniert.
Das Wort Fake, hatte er noch nie gehört und ich erzählte
ihm von einer Simulation, die man in der Realität durchspielt,
wie ein soziales Experiment und dass sich der Faker vom
Fälscher dadurch abgrenzt, das der Faker nach dem
gelungenen Coup die Simulation aufdeckt, an die Öffentlichkeit geht,
Aufklärung möchte und den Vorgang zur Diskussion stellt,
der Fälscher dagegen immer im Dunkeln bleiben möchte
und vor allem ein pekuniäres Interesse an seiner Fälschung hat.
„Ja und was habe ich damit zu tun?“ fragte der Galerist.
„Ganz einfach, Beuys hat bei dir den eigentlichen, den
echten, einzig wahren Fettstuhl gezimmert, den ich dir
demnächst bauen werde, hier, so einfach sieht der aus.“
Ich hielt ihm ein Foto des Beuysschen Fettstuhles hin.
Er sah einen alten Küchenstuhl mit einem Fettkeil auf der Sitzfläche.
„Du bist der Besitzer dieses dritten, aber für uns und bald
für die Kunstszene einzig wahren Fettstuhles, denn Beuys war
bei dir, er hat bei dir ausgestellt, das ist dokumentiert.“
„Du meinst, ich habe einen Fettstuhl?“
„Ja, genau und er ist ganz einfach herzustellen, sozusagen keine Kunst.“
Ich merkte, wie es im Gehirn des Galeristen arbeitete.
„Ja, kann man das denn einfach so machen, ich meine, also,
das musst du mir noch einmal erklären.“
Er setzte seinen bunten Teebecher ab, nahm sich
einen Schnaps aus der Genever Flasche, fragte, ob ich auch
einen Schluck haben wollte, was ich bejahte, prostete mir zu,
setzte das Glas an die Lippen und schwieg.
„Du musst das alles von der spielerischen Seite sehen,“
begann ich von Neuem, „also in der Tradition von Dada und
Happening. Das wird ein großer Spaß.“
Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Zug zurück nach Berlin.
Der Galerist hatte sich zur Eröffnung der Beuysretrospektive,
die in drei Wochen stattfand, als Besucher bei mir angemeldet.
Wir trennten uns mit seinen mehrmals wiederholten Worten,
er denke über alles nach, käme nach Berlin, wohne bei mir,
treffe sich zur Eröffnung mit dem Galeristen, der dieses
große Interesse am Kauf der Schiefertafel zeigte, und dann
wäre mein Fettstuhl an der Reihe.
Gemeinsam gingen wir zur Eröffnung in den Gropius- Bau.
Der holländische Galerist traf den Galeristen aus Berlin
und zeigte seine Polaroids mit der Schiefertafel. Beide
unterhielten sich angeregt über das besondere Exemplar
der Tafel, auf der Beuys sehr ausführlich mit Kreisen
und Pfeilen seine Intentionen festgehalten hatte. Man
kam überein, dass es sich um eine außergewöhnliche
Arbeit handelt, die ihren Preis Wert sei. Der Galerist
bot jetzt 250 000 DM. Mein holländischer Freund mit
seiner kleinen winzigen Galerie in Nijmwegen tat etwas,
was ich ihm nie zugetraut hätte, er lehnte diesen Preis ab.
Während des Rundganges fragte ich ihn, warum er
diesen doch sehr hohen Preis abgelehnt habe.
„Zuerst kommt einer mit Vierzigtausend, dann bietet
einer Hunderttausend, ohne die Tafel gesehen zu haben
und dieser bietet auf Grund des Polaroid-Bildes
Zweihundertfünfzigtausend, dann wird es auch einen geben,
der Fünfhunderttausend bietet. Ich habe keine Lust mehr
in diesem Haus zu wohnen, es ist mir einfach zu laut.“
Das leuchtete mir ein, immerhin war er ein Galerist, der
zwar an meiner Ausstellung so gut wie nichts verdient hatte,
aber das Prinzipielle eines Galeristen wohl verstanden hatte,
im richtigen Augenblick das Richtige zu tun.
Wir gingen schweigend an den Objekten von Beuys entlang.
„Und was deinen Fettstuhl betrifft, den musst du nicht bauen.
Aus der Sache wird nichts.
Stell dir mal vor, der Fake funktioniert und der Fettstuhl
hat seine Schuldigkeit getan, was passiert dann?“
Ich schaute ihn fragend an.
„Na, das ist doch ganz klar. Wenn der Fettstuhl nicht
echt ist, aber mir gehört, dann
ist doch die echte Schiefertafel auch nicht echt, oder? Ich will
da raus, ich kann den Motorenlärm nicht mehr hören.
Ich hoffe, du verstehst das. Also keinen Fettstuhl bitte, sorry.“
Später erfuhr ich, dass der Galerist seinen avisierten Preis für
die Beuys-Tafel nicht bekommen hatte, nirgends.
Schließlich verkaufte er die Tafel für Hunderttausend DM,
der Kurs für Beuys war gefallen. All das erfuhr ich an
der Mündung des Canale Grande, auf der Seite der Kirche
Santa Maria della Salute. Dort traf ich den Galeristen mit
seiner Frau, an der Spitze der Mündung, inmitten einiger Touristen.
Er war wie jedes Jahr zur Biennale Venedig gefahren. Seine
Frau bemerkte ich von hinten, den schönen langen blonden
geflochtenen Zopf ; instinktiv wusste ich, dass sie es war.
Nicht weit von ihr stand ihr Mann, der holländische Galerist,
an einer Hand einen großen durchsichtigen Plastikbeutel
mit dicken Katalogen.
„Hallo, was für ein Zufall, wir waren auf der Biennale,
immer wieder interessant. Wir gehen jedes Jahr.“
Es waren inzwischen siebzehn Jahre vergangen, seit
unserem letzten Treffen. Ich hielt mich ohne einen
speziellen Grund auf Einladung von italienischen Freunden
für ein paar Tage in Venedig auf. Die Freunde besaßen eine
Wohnung in einem Palazzo, der direkt gegenüber auf der
anderen Seite des Canale Grande stand.
Vor Jahren hatte ich einmal kurz die Biennale besucht,
aber schnell wieder verlassen.
„Ich wohne dort drüben in dem Palazzo, habt ihr Zeit,
dann können wir für einen Euro rübersetzen und einen Tee
zusammen trinken.“
Sie schauten mich ungläubig an.
„Ja, das ist dein Palazzo und dein Schiff und…. nein, nein , wie
war das noch wie hieß der Fettstuhl noch: Fake oder so ähnlich.
Wir glauben dir gar nichts, Einladung in den Palazzo,
vielleicht ein anderes Mal, bis dann, Tschau, Arrividerci“
Schnell verschwanden sie über eine kleine Brücke
zwischen den schmalen Gassen.