Nächtliche Begegnung
Am frühen Nachmittag fuhr ich mit dem Fahrrad in
das Haus der Familie, beglückwünschte die Hausherrin
zu ihrem schönen Fest, überreichte ein kleines Geschenk und
setzte mich in die Runde. Kaffe und Streuselkuchen
wurden gereicht und unmittelbar anschließend kam die erste „Lüttje Lage“
auf den Tisch, Bier und Korn.
Gegen ein Uhr nachts fuhr den gleichen
Weg zurück, innerlich gestärkt und warm, eine Pudelmütze
auf dem Kopf, die man mir spontan über die Ohren gezogen hatte.
An einer Brücke stand ein einzelnes Auto aus dem plötzlich
zwei Polizeibeamte heraussprangen und mich fest-
hielten. Ich hatte nicht bemerkt, dass es sich
um ein Polizeiauto handelte, es nieselte leicht.
Der eine Beamte hielt mich am Arm fest, der andere
packte beide Hände um den Gepäckträger, um mich zu stoppen.
„Absteigen, sofort absteigen.“
Ich hielt an.
„Geht mein Rücklicht nicht?“ fragte ich. „Ich werds’ reparieren, aber
jetzt muss ich nach Hause. Gleich ist Weihnachten.“
Mit diesen Worten versuchte ich wieder auf mein Rad zu steigen.
„Nix da, nix da. Wo kommen Sie her?
„Ich war bei den Schlüters, Mutter Schlüter hat Geburtstag.“
„Ihre Papier bitte.“
„Was für Papiere?“
„Ihren Ausweis, aber ein bisschen hopp.“
„Hab keinen Ausweis. Ich komme gerade von den Schlüters,
Mutter Schlüter hat Geburtstag, wir haben schön gefeiert und jetzt
möchte ich nach Hause.“
„Wie heißen Sie?“
„Kuhscheiße.“
„Wie heißen Sie?
„Kuhscheiße.“
Ein Beamter umschloss mit festem Griff meinen Arm und drückte
mich in das Polizeiauto. Der andere schnappte das Fahrrad und
stellte es an einen Baum.
„So geht das nicht Freundchen. Jetzt machen wir
erst einmal eine kleine Spritztour.“
Sie brachten mich auf das nächste Polizeirevier, fragten
mich erneut wie ich heiße, ich antwortete mit
„Kuhscheiße“ und nachdem sie die Objekte, aus meinen
Taschen eingesammelt und schriftlich
registriert hatten, schoben sie mich in eine
Zelle und schlossen von außen ab.
Der Raum bestand nur aus einer Pritsche, war aber
angenehm warm. Ich legte mich auf die Decke
und versuchte zu schlafen. Nach einer halben Stunde
hörte ich einen Schlüssel im Schloss, die
Tür wurde einen Spalt geöffnet, ein Kopf schaute herein
und fragte.
„Wie heißen Sie?“
„Kuhscheiße.“
Die Tür fiel wieder ins Schloss.
Im Rhythmus einer halben Stunde wurde diese
Befragung fortgesetzt. Ich antwortete regelmäßig
mit dem gleichen Namen „Kuhscheiße“.
Am Morgen, es wurde hell, ich hörte die Geräusche der
ersten Busse, hie und da eine Stimme.
In unserer Familie wurde der Weihnachtsbaum immer am
Morgen des Heiligen Abend geschmückt. In den letzten Jahren
hatte ich versucht, mich diesem Zeremoniell zu entziehen, was
mir aber nicht gelang. Meine Aufgabe bestand darin, den
Weihnachtsbaum in einen Eimer mit Erde zu stecken und dafür
zur sorgen, dass er nicht umfällt. Sicherlich
wurde mein Fernbleiben bemerkt und es war nicht klar,
wann ich aus der Zelle kam.
Die Tür wurde geöffnet, eine Stimme fragte, wie ich heiße.
Ich nannte meinen richtigen Namen.
Diesmal dauerte es zwei Stunden, dann öffnete sich erneut die Tür.
„Das hätten Sie mal gleich sagen sollen, dass Sie so
heißen. Holen Sie bitte ihre Sachen ab.“
Ich unterschrieb ein Protokoll mit „Kuhscheiße“
und machte mich auf den Weg.