vonErnst Volland 04.09.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Nächtliche Begegnung                                               

 

 

 

 

Am frühen Nachmittag fuhr ich mit dem Fahrrad in

das Haus der Familie, beglückwünschte die Hausherrin

zu ihrem schönen Fest, überreichte ein kleines Geschenk und

setzte mich in die Runde. Kaffe und Streuselkuchen

wurden gereicht und unmittelbar anschließend kam die erste „Lüttje Lage“

auf den Tisch, Bier und Korn.

Gegen  ein Uhr nachts fuhr den gleichen

Weg zurück, innerlich gestärkt und warm, eine Pudelmütze

auf dem Kopf, die man mir spontan über die Ohren gezogen hatte.

An einer Brücke stand ein einzelnes Auto aus dem plötzlich

zwei Polizeibeamte heraussprangen und mich fest-

hielten. Ich hatte nicht bemerkt, dass es sich

um ein Polizeiauto handelte, es nieselte leicht.

Der eine Beamte hielt mich am Arm fest, der andere

packte beide Hände um den Gepäckträger, um mich zu stoppen.

„Absteigen, sofort absteigen.“

Ich hielt an.

„Geht mein Rücklicht nicht?“ fragte ich. „Ich werds’ reparieren, aber

jetzt muss ich nach Hause. Gleich ist Weihnachten.“

Mit diesen Worten versuchte ich wieder auf mein Rad zu steigen.

„Nix da, nix da. Wo kommen Sie her?

„Ich war bei den Schlüters, Mutter Schlüter hat Geburtstag.“

„Ihre Papier bitte.“

„Was für Papiere?“

„Ihren Ausweis, aber ein bisschen hopp.“

„Hab keinen Ausweis. Ich komme gerade von den Schlüters,

Mutter Schlüter hat Geburtstag, wir haben schön gefeiert und jetzt

möchte ich nach Hause.“

„Wie heißen Sie?“

„Kuhscheiße.“

„Wie heißen Sie?

„Kuhscheiße.“

Ein Beamter umschloss mit festem Griff meinen Arm und drückte

mich in das Polizeiauto. Der andere schnappte das Fahrrad und

stellte es an einen Baum.

„So geht das nicht Freundchen. Jetzt machen wir

erst einmal eine kleine Spritztour.“

Sie brachten mich auf das nächste Polizeirevier, fragten

mich erneut wie ich heiße, ich antwortete mit

„Kuhscheiße“ und nachdem sie die Objekte, aus meinen

Taschen eingesammelt und schriftlich

registriert hatten, schoben sie mich in eine

Zelle und schlossen  von außen ab.

Der Raum bestand nur aus einer Pritsche, war aber

angenehm warm. Ich legte mich auf die Decke

und versuchte zu schlafen. Nach einer halben Stunde

hörte ich einen Schlüssel im Schloss, die

Tür wurde einen Spalt geöffnet, ein Kopf schaute herein

und fragte.

„Wie heißen Sie?“

„Kuhscheiße.“

Die Tür fiel wieder ins Schloss.

Im Rhythmus einer halben Stunde wurde diese

Befragung fortgesetzt. Ich antwortete regelmäßig

mit dem gleichen Namen „Kuhscheiße“.

Am Morgen, es wurde hell, ich hörte  die Geräusche der

ersten Busse, hie und da eine Stimme.

In unserer Familie wurde der Weihnachtsbaum immer am

Morgen des Heiligen Abend geschmückt. In den letzten Jahren

hatte ich versucht, mich diesem Zeremoniell  zu entziehen, was

mir aber nicht gelang. Meine Aufgabe bestand darin, den

Weihnachtsbaum in einen Eimer mit Erde zu stecken und dafür

zur sorgen, dass er nicht umfällt. Sicherlich

wurde mein Fernbleiben bemerkt und es war nicht klar,

wann ich aus der Zelle kam.

Die Tür wurde geöffnet, eine Stimme fragte, wie ich heiße.

Ich nannte meinen richtigen Namen.

Diesmal dauerte es zwei Stunden, dann öffnete sich erneut die Tür.

„Das hätten Sie mal gleich sagen sollen, dass Sie so

heißen. Holen Sie bitte ihre Sachen ab.“

Ich unterschrieb ein Protokoll mit  „Kuhscheiße“

und machte mich auf den Weg.

 

 

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