Mr. Go
Nachts um zwei Uhr kreist der Joint im dunklen Lokal.
Es ist das Mr. Go. An der Wand flimmert ein Farbfilm, Thomas Crown
ist nicht zu fassen. Die Bilder sind kaum zu erkennen, der Raum ist
mit dicken Rauchwolken gefüllt und ab und zu huscht
ein Schatten durch die helle Leinwand, die einzige
Lichtquelle im Raum. Auf Bänken und am Boden hocken
Menschen in Jeansjacken, rauchen, trinken und versuchen
mit ihrem Nachbar zu kommunizieren, was schwierig ist, denn aus
Lautsprechern dröhnt Musik. Innagadadavida.
Ich ziehe an einem mir im Dunkel gereichten Berliner dreifach
gepackten Joint und gebe weiter. Seit einer Stunde
sitze ich hier mit meiner Freundin in einem Ort ohne Zeit und Raum.
Unsichtbare Wellen der Übereinstimmung, ein echtes Gefühl
von Peace durchzieht die Szene, das Saugen am Joint verbindet und
ersetzt jede Kommunikation.
„Da liegt jemand in der Mädchentoilette, hallo, wer
kennt die.“
Im Film steigt Steve McQueen in seinen Rennwagen und schießt die
Böschung hinunter, dreht den Wagen hundertachtzig Grad um die
eigene Achse und bleibt stehen.
„Hallo, hallo, da liegt jemand auf der Damentoilette, blutet stark,
ist hier ein Günter?“
Mit quietschenden Reifen, die Dreck und Staub aufwirbeln, startet
Mc Queen erneut.
„Ist hier ein Günter, Günter?“
Erst jetzt realisiere ich, dass ich Günter heiße.
„Ja, hier, was ist denn los?“
„Da liegt jemand bei Frauen und lallt was von Günter, ist das
deine Olle?“
Ich taste mich durch den Raum, Steve Mc Queen zieht eine Pistole,
steige über Körper, gehe einen langen
Gang entlang, schaue auf das Weiblichkeitsemblem- Kreis mit versetztem
Pfeil- um mich zu vergewissern, die richtige Tür zu erwischen und
betrete zögerlich die Damentoilette.
Damentoiletten sind für Männer tabu. Verirrt sich einmal ein Mann und wird
von Frauen bemerkt, ist dieser schnell wieder draußen.
Ich bin überrascht, es riecht unangenehm, nach Kot und Urin
auf der Damentoilette, das hatte ich nicht erwartet.
Ein kleines Fenster steht weit offen.
Meine Freundin liegt am Boden und sieht mich an, ohne die Augen zu
bewegen.
„Keine Angst, sie atmet. Bist du Günter?“
„Ja, wie ist das passiert?“
„Sie muss gegen die Kanten der Heizung gefallen sein, mit dem Hinterkopf.“
Ich beuge mich über sie, drehe den Kopf zu Seite. Ihre langen
dunkelbraunen Haare fallen über das Gesicht. Das Blut verklebte
einen Teil der Haare am Hinterkopf zu einem Klumpen.
„Sie muss sofort ins Krankenhaus.“
„Hat jemand ein Auto, ich habe kein Auto.“
Um mich herum stehen drei Frauen. Keine hat ein Auto.
„Kannst du mal auf sie aufpassen, ich versuche ein Auto zu
organisieren.“
Ich gehe hastig zurück und spreche jeden an.
„Hat jemand ein Auto, ich muss
meine Freundin ins Krankenhaus bringen. Hallo, es
ist dringend, sie ist verletzt. Hat jemand ein Auto?“
„Ja, ich, ich bringe sie ins Urbahn Krankenhaus, das ist das nächste.“
„Prima, danke, ich hole sie.“
Ich schultere meine Freundin und legte sie auf den Rücksitz
des hellblauen Volkswagen. Sie hatte sich etwas erholt,
sprach aber kaum.
Es ist in dieser Nacht nicht viel los auf der Notaufnahmestation
und wir kommen nach den notwendigen Angaben unserer
Personalien sofort zur Behandlung.
„Mein Name ist Dr. Nabavi , was kann ich für Sie tun?“
„Meine Freundin ist in der Kneipe plötzlich
umgefallen und gegen einen spitzen Gegenstand gestoßen.“
„Dann legen sie sich mal bitte auf dieses Bett, ich schaue
mir das mal an.“
Er zieht zuerst die Augenlieder hoch und sagt sofort.
„Sie haben Haschisch geraucht.“
Was sollte man dazu sagen. Es war keine Frage, es war
eine fachliche Feststellung. Der Mann ist Arzt, und auch noch Perser.
Der wird wissen, was Haschisch ist und welche Wirkung
es haben kann, dachte ich mir und erwiderte nichts.
„Sie haben wahrscheinlich Glück gehabt. Jetzt muss
sie zur Sicherheit zur Röntgenabteilung gehen. Dann
kann ich eine genaue Diagnose geben.“
Die Röntgenabteilung befindet sich in einem Flachbau isoliert
von anderen Abteilungen. Im Vorraum stehen einzelne
Rollstühle, auch einige alte Modelle, die noch ihren Dienst im
Zweiten Weltkrieg getan haben müssen.
„Sie bleiben draußen, ist das klar!“
Die Stentorstimme einer Krankenschwester mit jahrelanger Praxis
stoppte meine Bewegungen.
„Ja, Sie sind gemeint, das Mädel legt sich hier auf den Tisch zum
Röntgen und Sie bleiben draußen. Ist das klar?“
Es ist immer noch Nacht. Ich schaue um die Ecke, in den
Röntgenraum hinein.
Wie in einem Frankenstein-Movie liegt meine Freundin vor der
fülligen Krankenschwester,
die sich gerade über sie beugt, um Gerätschaften zu
befestigen. Der Raum ist fast dunkel, nur mattes Licht kommt aus
einer Lichtquelle direkt über den beiden Personen
und erleuchtet die Szene.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, sie sollen draußen bleiben.
Sonst mache ich hier nicht weiter.“
Ich bewege mich ins Vorzimmer, setze mich in
einen der alten Rollstühle, umgreife mit beiden Händen die
Bewegungshebel, gehe in die Startposition und gebe Gas, fahre mitten in den
Röntgenraum hinein, steuere auf den Tisch zu, auf dem meine Freundin
liegt, umkreise ihn mit hastigen Armbewegungen
und rolle zurück in das Vorzimmer.
Ich sehe die weissbekittelte Krankenschwester starr vor Schreck mit
aufgerissenen Augen, die Arme seitlich abgewinkelt zu einer Säule
erstarrt. Etwas klirrt zu Boden, meine Freundin hebt stumm den Kopf
an versucht aus den Augenwinkeln heraus die Situation zu erfassen.
Es ist mehr ein Reflex, sie kann sich nicht erklären, was sie sieht.
Der Berliner Dreifach-Joint muss eine pralle Füllung gehabt haben.
Schwach höre ich, wie die Krankenschwester mit irgendjemand
am Telefon spricht.
„Hilfe Hilfe, hier ist ein Verrückter, Hilfe.“
Ich steige aus dem Rollstuhl und gehe aus dem Gebäude. Drei
Männer in weißen Kitteln, Krankenpfleger, rennen an mir vorbei.
„Wo ist er“, ruft einer der Männer.
Ich zeige mit ausgestrecktem Arm in die Richtung, aus der
ich gekommnen bin.
„Da hinten.“