vonErnst Volland 21.09.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Mr. Go                                                                                 

 

Nachts um zwei Uhr kreist der Joint im dunklen Lokal.

Es ist das Mr. Go. An der Wand flimmert ein Farbfilm, Thomas Crown

ist nicht zu fassen. Die Bilder sind kaum zu erkennen, der Raum ist

mit dicken Rauchwolken gefüllt und ab und zu huscht

ein Schatten durch die helle Leinwand, die einzige

Lichtquelle im Raum. Auf Bänken und am Boden hocken

Menschen in Jeansjacken, rauchen, trinken und versuchen

mit ihrem Nachbar zu kommunizieren, was schwierig ist, denn aus

Lautsprechern dröhnt Musik. Innagadadavida.

Ich ziehe an einem mir im Dunkel gereichten Berliner dreifach

gepackten Joint und gebe weiter. Seit einer Stunde

sitze ich hier mit meiner Freundin in einem Ort ohne Zeit und Raum.

Unsichtbare Wellen der Übereinstimmung, ein echtes Gefühl

von Peace durchzieht die Szene, das Saugen am Joint verbindet und

ersetzt jede Kommunikation.

„Da liegt jemand in der Mädchentoilette, hallo, wer

kennt die.“

Im Film steigt Steve McQueen in seinen Rennwagen und schießt die

Böschung hinunter, dreht den Wagen hundertachtzig Grad um die

eigene Achse und bleibt stehen.

„Hallo, hallo, da liegt jemand auf der Damentoilette, blutet stark,

ist hier ein Günter?“

Mit quietschenden Reifen, die Dreck und Staub aufwirbeln, startet

Mc Queen erneut.

„Ist hier ein Günter, Günter?“

Erst jetzt realisiere ich, dass ich Günter heiße.

„Ja, hier, was ist denn los?“

„Da liegt jemand bei Frauen und lallt was von Günter, ist das

deine Olle?“

Ich taste mich durch den Raum, Steve Mc Queen zieht eine Pistole,

steige über Körper, gehe einen langen

Gang entlang, schaue auf das Weiblichkeitsemblem- Kreis mit versetztem

Pfeil- um mich zu vergewissern, die richtige Tür zu erwischen und

betrete zögerlich die Damentoilette.

Damentoiletten sind für Männer tabu. Verirrt sich einmal ein Mann und wird

von Frauen bemerkt, ist dieser schnell wieder draußen.

Ich bin überrascht, es riecht unangenehm, nach Kot und Urin

auf der Damentoilette, das hatte ich nicht erwartet.

Ein kleines Fenster steht weit offen.

Meine Freundin liegt am Boden und sieht mich an, ohne die Augen zu

bewegen.

„Keine Angst, sie atmet. Bist du Günter?“

„Ja, wie ist das passiert?“

„Sie muss gegen die Kanten der Heizung gefallen sein, mit dem Hinterkopf.“

Ich beuge mich über sie, drehe den Kopf zu Seite. Ihre langen

dunkelbraunen Haare fallen über das Gesicht. Das Blut verklebte

einen Teil der Haare am Hinterkopf zu einem Klumpen.

„Sie muss sofort ins Krankenhaus.“

„Hat jemand ein Auto, ich habe kein Auto.“

 Um mich herum stehen drei Frauen. Keine hat ein Auto.

„Kannst du mal auf sie aufpassen, ich versuche ein Auto zu

organisieren.“

Ich gehe hastig zurück und spreche jeden an.

„Hat jemand ein Auto, ich muss

meine Freundin ins Krankenhaus bringen. Hallo, es

ist dringend, sie ist verletzt. Hat jemand ein Auto?“

„Ja, ich, ich bringe sie ins Urbahn Krankenhaus, das ist das nächste.“

„Prima, danke, ich hole sie.“

Ich schultere meine Freundin und legte sie auf den Rücksitz

des hellblauen Volkswagen. Sie hatte sich etwas erholt,

sprach aber kaum.

Es ist in dieser Nacht nicht viel los auf der Notaufnahmestation

und wir kommen nach den notwendigen Angaben unserer

Personalien sofort zur Behandlung.

„Mein Name ist Dr. Nabavi , was kann ich für Sie tun?“

„Meine Freundin ist in der Kneipe plötzlich

umgefallen und gegen einen spitzen Gegenstand gestoßen.“

„Dann legen sie sich mal bitte auf dieses Bett, ich schaue

mir das mal an.“

Er zieht zuerst die Augenlieder hoch und sagt sofort.

„Sie haben Haschisch geraucht.“

Was sollte man dazu sagen. Es war keine Frage, es war

eine fachliche Feststellung. Der Mann ist Arzt, und auch noch Perser.

Der wird wissen, was Haschisch ist und welche Wirkung

es haben kann, dachte ich mir und erwiderte nichts.

„Sie haben wahrscheinlich Glück gehabt. Jetzt muss

sie zur Sicherheit zur Röntgenabteilung gehen. Dann

kann ich eine genaue Diagnose geben.“

Die Röntgenabteilung befindet sich in einem Flachbau isoliert

von anderen Abteilungen. Im Vorraum stehen einzelne

Rollstühle, auch einige alte Modelle, die noch ihren Dienst im

Zweiten Weltkrieg getan haben müssen.

„Sie bleiben draußen, ist das klar!“

Die Stentorstimme einer Krankenschwester mit jahrelanger Praxis

stoppte meine Bewegungen.

„Ja, Sie sind gemeint, das Mädel legt sich hier auf den Tisch zum

Röntgen und Sie bleiben draußen. Ist das klar?“

Es ist immer noch Nacht. Ich schaue um die Ecke, in den

Röntgenraum hinein.

Wie in einem Frankenstein-Movie liegt meine Freundin vor der

fülligen Krankenschwester,

die sich gerade über sie beugt, um Gerätschaften zu

befestigen. Der Raum ist fast dunkel, nur mattes Licht kommt aus

einer Lichtquelle direkt über den beiden Personen

und erleuchtet die Szene.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, sie sollen draußen bleiben.

Sonst mache ich hier nicht weiter.“

Ich bewege mich ins Vorzimmer, setze mich in

einen der alten Rollstühle, umgreife mit beiden Händen die

Bewegungshebel, gehe in die Startposition und gebe Gas, fahre mitten in den

Röntgenraum hinein, steuere auf den Tisch zu, auf dem meine Freundin

liegt, umkreise ihn mit hastigen Armbewegungen

und rolle zurück in das Vorzimmer.

Ich sehe die weissbekittelte Krankenschwester starr vor Schreck mit

aufgerissenen Augen, die Arme seitlich abgewinkelt zu einer Säule

erstarrt. Etwas klirrt zu Boden, meine Freundin hebt stumm den Kopf

an versucht aus den Augenwinkeln heraus die Situation zu erfassen.

Es ist mehr ein Reflex, sie kann sich nicht erklären, was sie sieht.

Der Berliner Dreifach-Joint muss eine pralle Füllung gehabt haben.

Schwach höre ich, wie die Krankenschwester mit irgendjemand

am Telefon spricht.

„Hilfe Hilfe, hier ist ein Verrückter, Hilfe.“

Ich steige aus dem Rollstuhl und gehe aus dem Gebäude. Drei

Männer in weißen Kitteln, Krankenpfleger, rennen an mir vorbei.

„Wo ist er“, ruft einer der Männer.

Ich zeige mit ausgestrecktem Arm in die Richtung, aus der

ich gekommnen bin.

„Da hinten.“

 

 

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