vonErnst Volland 27.09.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Das Tanzohr.                                                                                 

 

Er sparte sein Taschengeld und bestellte

heimlich das Zaubermittel. In Illustrierten sah er immer

wieder die Anzeige für das Zaubermittel in einer Wimmelanzeige.

Der kleinformatige Hinweis war schlicht wie beeindruckend und

hatte das Motto: Vorher- Nachher. Neben diesen beiden

Worten sah man das Portrait eines Mannes.

Der Unterschied der beiden sonst gleichen Personen bestand in der Stellung

der Ohren. Bei einem Foto lagen sie eng am Kopf an bei dem anderen

Foto standen sie weit ab.

Das Kleingedruckte informierte, dass jeder, der das Mittel kauft und benutzt,

seine wie auch immer abstehenden Ohren für immer angelegt haben

wird.

Der Preis für das Wundermittel war exorbitant hoch, jedenfalls für

einen Schüler, der von seinen Eltern gezwungen wird, eine Tanzschule

zu besuchen und kein eigenes Geld verdient.

Die drohende Tanzstunde war der Anstoß, sich dieser

Methode zu bedienen. Er hatte ein abstehendes Ohr, während das zweite

eng anliegt und er hatte sich viele Gedanken gemacht,

wie er das abstehende in die gleiche Form

bringen konnte wie das anliegende. Denn eines war offensichtlich,

er hatte wirklich ein abstehendes Ohr.

In kälteren Tagen setzte er eine Baskenmütze auf, deren unteren

Rand er umstülpte, um sie moderner,

fast militärisch erscheinen zu lassen. Dabei verschob er die Baskenmütze

so schräg über das abstehende Ohr, dass der Rand den oberen Teil des

Ohres einklemmte und somit in eine anliegende Position gebracht wurde.

Da er ein Problem damit hatte, allein mit einer solchen Baskenmütze

herumzulaufen, überredete er einen Freund, ebenfalls eine

Baskenmütze aufzusetzen, obwohl dieser anliegende Ohren besaß.

Zu zweit schlenderten sie mit Händen in den Hosentaschen

durch die Straßen und spielten modische Avantgarde.

Ihm war klar, dass diese Variante nicht die beste Methode war,

denn der Tanzkurs fand in geschlossenen

Räumen statt und dort musst er sicherlich die Mütze abnehmen.

Nach kurzen, mehrfachen und hitzigen  Diskussionen mit seinen Eltern

hatte er schließlich den Tanzkurs akzeptiert, mit der Gewissheit,

dass dieser auch einen großen Vorteil mit sich brachte.

Näher konnte man nicht an das andere Geschlecht heran-

kommen. Aber auch in dieser positiven Seite steckte sein persönliches

Problem. Nahe dran bedeutete auch: sofort gesehen und damit

meinte er sein abstehendes Ohr. Er meinte überhaupt,

wenn er auf der Straße liefe, oder irgendwo zu Besuch sei, 

starre jeder automatisch auf sein abstehendes Ohr.

Es gab niemanden, der ihm das Gegenteil beweisen

konnte. All diese Teils schmerzhaften Erfahrungen  mündeten

in die Bestellungsaktion.

Nach einigen Tagen kommt die gewünschte Bestellung zu einem

Freund in der Nachbarschaft. Er wollte, dass in seinem engsten Umfeld

niemand etwas von seiner Aktion erfährt, was im Nachhinein

etwas naiv erscheint, da der Erfolg des Mittels ja in seiner optischen

Veränderung zu messen ist.

In der Post lagen eine Bedienungsanleitung und drei kleine

Glasfläschchen, jede mit einer andersfarbigen Flüssigkeit gefüllt.

Rosa, hellblau und weiß.

Im Drehverschluss der Fläschchen steckte ein kleiner Pinsel.

Laut Anleitung sollte man diese Pinsel in die Flüssigkeit

tauchen und in fünfminütigen Abstand hinter das abstehende

Ohr streichen, dann zehn Minuten mit der Hand

das Ohr fest an den Kopf drücken und fertig.

„Bitte betätigen sie diesen Vorgang etwa eine Stunde bevor

sie aus dem Haus gehen oder ihr Besuch kommt.“

Genau sechzig Minuten vor der Tanzstunde führt er nach Anleitung

die Aktion durch, fährt mit dem Bus zur Tanzschule und

setzt sich in die Reihe der männlichen Teilnehmer.

„ Guten Tag meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie zu

Ihrer ersten Tanzstunde und freuen uns, dass sie so zahlreich

gekommen sind. Tanzen, das ist nicht nur eine Schule für

das Leben, das ist auch der erste Schritt zum anderen Geschlecht

und zwar in höflicher Form.“

Er schaute in die Richtung der jungen Damen, die fast alle so

alt waren wie er, aber körperlich weiter entwickelt.

Einige erkannte er, andere vermutete er

zu kennen, da diese ihr Äußeres stark verändert hatten.

„Und jetzt bitte, meine Damen und Herren, jetzt

kommt schon die erste

kleine Aufgabe. Der Herr fordert eine Dame auf, indem

er zur Dame geht, sich verbeugt und fragt. Bitte.

Wollen wir das einmal machen, es ist ganz

einfach. Jeder Herr sucht sich eine Dame aus. Und bitte.“

Der Tanzschullehrer, der in einem schwarzen Anzug seine

Ansprache hielt, strahlte.

„Nicht so schüchtern meine Herren, es kommt jeder dran.“

Auch er stand automatisch auf und ging gerade aus zu

einer Dame. Er war sehr unsicher, nahm den kürzesten Weg, obwohl

er lieber zu einer anderen, blonden gegangen wäre, die ganz außen saß.

„Und jetzt bitte ruhig stehen, jetzt kommt schon Musik. Der Herr fasst die

Dame an und umgekehrt, bitte schauen Sie hier her, so wie ich

es mit meiner Partnerin mache.“

Mit einer Hand griff er um die Taille seiner Partnerin, mit der anderen

hielt er ihren Arm in die Höhe.

„Wir spielen jetzt einen langsamen Fox und sie gehen einfach

immer gerade aus. Zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück,

ganz einfach und bitte.“

Das Paar hielt sich fest und wartete auf die Musik.

Beim ersten Ton der Musik hörte er einen lauten Knall und

anstatt zwei Schritte vorwärts zu gehen, blieb er wie

angewurzelt stehen, mit ihm die verdutzt schauende Tanzpartnerin.

Diese hatte keinen Laut gehört, keinen Ton und auf

keinen Fall einen Knall. Nur er hatte einen Knall gehört

jedenfalls kam ihm  das Vorspringen seines angelegten Ohres

wie ohrenbetäubender Lärm vor, dabei knackte seine

Ohrknorpelmasse nahezu geräuschlos und sein Ohr hatte

seine ursprüngliche Stellung wieder eingenommen

Er fühlt einen stechenden Schmerz am Kopf, merkte, dass er

schweißnasse Hände bekam und rot anlief, ließ seine

Arme fallen und rannte aus dem Tanzraum.

An der Garderobe riss er seinen Mantel vom Haken und ging zu

Fuß nach Hause.

Die drei Glasfläschchen deponierte er in der Mülltonne des

Nachbarhauses.

Seine Eltern haben niemals erfahren, warum der Tanzkurs

ihres Sohnes so schnell beendet wurde. Sie gaben es schließlich auf,

einen neuen zu reservieren.

.

 

 

 

 

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