Der andere Italiener
Die Eisenkugeln stoßen gegeneinander.
„Nicht schlecht, der Specht“, Rudi kommentiert den gelungenen
Schuss seines Boule-Partners immer mit diesem Satz.
Rudi und Günter sind die besten Spieler.
Direkt neben dem Spielfeld befindet sich eine italienische Trattoria.
Der aus Norditalien stammende Besitzer verfügt über
das Getränkemonopol im Umkreis von fünfzig Metern.
Boulespieler lieben es, unmittelbar in der Nähe eine Kneipe zur
Verfügung zu haben. Bruno hat bei den Spielern keinen leichten
Stand. Seine Großmutter muss Schottin gewesen sein, denn er ist bekannt
für seinen Geiz, der sich in kleinen Portionen ausdrückt und in der Tatsache,
dass noch niemand von ihm ein Freigetränk bekam.
„Kann ich dich einen Augenblick sprechen?“
Bruno putzt mit abgewinkelten Armen ein Glas, stellt es zu
den umgestülpten sauberen, die in Reih und Glied auf dem Regal
der Rückwand stehen.
„Nur einen Augenblick.“
Vor der Tür steckt Bruno sich mit den Worten „Mein einziges Laster“
eine Zigarette an.
„Du hast doch einen guten Draht zu einer Journalistin, jedenfalls habe ich das
gehört, die bei dieser Gourmetzeitschrift arbeitet. Ich weiß, sie ist in der
Stadt und bastelt an einem Themenheft Berlin. Kannst du die nicht mal in
meinen Laden holen. Wenn ich mit meinem schönen Restaurant nur ein
paar Zeilen und ein Foto drin habe, bringt das doppelten Umsatz.
Haben wir doch alle was davon.“
„Ich rauche auch ab und zu.“
Umständlich zieht Bruno die tief in der Hosentasche vergrabene
Zigarettenschachtel hervor und drückt sie mir in die Hand.
„Feuer?“ frage ich.
„Bring mir die Dame, bitte.“
„Und was habe ich persönlich davon?
„Ich lade dich zum Essen ein, A la carte. Kannst dir was aussuchen.“
Meine gerade angezündete Zigarette fällt auf den Boden. Mit dem
linken Schuh zerdrücke ich den Rest.
„Bruno, das ist eindeutig zu wenig. Ich mache dir folgenden Vorschlag.
Du gehst mit mir und zwei Frauen meiner Wahl zum feinsten und teuersten
Italiener in der Stadt. Alles auf deine Rechnung, wenn ich die Gourmettante
in deinen Laden bringe.“
Ich sehe, wie die Zahlen in seinem Kopf arbeiten. Vier Personen beim besten
Italiener, das kann einen halben Tausender kosten, der kleine Artikel
in der Gourmetzeitung langfristig Fünftausend und mehr.
„Nur in den Laden kommen reicht nicht, sie muss
was schreiben, dann abgemacht.“
„Also abgemacht, ich bringe sie in den Laden, sie schreibt und dann
zum besten Italiener, mit vier Personen.“
Am Abend rufe ich die Journalistin im Hotel an.
Beate hatte mich vor einigen Wochen gebeten, sie bei ihren
diversen Testessen in verschiedenen Lokalen zu begleiten.
„Hallo, ich möchte gleich zum Punkt kommen.
Ich kenne in der Stadt einen tollen Italiener, zu dem möchte
ich gern gehen“
„Es gibt 1250 Italiener in Berlin, warum soll der so toll sein?“
„Der macht gutes Essen, tiefes Kreuzberg, Boheme,
wohnen ne Menge Künstler.“
„Ne, ich bin müde. Ich mach das nicht mehr auf Zuruf, schlechte
Erfahrungen, weißt du.“
„Ich habe mit dem Besitzer gewettet, wenn ich dich in den Laden bringe,
geht er mit mir und zwei Damen meiner Wahl zum besten
Italiener in der Stadt.“
„Jaja, also gut, wir probieren mal
deinen Italiener, ruf ihn an, wir kommen am Sonntag Abend. Gute Nacht.“
Es ist Freitag. Ich rufe Bruno sofort in seinem Lokal an.
„Du hast Glück gehabt, Bruno, sie kommt am Sonntag.“
„Was, am Sonntag schon?“
„Das ist doch egal, Bruno, dein Laden ist doch am Sonntag geöffnet, sie kommt.
19 Uhr 30.“
„Sieht doch ganz nett aus, hier.“
Beate ist guter Laune.
Mit einer ausladenden Armbewegung öffne ich die Lokaltür.
Bruno empfängt uns sofort mit grinsendem Gesicht, als ob er
hinter den Fensterscheiben auf den Besuch gewartet habe.
„Schön, dass Sie gekommen sind, ich heiße Bruno.“
Erst jetzt bemerke ich die Veränderung im Lokal.
Alle Wände haben eine neue Farbe. Was vorher
Terrakotta-Rot war ist jetzt giftig grün. Ein leichter Geruch von
Mörtel und Kalk schwebt durch den Raum.
Ich nehme Bruno zur Seite.
„Bruno, wir wollen nur essen, es geht nicht um deine Deko.“
„War eine Heidenarbeit in der kurzen Zeit. Hier, alle
Lampen neu, habe ich im Dutzend sehr preisgünstig bekommen.“
Er lächelt Beate von unten nach oben ins Gesicht.
„Aber setzen Sie sich doch, dort in der gemütlichen Ecke ist reserviert.“
Nicht nur die Wände sind frisch gestrichen, auch die Beleuchtung
des Raumes wurde komplett verändert.
Der Tisch ist schön eingedeckt, in der Mitte stehen frische Blumen.
„Als Vorspeise von Haus eine kleine Gemüseplatte. Bitte sehr.“
Bruno stellt neben mir die Metallplatte mit verschiedenen
Gemüsesorten und Salaten vorsichtig auf den Tisch.
Ich habe kurz Zeit, unmittelbar vor meinen Augen
einen großen Schweißfleck zu betrachten, der den Duft jauchigen
Wassers und Urin verströmt. Der Gestank bohrt sich
unvergesslich in meine Nase.
„Guten Appetit, die Herrschaften.“
Beate prüft mit einer Gabel durch Einstechen und Anheben die
Qualität der angebotenen Ware.
„Sieht ganz ordentlich aus, aber hier,
kuckt mal, unter dem großen Champion, dick Schimmel.“
„Jetzt hat Bruno verloren und ich auch. Beate, sag,
das darf doch nicht passieren.“
„Darf eigentlich nicht, kann aber und das im besten Haus. Manchmal hat das
Küchenpersonal schlechte Laune und dann passiert so etwas.
Nichts Neues für mich. Ich bestelle jetzt schlichte Spaghetti
a alio, mal sehen, wie er die macht. Das ist nicht einfach.“
„Ist was nicht in Ordnung mit der Gemüseplatte? Ich hab da einen
Spitzenwein, direkt aus Albi, erste Klasse, Barolo vom Feinsten.“
Hastig hebt Bruno den Deckel zum Keller hinter dem Tresen hoch und
springt ins Dunkle.
Die Gourmetjournalistin Beate ist zufrieden mit den Spaghettis, der Barolo
wird allseits gelobt.
„Jetzt schicke ich meinen Fotografen vor die Tür.
Er wird ein paar Fotos von der Frontansicht machen.
Du kannst Bruno signalisieren, das ich was mache.“
Auf dem Weg zur Toilette zeige ich den linken Daumen in Richtung
Bruno. Der verlässt wie verabredet seinen Platz hinter der Theke
und folgt mir auf die Herrentoilette. Ich stehe vor dem Pinkelbecken
und schaue auf die glatte Wand.
Bruno hält sein Gesicht unter mein Kinn.
„Bringtse, schreibtse, bringtse was?“
„Kann ich mal in aller Ruhe, Bruno, also das hat doch keinen Stil.
Ja sie schreibt, jedenfalls hat sie das gesagt. Siehst’ ja, ihr Fotograf
macht schon fleißig Bilder von deinem Laden.“
Bruno huscht aus der Toilette zum Tresen. Er grinst jetzt still vor sich hin.
Nach dem Essen fahre ich mit Beate im Taxi nach Hause.
Beate hatte Bruno in einem Nebensatz angedeutet,
dass sie über sein Restaurant in ihrem Themenheft etwas über
sein Lokal schreiben wird.
Das Taxi gleitet über die nasse Strasse.
„Wir machen das jetzt so. Du gehst so schnell wie möglich mit
Bruno und deinen beiden Damen zum besten Italiner. Nebenbei, der
ist wirklich der Beste, ohne Frage, ganz ausgezeichnet. Danach gibst
du mir Bescheid und ein paar Tage später rufe ich Bruno an und sage
das Sprüchlein: Ich hatte alles schon im Satz, aber durch einen
technischen Fehler ist ausgerechnet der Beitrag weggerutscht. OK?
Ganz nebenbei, schenk ihm mal ein Deodorant.“
Bruno hat mich nie auf die verpasste Chance für seinen Laden angesprochen.
Ich habe nach dem Boulespiel weiter mein Bier bei ihm
getrunken. Manchmal blickt mich Bruno beim
Gläserputzen an, als ob er mir ein Lokalverbot verpassen möchte,
oder Teeren, Federn und Vierteilen.
h in Zukunft mit Scheiße arbeiten – Nachschubprobleme gibt es ja keine.«