vonErnst Volland 17.10.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Mitten in Berlin.                                                              

 

Seit einigen Wochen wohnt ein junger Spanier aus Valladolid 

in meinem Atelier. Das Goethe Institut Berlin  hatte angefragt,

ob ich ein Zimmer zur Verfügung hätte. Ich sagte zu.

Es kam ein 22 jähriger schlanker Mann, der jetzt Dank Goethe

versucht, die deutsche Sprache zu lernen. Wir sehen uns selten.

Nach wenigen  Tagen fragte er mich, ob seine spanische Freundin,

die in Paris lebt, auch für eine Woche in meinem Atelier wohnen kann.

Als sie kam, kochte ich Spaghetti,

stellte eine Flasche Rotwein auf den Tisch und das Essen

dauerte bis vier Uhr früh.

Paolo, mittellange Haare, die er mit einem stabilen Haarreifen

bändigt, damit sie nicht ins Gesicht fallen, entpuppte sich als

beachtlicher Weinkenner. Er konnte nicht nur den Wein

genießen, sondern auch qualitativ unterscheiden und diesen

Unterschied fachmännisch begründen.. Seine  Kenntnisse

verblüfften mich, wusste ich in seinem Alter nur, dass es

Weiß- und Rotweine gab, aber sie reizten mich auch, die

besten Flaschen aus meiner Vorratskammer (Lagerung bei 18 Grad)

zu holen.

Flasche für Flasche wurden begleitet mit einem Mix

aus Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch.

Beide wussten genau, was sie wollten:  Sie hatten eine

Perspektive, eine genaue Vorstellung ihres zukünftigen

Berufes und vergaßen den dazugehörigen Spaß nicht.

Berlin, versicherten sie mehrmals, sei  die Stadt, in der

sie leben möchten.

Paris sei zu versnobt, London zu teuer, nur Berlin habe

genau die richtige Mischung aus schrägen Clubs, jungen

internationalen Menschen, bezahlbaren Mieten und einem

interessanten historischen Hintergrund. Sie hätten sich schon

eine Wohnung angeschaut, um sie zu kaufen.

Ich selbst kam aus der Provinz mit ebenfalls 22 Jahren

Ende der 60er Jahre  zum ersten Mal nach Berlin.

Vom Bahnhof Zoo fuhr ich mit dem Bus zweimal den

Kurfürstendamm rauf und wieder  runter. Ich war aufgekratzt

und staunte, sah die Leuchtreklamen aber auch noch Trümmerreste,

hörte den Berliner Dialekt, sah Studenten, die demonstrierten,

demonstrierte mit, für eine bessere Welt und vor allem

gegen den amerikanischen Imperialismus. Dreißig Mark im

Monat kostete das winzige Zimmer bei einer alten Witwe in

der Nähe der Kunstakademie, mit Familienanschluss.

Bald hatte ich eine Einzimmerwohnung mit Außentoilette,

dann zog ich in eine WG (Kommune) um, die sich im

zweiten Stock in einer Fabriketage in Kreuzberg befand.

Die Eigentumsfrage wurde diskutiert, die Türen ausgehängt, die

Antennen standen auf Bewusstseinserweiterung. Die

Wohngemeinschaftsgruppe studierte die Klassiker Marx, Engels,

Lenin, Mao und die Haare wurden immer länger. Es war mitten

im kalten Krieg, täglich stieß man mit dem Kopf gegen die Mauer.

Wir tranken den billigsten Wein, wenn wir Alkohol 

tranken, aus einer Zweiliterflasche ohne Gläser. Die Flasche

kreiste wie der Joint, von einem zum anderen.      

 

Das Haus, in dem sich heute mein Atelier befindet, gehört

zum Stadtteil Steglitz. Es ist ein etwas verstaubter und

konturloser Bezirk, südlich vom Zentrum, in dem vornehmlich

Angestellte und Beamte wohnen. Mit der S- Bahn hat

man eine schnelle direkte Anbindung ins Herz der Stadt.

Die einzelnen S- Bahnstationen dorthin  heißen

Feuerbachstraße (Benannt nach dem deutschen Maler Anselm
Feuerbach (1829 – 1880),neo-romantischer Spätklassizist, welcher
sich an einem idealisierten Vorbild
der griechisch-römischen Antike orientierte Yorkstraße

(Benannt nach dem preußischen Feldmarschall Hans David
Ludwig Graf Yorck von Wartenburg (1759 – 1830),
preußischer Feldmarschall in den Freiheitskriegen gegen
Napoleon; Potsdamer Platz ( Das neue Zentrum und das alte

aus den 20er Jahren); Unter den Linden, die Flaniermeile

mit den historischen Bauten Oper, Deutsches Historisches Museum, 

Humboldt Universität, Cafe Einstein.)

Nächster Stop : Bahnhof Friedrichstraße (Benannt nach dem
preußischen Kurfürsten Friedrich III (1657 -1713).

In meinem Haus  in der Lepsiusstraße, (auch hinter diesem Namen

verbirgt sich eine Geistesgröße aus dem 19. Jahrhundert,

Karl Richard Lepsius, Ägyptologe und Sprachforscher), also

in diesem Haus wohnt ein 89 jährige Frau, die mich  bittet, sie

hin und wieder zu besuchen. Sie kocht dann ein einfaches

Essen für zwei Personen und erzählt mir aus ihrem Leben.

Täglich geht sie zum Friedhof und weint. Ihr Sohn

hat sich vor 15 Jahren das Leben genommen. Mit Interesse

höre ich ihr zu, wenn sie aus den Jahren der Nazidiktatur

erzählt. Ja, sie habe damals alles mitgemacht, erzählt sie immer

wieder, aber nie gewusst, dass es KZ gegeben hat.

Mein Hauswart heißt Hussein. Alle meinen, er sei ein Türke.

Er bezeichnet sich als Grieche und stammt  aus einem

kleinen Ort, nahe der türkischen Grenze. Seine Wohnung

befindet sich im Souterrain und mit der deutschen Sprache

hat er große Schwierigkeiten, obwohl er schon seit dreißig

Jahren in Deutschland lebt. Seine bescheidene Rente reicht

kaum zum Überleben. Wild mit den Armen gestikulierend lädt

er  mich großzügig zu einem Bier mit einer Auswahl Bonbons

ein, sobald er mich sieht. Wir verstehen uns gut. Er besitzt einen

Schlüssel für mein Atelier und hütet das Haus, wenn ich unterwegs bin.

Direkt unter mir wohnt ein Ehepaar, mit dem ich keinen Kontakt

bekomme. Während meiner  Kurzreise nach Majdanek und

Auschwitz drang dieser Nachbar in meine Wohnung ein,

weil Feuchtigkeit in seine Wohnung durch die Wände sickerte.

Angeblich kam der Schaden aus meiner Wohnung.

Ein junger Grieche, der für einige Wochen dank seines

Erasmusstipendium bei mir zu Gast war, öffnete die Türe.

Nach meiner Rückkehr versuchte ich mir den Schaden

in der Wohnung des Nachbarn anzusehen, durfte die

Wohnung aber nicht betreten.

Herr K. beschimpfte mich und wünschte mir die „Krätze an den Hals“,

weil ich “Terroristen vom Balkan massenweise bei mir übernachten lasse“.

Mein griechischer Gast, groß und mit pechschwarzen

Haaren, hatte gerade seine deutsche Freundin zu Besuch.

Sicherlich war das Herrn K. ein Dorn im Auge,

beziehungsweise, dieser Anblick verwirrte ihn, hatte

er doch vor einem Jahr ein Herz von einem 22jährigen

verunglücktem Motorradfahrer transplantiert bekommen.

Ich habe Paolo gebeten, sich von diesem Nachbarn fernzuhalten.

In einigen Tagen ist sein Sprachkurs zu Ende. Er zieht dann

mit seiner Freundin in eine WG, am Prenzlauer Berg. Paolo

hat seinem Vater von mir erzählt. Er ist genauso alt wie ich

und soll ein aktiver Gegner von  Franco gewesen sein.

Jetzt kümmert er sich ausschließlich um seinen Weinkeller.

Irgendwann will sein Vater mich besuchen, wenn er

nach Berlin kommt, um zu sehen, was sein Sohn mitten

in Berlin so treibt. Er ist herzlich willkommen.

Inzwischen weiß ich auch, was ein guter Spanier ist.

 

 

 

 

 

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https://blogs.taz.de/vollandsblog/2006/10/17/mitten-in-berlin/

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kommentare

  • Der Italiener, der kurz vor der Fußball-WM weltweite Schlagzeilen verursachte, da er angeblich in berlin von rechtsradikalen Skinheads zusammengeschlagen wurde, bekam für seine Lüge ein mildes Urteil. Alle Welt glaubte ihm sofort seine Geschichte, sogar in Italien widmeten die Tageszeitungen der Eloge die Titelseite. Auch die Betroffenheit von Politik und Medien in der BRD war groß, und schon am nächsten Tag protestierten 500 Berliner gegen Rechtsextremismus.
    Die Geschichte hätte ihr typisches und schönes Ende auch schon erreicht, wenn nicht Aufnahmen der “Tat” von den Bahnhofkameras ausgewertet worden wären. Und statt glatzköpfiger Schläger fand die Polizei nur einen betrunkenen Italiener, der im Suff vom Bahnsteig fiel. Da jedoch das Vortäuschen einer Straftat auch strafbewehrt ist, mußte der Arme selbst vor Gericht. Und obwohl das Strafmaß für Volksverhetzung (immerhin hat er das Volk bewußt gegen eine politische Minderheit aufgehetzt) eigentlich recht hoch ist, gab es hier nur sechs Monate zur Bewährung. Ob das dann wieder der Ausländerbonus ist?

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