vonErnst Volland 02.11.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Das Datum in der Kunst                                            

 

 

 

 

Eine der interessantesten Radiosendungen kann man im

Deutschlandradio jeden Sonntag von 13.30-15.00 Uhr hören.

Gern wäre ich einmal Gast dieser Sendung.

In der Sendung unterhalten sich ein sehr gut informierter

Journalist mit einem mehr oder wenig prominenten Gast.

Das Gespräch wird unterbrochen durch Musikstücke, die

sich der Gast vorher aussucht und die in der Sendung

gespielt wird.

Der zweite Teil des Programms, meine Lieblingsmusik

auszuwählen, reizt mich sehr. Oben auf der Liste:

John Lee Hooker.

Die Sendung ist deshalb interessant, weil die Redakteure

oft  Personen vorstellen, die wirklich etwas zu sagen haben

und nicht unter die A- Prominenz Kategorie fallen, wie die

etwa 150 Prominenten, die in unserer Mediengesellschaft

durchgereicht werden.

Nicht immer sind die 90 Minuten anregend, jedoch ist die

Trefferquote sehr groß bei den B, C, D, und F- Prominenten:

Ein Physiker, der in den Sternenhimmel blickt und alles

erklären kann, ein Schriftsteller, von dem man schon einmal

ein gutes Buch gelesen hat und sich fragt, warum er nicht

bekannter ist oder eine Kulturpolitikerin, die hinter die

Kulissen schaut und Ross und Reiter nennt.

Heute hören wir einen Dialog mit einem ehemaligen

Museumsdirektor aus Frankfurt, der in Pension gegangen ist

und frisch von der Leber weg erzählt. Sein Spezialgebiet ist die

zeitgenössische Kunst, er leitete das Museum und war und ist immer

noch als Kurator mit großem Einfluss tätig. Manchmal sieht man

ihn auch in einer Kunstsendung, in der vier Experten vor kleinem

Publikum in einem Museum über aktuelle Ausstellungen sprechen.

Es wird eine Sendung mit absolut niedriger Einschaltquote sein,

da die Sprechenden Termini gebrauchen, die so spezifisch

sind, dass man sich wundert, dass die Personen, die den Ausführungen

lauschen, nicht auf ihren Stühlen vor Langeweile zusammensacken

oder sich schlafen legen. Umso putsmunterer diskutieren und gestikulieren

die Kunstexperten. Motto: Eine Sendung gesehen, alle gesehen.

Zu Beginn der Radiosendung breitet der rüstige Rentner 

seine Vita aus und wir erfahren, er wollte selbst einmal Künstler sein,

hatte aber keinen Erfolg. Am Faden seines Lebens führt die

Sendung weiter und biographisch entsprechend fügt der

Redakteur die ausgewählte Musik ein, beginnend mit den

Beatles, John Lennon, Imagine.

Es ist müßig, der kompletten  Laufbahn bis hin zur Spitzenposition

eines Museumsdirektor zu lauschen, die Schuhe müssen noch

geputzt werden, ein Telefonat geführt und ein Brief gelesen werden.

Aber plötzlich bleibt alles liegen und es ist Ruhe. Der Redakteur drängt

den Direktor in eine Ecke, in die er nicht hinein will:

„Es ist doch heute sehr schwierig zu erklären, was denn nun

Kunst sei, wenn man sich die heutige Szene anschaue und in seinem Museum

hängen so viele Bilder, also, die kann ein Laie nicht erklären, da hängen

zum Beispiel Bilder, auf denen sind nur Zahlen gemalt, ob er nicht einmal…“

Der Direktor weicht der Frage aus, bemerkt aber, dass er auf diese

später zurückkommen werde.

Geschickt  insistiert der Redakteur mehrmals und, da! Plötzlich, Bereitschaft.

Der Direktor beginnt mit der Deutung eines Bildes.

„Gut, dass Sie  auf die Bilder mit den Zahlen zu sprechen kommen, die

Zahlen sind  immer ein Datum. Da kann ich Ihnen eine interessante

Geschichte erzählen.“

„Ja bitte, wir hören gern zu.“

„Wissen Sie, ich hatte einmal einen sehr berühmten Gast in meinem Museum,

der hatte aber nur ein halbe Stunde Zeit. Was habe ich gemacht, ich habe

ihn direkt zu einem der Zahlenbilder gedrängt, sie wissen ja, es ist immer ein

Datum, seit dreißig Jahren malt der Künstler immer nur das jeweilige

Datum auf die Leinwand. Ich finde das großartig und habe für

das Museum mehrere Arbeiten gekauft.“

„Wer war denn der berühmte Gast?“

„Das war Henry Kissinger und den habe ich schnurstraks zu einem

der Bilder mit einem Datum geführt, und wissen sie, was

Henry Kissinger gesagt hat?“

„Nein.“

„Das kann ich auch.“

„Was haben Sie ihm geantwortet?“

„Dann habe ich in den verbleibenden zwanzig Minuten

erklärt, warum das ein gutes Bild ist.“

„Können Sie uns das auch erklären?“

„Natürlich.“

„Bitte, Sie haben alle Zeit, die Sie brauchen.“

„Es ist ja so, wir haben es hier mit einem japanischen

Künstler zu tun und für die Japaner hat das Datum eine

ganz andere Bedeutung als für uns. In der japanischen Kultur spielt

das Datum, also die Zeit eine viel größere Rolle als bei uns. Das muss man

wissen, wenn man dieses Bild betrachtet, da spielt der Buddhismus mit

rein, da spielt die ganze Geschichte Japans mit rein, die Historie dieses

für uns so fremden Landes. Die Sonne, die frühzeitig aufgeht, bedenken

Sie, die Sonne geht im Osten, in Japan auf, das

hat alles mit dem Datum zu tun und sie geht im Westen unter und

kommt wieder neu im Osten und der Künstler malt ein neues Datum.

Bedenken Sie, wie viele Menschen im asiatischen Raum leben, das hat

doch ganz andere Dimensionen als bei uns. Die japanische

Philosophie, haben Sie sich schon einmal damit beschäftigt?

Die Zeit hat dort eine viel größere Bedeutung als der Raum.

Der Raum hat bei uns eine große Bedeutung. Das ist alles in dem

gemalten Datum drin.“

„Sollen wir jetzt vielleicht eine Musik spielen?“

Ja,  machen wir.“

„ Danach können Sie ja weiter über das Bild mit dem gemalten Datum

sprechen. Was legen wir auf, Milva?“

„Ja, Milva, eines Tages kam Milva in mein Museum…..“

„Wir spielen jetzt erst mal die Musik.“

 

 

 

 

 

 

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