John Fogerty
Das Flugzeug startet von Berlin – Schönefeld. Die
Maschine hebt sanft ab und nimmt schnell
in Richtung Osten Fahrt auf.
In der vorwiegend von Jugendlichen frequentierten neuen
Airline sitzen viele alte Menschen, meist Frauen.
Neben mir unterhält sich ein Paar, beide in hohem Alter.
Es spricht sehr leise miteinander und schon nach
wenigen Minuten bemerke ich, wie die Frau ihrer
Handtasche einen kleinen Umschlag entnimmt und aus
diesem einige Fotos hervor zieht.
Es sind alte, kleine schwarz/weiß Fotos, einige mit
einer gezackten Umrandung.
Die Beiden scheinen sich gerade erst bekannt gemacht
zu haben, denke ich, doch wie kommt es, dass sich beide so
schnell anvertrauen und private Fotos zeigen?
Jetzt zieht der alte Mann einen Umschlag aus
seiner Aktentasche, die er umständlich unter seinem
Sitz hervorholt. Dabei berührt er versehentlich
mit dem Kopf meinen Arm. Er murmelt einige Worte,
die ich nicht verstehe.
Die Sprache in der sich beide unterhalten, ist mir fremd.
Der Mann trägt eine dicke, einfache Jacke und
auf dem Kopf einen Hut.
Er nimmt die Fotos seiner Nachbarin einzeln in die
Hand, nickt immer wieder zustimmend
mit dem Kopf. Auf den Fotos sind mir unbekannte
Menschen abgebildet. Sie posieren für
den Fotografen im Freien, vor einem Baum oder einem Haus.
Die Frau zeigt mit einem Finger auf verschiedene Personen und
nennt ihre Namen. Einige Fotos erklärt
sie ausführlich.
Dann holt der alte Mann aus seinem Umschlag
ein Dokument heraus, einem
Pass ähnlich, mit schwarzer Schrift auf
gelbem Grund. Er schiebt die Jacke und die Ärmel
seines dunklen Hemdes ein wenig hoch und ich
bemerke sofort die Tätowierung einiger Zahlen auf
seinem Unterarm. Auf dem Deckblatt steht in der Mitte
des Passes deutlich der Davidsstern.
Die Buchstaben sind kaum zu erkennen,
die Ecken des Papiers leicht abgerundet.
Rav…. Ravens .. brück, lese ich mit einiger Anstrengung
aus meiner Perspektive.
Ich denke darüber nach, wie ich einen Anknüpfungspunkt für ein
Gespräch bekommen kann, verwerfe
jedoch diese Gedanken und bleibe schweigend auf
meinem Platz sitzen. Neben mir und im ganzen Flugzeug
verteilt, befinden sich einige der letzten Überlebenden aus
aus den Konzentrationslagern Ravensbrück,
Sachsenhausen und Buchenwald. In diesen Orten fanden
zum 60ten Jahrestag der Befreiung Festveranstaltungen
mit den letzten Überlebenden statt. Jetzt fliegen sie
zurück nach Moskau.
Der alte Mann steht auf und deutet mit einer Geste an,
dass er auf den Gang treten möchte. Ich zwänge mich aus
dem engen Sitz und er sagt zu mir:
„Vielen Dank, das ist sehr freundlich.“
Ich bin verwirrt, er spricht deutsch.
Das Flugzeug setzt zur Landung an und die Menschen drängen
zum Ausgang. An der Passkontrolle sehe ich den alten Mann allein
durch die Kontrolle gehen. Er verschwindet in der Masse
der wartenden und ausschwärmenden Menschen.
Auf dem Rückflug, einige Tage später,
stapeln sich im Flugzeug auf den Sitzen
der anderen Seite des Ganges schwarze
Lederhüllen, deren Konturen den Inhalt verraten:
Musikinstrumente.
Beim Abflug reichen die Instrumente
bis unter die Decke. Die russischen Stewardessen schreiten
nicht ein. Ich befinde mich mitten in einer Moskauer Popgruppe.
Die Stimmung ist ausgelassen, Bier und Wodka kreisen.
Ein langhaariger, dicker Mann mit glänzender Sonnenbrille,
einem Stirnband im Haar und Schweißflecken unter den Achseln,
schiebt ein letztes Musikinstrument zwischen Kabinendecke und
Musikinstrumentenstapel.
„Plies ä moment, plies känn yu?“
Mein junger russischer Nachbar drückt mir seine Bierflasche für
einen Augenblick zur Aufbewahrung in die Hand.
„Iff yu want, yu drrink.“
„Only a new bottle“, sage ich und schon hält er
mir eine neue vors Gesicht.
„Not wodka, bat also guud.“
“Where do you go?”
“Wi will plei in Börlin, wi häf e gick in the
iwening ät the, eh, Mischa,
wer du wi plei toneit?”
Der langhaarige Dicke dreht sich um, nachdem
mein Nachbar ihm auf die Schulter geklopft hat.
„Brandenburg gate, Boris, we play at the Brandenburggate.“
Ich nehme einen Schluck Bier aus der Flasche.
“Mei neim iss Boris, hei.„
“What kind of music do you play?”
„Wi plei Klirdens.”
“Sorry, I don’t understand, what?”
“Klirdens, wi ar the best Klirdensband in Raschia.”
I don’t know what Klirdens is, never heard, sorry.”
“Yu dont no watt Klirdens Klirrwater
Riweiwel is?”
“Ah, Creedance Clearwater Revival, John Fogerty,
I know, yes I know.”
“Yes kiep on bulän, Foggäti yä yä, best män,
kamm toneit tu the schoo!”
Am Abend radle ich zum Brandenburger Tor.
Ich komme zu spät, Boris und seine Revival Band
ist schon aufgetreten. Ihr Gig wurde
spontan vorgezogen, insgesamt treten dreißig
Gruppen auf. Es ist ein Rockkonzert
mit Volksfestcharakter. Eisbuden, Popkorn und Dönerspieße
stehen auf der Straße des 17. Juni.
Die Wahrscheinlichkeit, Boris in der Menge zu
treffen ist gleich Null.
Plötzlich steht Boris vor meinem Fahrrad. Wir schauen uns
kurz an, dann verschwindet er in der Menge.
John Fogerty, am 11. Juli in Berlin, Zitadelle Spandau.