vonErnst Volland 12.06.2007

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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John Fogerty

 

 

Das Flugzeug startet von Berlin – Schönefeld. Die

Maschine hebt sanft ab und nimmt schnell

in Richtung Osten Fahrt auf.

In der vorwiegend von Jugendlichen frequentierten neuen

Airline sitzen viele alte Menschen, meist Frauen.

Neben mir unterhält sich ein Paar, beide in hohem Alter.

Es spricht sehr leise miteinander und schon nach

wenigen Minuten bemerke ich, wie die Frau  ihrer

Handtasche einen kleinen Umschlag entnimmt und aus

diesem einige Fotos hervor zieht.

Es sind alte, kleine schwarz/weiß Fotos, einige mit

einer gezackten Umrandung.

Die Beiden scheinen sich gerade erst bekannt gemacht

zu haben, denke ich, doch wie kommt es, dass sich beide so

schnell anvertrauen und private Fotos zeigen?

Jetzt zieht der alte Mann einen Umschlag aus

seiner Aktentasche, die er umständlich unter seinem

Sitz hervorholt. Dabei berührt er versehentlich

mit dem Kopf meinen Arm. Er murmelt einige Worte,

die ich nicht verstehe.

Die Sprache in der sich beide unterhalten, ist mir fremd.

Der Mann trägt eine dicke, einfache Jacke und

auf dem Kopf einen Hut.

Er nimmt die Fotos seiner Nachbarin einzeln in die

Hand, nickt immer wieder zustimmend

mit dem Kopf. Auf den Fotos sind mir unbekannte

Menschen abgebildet. Sie posieren für

den Fotografen im Freien, vor einem Baum oder einem Haus.

Die Frau zeigt mit einem Finger auf  verschiedene Personen und

nennt ihre Namen. Einige Fotos erklärt

sie ausführlich.

Dann holt der  alte Mann aus seinem Umschlag

ein Dokument heraus, einem

Pass ähnlich, mit schwarzer Schrift auf

gelbem Grund. Er schiebt  die Jacke und die Ärmel

seines dunklen Hemdes ein wenig hoch und ich

bemerke sofort die Tätowierung einiger Zahlen auf

seinem Unterarm. Auf dem Deckblatt steht in der Mitte

des Passes deutlich der Davidsstern.

Die Buchstaben sind kaum zu erkennen,

die Ecken des Papiers  leicht abgerundet.

Rav…. Ravens .. brück, lese ich mit einiger Anstrengung

aus meiner Perspektive.

Ich denke  darüber nach, wie ich einen Anknüpfungspunkt für ein

Gespräch  bekommen kann, verwerfe

jedoch diese Gedanken und bleibe schweigend auf

meinem Platz sitzen. Neben mir und im ganzen Flugzeug

verteilt, befinden sich einige der letzten Überlebenden aus

aus den Konzentrationslagern Ravensbrück,

Sachsenhausen und Buchenwald. In diesen Orten fanden

zum 60ten Jahrestag der Befreiung Festveranstaltungen

mit  den letzten Überlebenden statt. Jetzt fliegen sie

zurück nach Moskau.

Der alte Mann steht auf und deutet mit einer Geste an,

dass er auf den Gang treten möchte. Ich zwänge mich aus

dem engen Sitz  und er sagt zu mir:

„Vielen Dank, das ist sehr freundlich.“

Ich bin verwirrt, er spricht deutsch.

Das Flugzeug setzt zur Landung an und die Menschen drängen

zum Ausgang. An der Passkontrolle sehe ich den alten Mann allein

durch die Kontrolle gehen. Er verschwindet in der Masse

der wartenden und ausschwärmenden Menschen.

Auf dem Rückflug, einige Tage später,

stapeln sich im Flugzeug auf den Sitzen

der anderen Seite des Ganges schwarze

Lederhüllen, deren Konturen den Inhalt verraten:

Musikinstrumente.

Beim Abflug reichen die Instrumente

bis unter die Decke. Die russischen Stewardessen schreiten

nicht ein. Ich befinde mich mitten in einer Moskauer Popgruppe.

Die Stimmung ist ausgelassen, Bier und Wodka kreisen.

Ein langhaariger, dicker Mann mit glänzender Sonnenbrille,

einem Stirnband im Haar und Schweißflecken unter den Achseln,

schiebt ein letztes Musikinstrument zwischen Kabinendecke und

Musikinstrumentenstapel.

„Plies ä moment, plies känn yu?“

Mein junger russischer Nachbar drückt mir seine Bierflasche für

einen Augenblick zur Aufbewahrung in die Hand.

„Iff yu want, yu drrink.“

„Only a new bottle“, sage ich und schon hält er

mir eine neue vors Gesicht.

„Not wodka, bat also guud.“

“Where do you go?”

“Wi will plei in Börlin, wi häf e gick in the

iwening ät the, eh, Mischa,

wer du wi plei toneit?”

Der  langhaarige Dicke dreht  sich um, nachdem

mein Nachbar ihm auf die Schulter geklopft hat.

„Brandenburg gate, Boris, we play at the Brandenburggate.“

Ich nehme einen Schluck Bier aus der Flasche.

“Mei neim iss Boris, hei.„

“What kind of music do you play?”

„Wi plei Klirdens.”

“Sorry, I don’t understand, what?”

“Klirdens, wi ar the best Klirdensband in Raschia.”

I don’t know what Klirdens is, never heard, sorry.”

“Yu dont no watt Klirdens Klirrwater

Riweiwel is?”

“Ah, Creedance Clearwater Revival, John Fogerty,

I know, yes I know.”

“Yes kiep on bulän, Foggäti yä yä, best män,

kamm toneit tu the schoo!”

Am Abend radle ich zum Brandenburger Tor.

Ich komme zu spät, Boris und seine Revival Band

ist schon aufgetreten. Ihr Gig wurde

spontan vorgezogen, insgesamt treten dreißig

Gruppen auf. Es ist ein Rockkonzert

mit Volksfestcharakter. Eisbuden, Popkorn und Dönerspieße

stehen auf der Straße des 17. Juni.

Die Wahrscheinlichkeit, Boris in der Menge zu

treffen ist gleich Null.

Plötzlich steht Boris vor meinem Fahrrad. Wir schauen uns

kurz  an, dann verschwindet er in der Menge.

John Fogerty, am 11. Juli in Berlin, Zitadelle Spandau.

 

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