vonErnst Volland 01.09.2009

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Dufy

Wir packten unsere Sachen. Dieses Mal machten wir keinen Fehler. Jeder von uns nahm nur drei kleine Taschen mit, die leicht über die Schulter gehängt werden konnten. Ich trug das vierte gemeinsame Gepäckstück, einen Militärschlafsack, zusammengerollt nicht größer als ein ausgewachsener Mops, in dem wir beide schlafen wollten, meine jüngere 19jährige Schwester und ich.

Die Reise sollte fünfzig Tage dauern, per Anhalter durch Europa, Deutschland, Schweiz, Italien, Frankreich, Spanien, Marokko und zurück.

In Venedig kamen wir bei einem Freund unter, der dort im Hafen deutschen Touristen Segelunterricht gab. Nach drei ruhigen Tagen ging es weiter, auf unbekannten Straßen, westwärts, Richtung Frankreich. Mit einer jungen hübschen und blonden Schwester ist es leichter, als mit einem jungen hübschen blonden Bruder, per Anhalter vorwärts zu kommen.

Der Süden Frankreichs ist ein Paradies, angefangen in der Provence bis hin zu den Pyrenäen. Es ist schon spät am Abend und wir machen uns bereits damit vertraut, eine Nacht zusammen im Schlafsack unter Bäumen zu verbringen, als an einem kleinen Dorfausgang in der Nähe von Nimes ein großer englischer Wagen, mit dem Steuerrad auf der rechten Seite, hält, und uns der Fahrer fragt, wohin wir wollen.

Wir antworten, dass es uns egal sei, wohin, nur weg von dieser für Tramper schwierigen Stelle, denn wir warteten dort schon vier Stunden in glühender Hitze. Man bot uns an, zwanzig Kilometer mitzunehmen, dann müsse man in ein kleines Dorf, abseits der Hauptstraßen, aber man könne uns an einer guten Stelle absetzen, damit wir noch unser Tagesziel erreichen. Im Auto saß ein Ehepaar aus Süd Afrika, das von Freunden aus London ein Haus in einem winzigen Dorf mit nur vier Häusern zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Das alles erfuhren wir sehr schnell, als wir im geräumigen Auto saßen. Das südafrikanische Ehepaar war sehr amüsiert darüber, dass ein Bruder mit seiner Schwester durch Europa trampte und diese Kombination lockerte Zunge und Stimmung auf der kurzen Fahrt durch reizvolle Täler und kleine Ortschaften.

Man lud uns sogar ein, in einem Cafe einen Pastis zu trinken, und als die zweite Runde kam, wurde es schon langsam dunkel. Wir fuhren noch einige Kilometer, bis wir die Stelle erreichten, an der wir aussteigen sollten.

Der Fahrer sprach mit seiner Frau in burischen Englisch, das ich kaum verstehen konnte. Dann wandte er sich an uns und sagte,

„Meine Frau und ich laden Sie ein, bei uns zu übernachten, auf dem Dachboden, nicht bequem, aber für einen Nacht wird es reichen.“

Wir sagten sofort zu, bedankten uns, und folgten schweigend den Lichtstrahlen der beiden Scheinwerfer auf der holprigen Straße, die zum Dorf hinauf führte. Es war inzwischen stockdunkel, und als wir das erste Haus erreichten und in einer unbeleuchteten Kurve fuhren, schrammte der Fahrer mit dem rechten Kotflügel ein Hausecke. Der Schaden war erheblich, ein Scheinwerfer total zerstört, aber das Ehepaar lachte nur und sagte, es hätte schlimmer kommen können.

Das Haus war sehr groß. Unten befand sich ein einziger Raum, an den Wänden hingen Bilder von Matisse und Picasso, sogar einen Derain konnte ich erkennen.

Bevor ich fragen konnte, sagte der Fahrer,

„Das sind alles Originale, keine Kopien oder Poster. Das Haus gehört Dora Maar, einer Freundin von Picasso.“

„Sie war doch eine Zeit lang die Geliebte von Picasso, sogar seine Frau, ich glaube in den Dreißiger Jahren. Es gibt mehrere Porträts von ihr“, antwortete ich.

„Das ist richtig, ich zeige Ihnen jetzt die Dachkammer. Es ist nicht aufgeräumt, aber ich hoffe, Sie fühlen sich wohl.“

Seine Frau brachte frische Bettwäsche, zwei Liegen wurden gefunden, und da es sehr heiß war, legten wir uns nackt auf die Laken und schliefen sofort ein. Durch das Bellen eines Hundes wachte ich nach einer kurzen Zeit wieder auf. Die Hitze war unerträglich und meine Müdigkeit verflogen. Ich stand leise auf, schaute mich um. Wir befanden uns in einer Dachkammer, die als Abstellkammer benutzt wurde. Überall lagen Bilder herum, Staffeleien, alte Möbel. Es sah wie in anderen Dachkammern aus , mit dem einen Unterschied, dass es sich bei den achtlos herumliegenden Bildern wieder vorwiegend um Originale handelte. Ich stöberte in einem Stapel Ölbilder und wunderte mich über die Art und Weise, wie achtlos all diese Kunstwerke aufbewahrt waren. Ich entdeckte zwei Dufys , einen Braque, einen Vlaminck neben einigen anderen, deren Urheber ich nicht kannte. Einer der beiden Dufys hatte es mir sofort angetan und ich bemerkte an mir selbst, wie sich in meiner Phantasie bei mir der Wunsch verfestigte, dieses Bild sofort zu besitzen. Ich versuchte diese Gedanken zu verwischen, mit dem Effekt, dass ich mich noch mehr in die Vorstellung verstieg, einfach mit dem Dufybild aus der Tür zu spazieren. Mein schlechtes Gewissen beruhigte ich gleichzeitig, indem ich mir sagte, wer so achtlos mit solchen wertvollen Bildern umgeht, der muss bestraft werden. Die Bestrafung selbst sah ich als sehr gering an und damit auch mein Vergehen, da ich mir sagte, das Ehepaar wird sicherlich nicht bemerken, dass eines der Bilder abhanden gekommen ist, und die sehr entfernt in Paris lebende Frau Maar auch nicht, da sie so sorglos mit all diesen Originalen umgeht, als ob sie kein Interesse an ihnen hat.

Ich spielte mit dem Gedanken, wie ich das etwa 50 /70 cm große Dufy Bild unbemerkt aus der Dachkammer bringen konnte. Weder hatte ich einen Mantel dabei noch eine bauchige Jacke, unter denen das Bild, das auf Pappe gemalt war und sich nicht einrollen ließ, verstecken konnte. Die drei kleinen Taschen eigneten sich nicht, jede war zu klein. Vielleicht sollte ich das Bild jetzt aus dem Haus schmuggeln, indem ich durch das Fenster über das Dach steige, und es irgendwo an der Straße unter einem Gebüsch deponiere. Doch diesen Gedanken verwarf ich sofort, da ich mich weder im Haus noch auf dem Gelände auskannte. Der Dufy starrte mich an, eine Meeres Landschaft, mit Uferpromenade und den typischen Farben, blau, rot, weiß. Das Bild gefiel mir sehr, es lag auf dem Boden und es war sicherlich 100 000 D Mark wert.

Es gab jetzt nur eine Möglichkeit. Vor Antritt der Reise hatte ich mir ein neues Schweizer Messer besorgt. In der dritten Tasche, unten auf dem Boden lag es. Ich klappte die längste Klinge aus dem Schaft, drehte das Bild auf die Rückseite, um dort den ersten Schnitt anzusetzen, da ich nicht in der Lage war, direkt auf das Motiv zu schauen, und es dann in vier gleiche Teile zu schneiden. Vier gleich große Stücke passten in eine meiner Taschen. Meine Schwester atmete leise und ruhig, in diesem Moment rollte sie sich auf die andere Seite, von mir weg. Die Klinge funkelte in meiner Hand. Doch dann drehte ich den Dufy wieder um, legte ihn an seinen ursprünglichen Platz, steckte das Messer in die Tasche und versuchte zu schlafen.

Am Morgen gab es ein reichhaltiges, englisches Frühstück. Dann fuhr uns der Fahrer noch bis an die nächste Landstraße. Beim Abschied sagte er:

„Ich sehe, Sie haben der großen Versuchung widerstanden. Die alte Dame in Paris hat ihre

eigene Ordnung da oben. Ich habs auch nicht getan. Eine schöne Reise.“

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