vonErnst Volland 05.09.2010

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Spiegel online: Merkel bittet zum Atom- Showdown. Zum Thema:
Rolf Disch, Solararchitekt aus Freiburg, hat sich schon immer mit der Umwelt kritisch auseinander gesetzt und dementsprechend auch im Alltag gelebt. Seine radikalen, aber auch soliden und machbaren architektonischen Entwürfe setzt er seit den 80er Jahren mit Geduld, innovativem Wissen und Humor gegen alle Widerstände um.
So favorisiert die Politik inzwischen das so genannte Passiv Haus, das jedoch nicht die klimatischen Vorteile eines von Disch und seinem Team entworfenen Plus Energie Hauses besitzt, politisch aber leichter durchzusetzen ist.
Disch raucht nicht, fährt vornehmlich Fahrrad, fliegt fast nie, fährt auch lange Strecken mit dem Zug. Er war Ökomanager des Jahres 1997 und bekam kürzlich den utopia.de award, den Preis für das ökologischste Produkt des Jahres 2009 (Plus Energie Haus).

Auszüge aus einem Interview mit Rolf Disch. Das vollständige Gespräch erscheint in meinem Buch „Genussvoll verzichten. Sie müssen aber glücklich sein!“

E. Wie kommt man aus den eingefahrenen Mentalitäten heraus und wie sehen die Aktivitäten gegenüber der starken Lobby aus, in der Automobil-, der Atom- und der Bauindustrie? Kannst du bisher insgesamt von einem Erfolg sprechen?

R. Eindeutig ja. Immerhin haben wir die Solarsiedlung mit 60 Plusenergiehäusern erfolgreich umsetzen können. Keiner kann mehr sagen, dass das technisch oder wirtschaftlich nicht funktioniert. Das steht da. Das wirft Gewinne ab. Nicht nur Energie-Gewinne, sondern auch Geld, Rendite. Es macht Spaß, das den Skeptikern vorzurechnen.
Dazu kommt: Inzwischen kommen Anfragen nach dem Plusenergiehaus aus der ganzen Welt. Die Presse berichtet ausführlich, weltweit und so intensiv und häufig, dass wir das kaum noch betreuen können. Kaum eine Woche vergeht ohne Fernsehteam oder Besuche von Politkern aus Europa, China, Arabien, Südamerika. In den letzten beiden Jahren hatten wir Kontakte zu etwa 400 interessierten deutschen Kommunen.

E. Haben diese Reaktionen Konsequenzen?

R. Ich habe lernen müssen, dass es Zeit braucht, bis der einzelne Mensch und gar die Gesellschaft ihre Gewohnheiten umstellt. Dazu kommt, die Ölindustrie ist eine der mächtigsten der Erde überhaupt, auch die Kohlewirtschaft ist stark. Die Atomlobby spricht andauernd davon, dass es ohne Atom nicht geht, und ich sehe es – zusammen mit anderen – als meine Aufgabe an, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Ich bin sicher, es geht nur mit der Kraft der Sonne, denn diese Energie ist unbegrenzt, und auch Uran ist endlich.
Wir müssen die Leute gewinnen, die auch wirtschaftlich denken, nicht nur die Idealisten. Die Sonne schickt keine Rechnung, die Sonne scheint für jeden und die Sonne muss nicht verteilt werden. Kein Konzern kann die Sonne kaufen. Die Sonnenstrahlen sind kostenlos, aber ich muss eine Technik bereit stellen, um die Sonnenstrahlen in Strom und nutzbare Wärme umzuwandeln. Und dass diese Form wirtschaftlicher ist als fossile und atomare Energien, das gilt es zu beweisen. Und das können wir.
Nebenbei: Es scheint mir, dass wir nebenbei noch beweisen werden, dass die dezentrale Gewinnung von Sonnenenergie, die zwar mittelfristig das „intelligent grid“ braucht, aber keine wirklich gigantischen Infrastrukturinvestitionen wie „Desertec“, nicht nur die kostengünstigere Variante ist, sondern dass ein Modell von intensiver, eng vernetzter, dezentraler, überschaubarer, regionaler Plusenergie viel attraktiver sein wird auch für die Mobilisierung der einzelnen Menschen. „Regiotec“ oder „Desertec“ – wo würdest Du denn lieber Dein Kapital hineingeben für Deine Alterssicherung? In die Sahara oder in ein durchschaubares, schneller und preisgünstiger realisierbares Projekt vor Deiner Haustür, wo die Rendite zwar vielleicht keine Himmelssprünge macht, aber solid und sicher ist und außerdem ökologisch und ethisch sauber? Wo Du die Institutionen und die Leute kennst, die das betreiben?

E. Du lebst selbst im ersten Plusenergiehaus der Welt, das Du 1994 gebaut hast. Du versuchst möglichst nicht zu fliegen, obwohl Du weltweit eingeladen wirst, um Deine Projekte zu präsentieren usw. Ist es notwendig, wenn Du solche Häuser baust, auch vorbildlich zu leben?

R. Eine Bemerkung noch zu meinen Plusenergiehäusern zum Feedback. „Für mich ist es ein Glücksgefühl, unter der Dusche zu stehen und ich weiß, das Wasser kommt durch die Wärmenenergie der Sonne und nicht aus fossiler Energie“, das ist eine Reaktion eines Bewohners. Eine andere Reaktion besteht in der Freude, wenn der Bewohner auf die Plusenergie-Zahlen seines Solarstromzählers schaut.

E. Können wir zurück zur Vorbildfunktion kommen?

R. Ich gebe zu, ich lerne noch. Es fällt mir z.B. schwer, mein Auto überhaupt nicht mehr zu benutzen, obwohl es nicht nur in Freiburg umständlicher zu benutzen ist als das Fahrrad, wegen des Parkplatzproblems. Bei meiner Solarsiedlung habe ich dem Rechnung getragen und mich nicht nur nach den Autofahrern gerichtet, sondern auch nach den Bedürfnissen der spielenden Kinder, Fußgänger und Fahrradfahrer. Es ist anfangs eine Überwindung, zugegeben, aber ich benutze jetzt fast ausschließlich das Fahrrad, auch aus gesundheitlichen Gründen, um mich fit zu halten.

E. Glaubst du, dass das Fahrrad eine Chance hat gegenüber dem Auto. Ein oft gehörtes Argument der Autofahrer: Ich lebe auf dem Land, ich bin auf ein Auto angewiesen. Und dann das Argument der Wirtschaft: Jeder siebte ist abhängig von der Autobranche.

R. Das ist nicht nur eine Sache des Fahrrades. Man braucht das Auto, weil es das Auto gibt. Wenn es weniger Autos gäbe, gäbe es einen besseren öffentlichen Nahverkehr, den wir ja früher hatten.
Das Auto schränkt die Lebensqualität ein, ist gefährlich, laut, stinkt usw. Außerdem ist das Auto das teuerste Verkehrsmittel, das es gibt. Monatsersparnis ohne Auto: etwa 400 Euro.
Dem „Argument der Wirtschaft“ halte ich entgegen: Die Wertschöpfung bei Porsche im eigenen Land beträgt ganze 18%. Der Rest fällt auf Billiglohnländer.
Dem Argument, man müsse ja zum Arbeiten und Einkaufen pendeln, kann man als Stadtplaner nur entgegnen: Wir brauchen eine Stadt- und Regionalplanung der kurzen Wege zwischen Wohnen, Arbeiten, Konsum und Freizeit. Keine ganz neue Forderung, aber unter Aspekten der Energieeffizienz wieder ganz aktuell.

E. Wie könnte die Zukunft des Autos aussehen?

R. Ich stelle mir Solarmobile vor, die an bevorzugten Plätzen stehen, mit denen jeder fahren kann, eine Fortsetzung des Car-Sharing. Die Städte müssen Parkplätze für diese Solarautos bereitstellen, die mit einer Checkkarte oder dem Handy benutzt werden können, ganz einfach. Das ist insgesamt ein viel preiswerteres Modell als das herkömmliche Auto und wir können Parkplätze und Straßen rückbauen, das gibt Platz für Fußgänger, Radfahrer und Grünflächen.

E. Wer denkt über das Modell nach. Und gibt es Realisierungen?

R. In Ulm z.B. gibt es ein Modellvorhaben, Smarts bereit zu stellen, etwa 300 Wagen. Es ist unglaublich wichtig, dass so etwas versucht wird. Die technischen Möglichkeiten sind da. Dass es fast zwangsläufig für den Einzelnen billiger wird, liegt ebenfalls auf der Hand. Und man stelle sich vor: kein Motorenlärm, kein Abgas und Dreck. Wie lebt es sich in solchen Städten und Wohnquartieren? Bei Gesamtkonzepten für Elektromobilität ist es genauso wie bei den Plusenergiehäusern. Beides wird kommen.
Die Zeit rennt, wir laufen in eine Klimakatastrophe. Die klugen Ökonomen und Ingenieure in der Bauindustrie, der Automobilindustrie, der Energieindustrie wissen im Grunde, wo die Zukunftsmusik spielt und was das Auslaufmodell ist. Die Dinge kommen in Bewegung. Hoffentlich schnell genug. Manchmal gibt es ja wirklich rapide Beschleunigungen. Handys setzten sich sehr schnell durch, Email, Internet. Ich glaube und hoffe, dass sich anderes auch schnell durchsetzen wird. Allerdings haben wir im Energiebereich in Deutschland z.B. vier große Anbieter, die mit der Politik so verfilzt sind, dass diese noch lange ihr dickes Geld mit herkömmlicher Energie machen. Die spielen auf Zeit, wollen keine Veränderung. Frage: Wie lange lässt sich die Gesellschaft diese „Besatzungspolitik“ noch gefallen?

E. Warum halten in der Wirtschaft und in der Politik trotz allem so viele am Status quo fest?

R. Es gibt viel Egoismus und Dummheit in der Welt.

E. Warum werden Soldaten in den Krieg in den Irak geschickt? Wegen der fossilen Ressourcen? Wenn die Sonne umsonst zu haben ist, warum sterben dort Soldaten? Verkürzt gesagt. Sind die alle zu blöd?

R. Ich glaube, dass das mit Machterhalt, mit Aneignung und Sicherstellen der derzeit noch wichtigen fossilen Ressourcen zu tun hat. Andererseits vermute ich, dass clevere Leute in strategischen Denk- und Arbeitsgruppen, in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, in führenden Ingenierbüros zunehmend an die Zukunftsthemen gesetzt werden, nicht an die Weiterverwaltung der demnächst verlorenen Posten.
Die Impulse kommen längst von den Bürgern, aber sie müssen – glaube ich – viel stärker auch aus der Wirtschaft kommen, aus den innovativen Teilen der Wirtschaft, damit die Politik auf allen Ebenen, lokal wie global, das machen kann, was auf der Hand liegt.
Und was diese Kriege angeht: Jemand sollte einmal, ähnlich wie Sir Nicholas Stern das für die wirtschaftlichen Klimawandel-Folgen getan hat, ein Szenario berechnen, rein wirtschaftlich, wie viel mehr wir kurz- und mittelfristig gesamtwirtschaftlich gewinnen, wenn alle Investitionen in sämtliche offenen und niedergehaltenen Konflikte in den Öl- und Gas-Staaten statt dessen in die Förderung der regionalen und nationalen und weltwirtschaftlichen Unabhängigkeit von diesen Staaten fließen würde, die durch Regenerative Energien erreichbar wäre.

E. So einfach ist das? Warum wird es dann nicht einfach geändert? Warum bauen wir nicht nur noch Häuser als Kraftwerke?

R. Manche Dinge sind tatsächlich einfach zu durchschauen. Manche Dinge sind tatsächlich auch einfach zu ändern. Das Gerede von Komplexität ist oft bloß vorgeschoben. Aber zugegeben, es gibt auch nachvollziehbare Gründe – obwohl ich mit diesen Gründen nicht einverstanden bin. Nehmen wir eine Baufirma, die im Jahr ihre 1.000 Häuser baut. Jetzt soll die plötzlich ihren Ansatz ändern im Bauen und im Vertrieb, während sie mit einem Dutzend anderer Firmen in der Wirtschaftskrise um die billigsten Baukosten konkurriert. Und dafür muss sie in neues Know-how investieren. Warum sollte sie, wenn sie auch ohne diese einschneidenden Investitionen „business as usual“ machen kann und Gewinne erwirtschaftet – oder sogar scheinbar nur dann, wenn sie es nicht tut.
Die Sache ist nur die, dass die Nebenkosten bei einer schlechten Gebäudehülle und einer herkömmlichen Energieversorgung rapide steigen werden und die entsprechenden Gebäude binnen kurzem dann auch an Wert verlieren. Also werden diejenigen Baufirmen überleben, die rechtzeitig in die Zukunft investieren. Die anderen gehen den Weg der Dinosaurier. Wir können nur hoffen, dass das schnell genug passiert. Und wir können das forcieren, indem wir mit neuen Leuchtturmprojekten weiter die technische und wirtschaftliche Machbarkeit vorführen, indem wir jetzt mit dem Plusenergiehaus in die Breite des Marktes gehen mit attraktiven Konzepten – und indem wir weltweit für jedes Klima Plusenergie-Projekte umsetzen.

E. Dann ist aber doch die entscheidende Frage: Kann ich mir ein Plusenergiehaus leisten?

R. Wir sind so weit, dass ich mit dem Plusenergiehaus von Anfang an mehr Geld in der Tasche habe. Die Finanzierungskosten sind etwas höher als bei konventionellen Häusern. Die Gewinne durch die Energieeinnahmen und Energieeinsparungen sind aber nicht nur langfristig höher, sondern sogar bei einer 100% – Finanzierung vom ersten Tag an.

Wir sind mit einer Reihe von kommunalen und kommerziellen Bauträgern, Projektentwicklern, Investoren im Gespräch, für ganz unterschiedliche Projekte und Marktsegmente, auch in ganz unterschiedlichen Regionen und Ländern. In all diesen Konstellationen geht es darum, dass das Plusenergiehaus für alle attraktiv gemacht wird, vom Luxushotel bis in den Sozialwohnungsbau. Das ist möglich. Jetzt und heute. Mit den richtigen Partnern.
Das ist eine Win-Win-Win-Situation für den Bewohner, den Investor, den Hersteller und Unternehmer aber auch für die Bank, die das bessere Haus mit einem ein wenig höheren Kredit finanziert. Beim Kreditnehmer kann sie niedrige Ausgaben und höhere Einnahmen ansetzen und eine höhere Wertstabilität und Sicherheit beim finanzierten Objekt. Das genaue Gegenteil also von den undurchsichtigen Baufinanzierungs-Geschäften in den USA, welche die weltweite Finanzkrise losgetreten haben.
Gesamtgesellschaftlich gesehen bleibt das Geld in der Region und geht nicht zu Gazprom oder in die Ölstaaten. Umstellung von Neubau und Sanierung auf Plusenergie wäre ein Förderprogramm für die Regionen, das durch keine steuerpolitische Maßnahme zu übertreffen wäre.

E. Ich habe mir Deine Plusenergiehäuser angesehen und bin überzeugt. Für mich müsstest Du der reichste Mann in Deutschland sein.

R. Schopenhauer hat einmal gesagt: Jedes Problem durchläuft bis zu seiner Anerkennung drei Stufen. In der ersten erscheint es lächerlich, in der zweiten wird es bekämpft. Und in der dritten gilt es als selbstverständlich. Lächeln tun nur noch wenige. In der zweiten Phase sind viele gegen dich, besonders die mächtigen Wirtschaftskreise. Aber auch Phase 3 ist nicht unproblematisch, denn wenn es wirklich ein Geschäft zu werden beginnt, dann kommen die, die es angeblich immer schon gewusst haben und machen Geschäfte – aber kaum auf dem technischen und sozialen und ideellen Niveau, die die Innovation tatsächlich hat. Was Schopenhauer nicht berücksichtigt hat, ist, wie schwierig auch die dritte Phase wirtschaftlich sein kann. Und was er gar nicht berücksichtigt hat, das sind die Blender.
Ich will auch nicht der reichste Mann Deutschlands sein, das interessiert mich nicht. Mich interessiert, die architektonischen, städtebaulichen, sozialen, kulturellen, politischen Möglichkeiten weiter auszureizen. Wir sind noch längst nicht am Ende, es geht noch viel besser. Zum Beispiel haben wir wissenschaftlich feststellen lassen, wie viel Energieüberschuss die Solarsiedlung in Freiburg tatsächlich erzeugt. Wir sind da, um einmal eine Zahl zu nennen, bei 36 kWh pro Quadratmeter und Jahr in Primärenergie. Klingt kompliziert, aber für 10 Jahre Solarsiedlung heißt das, dass gegenüber dem was üblicherweise gebaut wird, über 2 Millionen Liter Öl eingespart werden. Und wir feiern dieses Jahr das Zehnjährige. Aber mit neuen, optimierten Hauskonzepten und Siedlungsplanungen können wir dreimal, vielleicht sogar sechsmal so viel schaffen.

www.plusenergiehaus.de
www.rolfdisch.de
www.zsg-rottenburg.de/Dokumente/Spanien/SolarstadtFreiburg.pdf

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