vonErnst Volland 14.06.2012

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Erdbeeren

Der folgende Text wird im Herbst des Jahres unter dem Titel
„Genussvoll verzichten-Sie müssen ja glücklich sein.“ gedruckt erscheinen.
Zur Zeit beginnt die Saison der Erdbeeren. Sie sind zu Beginn des Buches zentrales Thema. Guten Appetiet.

Foto: Ernst Volland

Ich besitze kein Auto, kein Handy, keinen Fernseher, keine Uhr, keinen Anrufbeantworter, keinen Schlips, keine Visitenkarte, keine Brille, keine Sonnenbrille und vieles mehr nicht, selbstverständlich auch kein Pferd, keine Jacht und kein Flugzeug.
Ich bekenne mich zu Internet, Radio und Telefon, denn irgendwie muss man vernetzt sein. Für meine Mobilität sorgen die Nahverkehrsmittel, die Bahn und das Fahrrad.
Das Leben eines Eremiten möchte ich nicht führen. Dennoch beschränke ich mich auch im Alltäglichen. Vielleicht ist es eine männliche Attitüde, ungern Kleidung einzukaufen und deshalb die Garderobe begrenzt zu halten. Einen Anzug besitze ich, aber den auch schon zwanzig Jahre, zwei Jacketts, drei Hosen, drei Paar Schuhe. Doch warum habe ich im Laufe der Jahre Schritt für Schritt auf vermeintlich lebensnotwendige Dinge wie Auto und Handy verzichtet und verzichte immer noch auf sie? Darauf möchte ich hier eine Antwort geben.
Natürlich interessieren mich auch vergleichbare Lebensmodelle und Menschen, die mir in dieser Sache nahe stehen und mit denen ich sympathisiere. Deshalb werden hier einige von ihnen vorgestellt.
Da ich gerne esse und trinke, achte ich sehr darauf, was ich esse, wo ich esse und wann und wie ich esse. An Hand einer einzigen Frucht, der Erdbeere, zeige ich modellhaft, was ich unter Kultur des Essens verstehe und auf was ich lieber verzichte.

US-Forscher fanden durch Tests heraus, wie man die Charaktereigenschaften von Männern anhand ihrer Lieblingsspeisen ermitteln kann. Männer, die gerne Fischstäbchen essen, haben sich immer noch nicht von ihrer Mutter gelöst, Pizza-Männer stehen auf Spaß. Der Marmeladentyp braucht viele Streicheleinheiten, ist aber auch warmherzig und großzügig. „Genussvoll verzichten“ beschränkt sich nicht auf Messer und Gabel. Der Duft der Speisen bleibt nicht bei Marmeladentypen und Kartoffelsuppen-Männern hängen, er dringt tiefer ein. Es geht zwar vor allem um gutes Essen und die Kultur des Weines, um Menschen, die für uns sorgen, wie Köche und Kellner, Winzer und Bäcker.
Unsere geruchsempfindlichen Wahrnehmungen erweisen sich als geeignete Indikatoren, nicht nur beim Essen und Trinken. „Genussvoll verzichten“ – das weckt zahlreiche Assoziationen: Totalverzicht, Klimawandel und fossile Energien, Zivilgesellschaft und Konzerne, Mobilität und Unterhaltung, Wahrheit und Gerüchte. Das sind Themen, die viele bewegen. Die vier Worte „Das stinkt zum Himmel“ sind Ausdruck von Unbehagen und massiver Unzufriedenheit. Die Rauchzeichen sind überall zu sehen. Die Zivilgesellschaft hat „die Nase voll“.
Letztlich geht es um einen Kulturwandel, von dem der ehemalige Bremer Umweltsenator Reinhard Loske in seinem Artikel „Das ewige Mehr funktioniert nicht auf Dauer“ in der TAZ spricht:
„Klar kann man in einem Nullenergiehaus wohnen, sein Auto abschaffen, Car sharing betreiben und langlebige Produkte kaufen, die man nicht alle Jahre wegwerfen muss. Aber das ist nicht der primäre Punkt. Es geht hier nicht um persönlichen Verzicht, sondern um einen gesellschaftlichen Kulturwandel.“
Viel ist zu erwarten, wenn nicht alles, von einer Zivilgesellschaft, in der sich jeder verorten kann. In ihr bewegen sich die Menschen, die wirklich Verantwortung empfinden für die Natur und für die Zukunft unserer Kinder. Es versteht sich daher von selbst, dass der Schritt vom genussvollen Verzicht zum aktiven Handeln bis hin zum Widerstand nicht weit ist.
So verknüpfen auch die Autoren Claus Leggewie und Harald Welzer Klima und Kultur und sagen: Klimawandel bedeutet Kulturwandel.
Die Autoren zeigen, „“wie die Demokratie in Gefahr gerät, wenn sie keinen Weg aus der Leitkultur der Verschwendung findet.“
Sie sprechen für eine Erneuerung der Demokratie von unten und ermuntern Initiativen, andere Formen des Wirtschaftens und Lebens zu entwickeln. Sie setzen auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit anstatt auf den Fetisch Wachstum.

Unter „genussvoll verzichten“ ist die Fähigkeit zu verstehen, selbst zu entscheiden, was man als Mensch, der in einer Gemeinschaft lebt, sich und den anderen zumuten kann. Das betrifft nicht nur Fragen gesunder Ernährung, sondern auch verträglicher Umwelt und politischer Haltungen. Auch wenn viel vom Essen und Trinken die Rede ist, geht es hier nicht um das aktuellste Kochbuch eines bekannten Gastronomen oder um eine neue Kochshow, eher um die Aufmerksamkeit für Menschen, die mit ihrer Lebensweise oder ihren Erkenntnissen Wesentliches zum Thema eines breiten Kulturwandels beitragen können. Weniger ist mehr, dieser bekannte Slogan scheint aktueller denn je.

So sprechen Harald Welzer und Claus Leggewie vom „Verzicht als Gewinn“ und meinen damit den Verzicht auf Lärmbelästigung oder den auf ein Auto, aber auch den Verzicht auf übermäßigen TV-Konsum.
„Viele Menschen sehen extrem viel fern (in den USA monatlich im Schnitt 151, in Deutschland 103 Stunden), bekunden aber, darunter zu leiden und würden eigentlich lieber nicht so oft vor der Glotze sitzen.“

Dem immer wieder vorgeführten Bild einer Uhr, deren Zeiger fünf Minuten vor Zwölf oder eine Minute vor Zwölf oder drei nach Zwölf anzeigen, ist nicht mehr zu trauen. Jetzt sofort gilt es etwas zu verändern.
Der Dreck liegt vor der eigenen Tür!

Die Erdbeere

A. Rot, frisch, gesund und schmackhaft.

Erdbeeren sind eine Gattung aus der Familie der Rosengewächse. Sie spielen schon seit der Steinzeit eine Rolle in der menschlichen Ernährung. Die uns bekannte Gartenerdbeere wurde im 18. Jahrhundert aus Amerika eingeführt.
Die Erdbeere gilt als die „Königin der Beerenfrüchte“. Wenn die Erdbeeren reif sind, weiß man, dass die warme Jahreszeit begonnen hat. Die beste Qualität erhält man zur deutschen Erntezeit. Die heimischen Früchte haben kürzere Anfahrtswege, sie können deshalb reifer geerntet werden als ausländische. Man erkennt sie beim Einkauf daran, dass sie meist nur in Pappschälchen ohne Plastikfolie verpackt sind und die Form unregelmäßig ist, darunter viele große Exemplare.
Die Erdbeere ist nicht nur unter ernährungsphysiologischen Aspekten ein wertvolles Nahrungsmittel, sondern hat durchaus auch heilende Kräfte. Durch ihren relativ hohen Eisengehalt gilt die Erdbeere als förderlich bei Blutarmut. Gleichzeitig aktiviert das in der Erdbeere enthaltene Kalium die Tätigkeit der Nieren und begünstigt dadurch die Entwässerung und Entschlackung des Körpers.

“Ich lebe nicht auf dem Mond und weiß natürlich, dass man an Weihnachten bei uns frische Erdbeeren kaufen kann. Aber haben Sie mal geguckt, wo die herkommen? Ich habe Ende Dezember welche gesehen, die kamen aus Südafrika. Die hat nicht der Bauer um die Ecke gebracht, die sind geflogen. Aber nicht mit der Brieftaube, mit Kerosin. Welch ein Irrsinn! Ist uns eigentlich bewusst, wie viel wertvolle Energie wir mit dem unsinnigen Transport von Lebensmitteln verschwenden?” schreibt der Fernsehkoch Horst Lichter (der mit dem geschwungenen Schnauzbart) in der Zeitung „Man ist, was man isst.“ „Da reden wir uns die Köpfe heiß – und zwar zu Recht – über die Reduzierung des CO2-Ausstoßes und über die Entwicklung von Elektroautos, und machen uns kaum Gedanken über Erdbeeren aus Südafrika, Litschi aus Madagaskar und Bier aus Japan.”

Horst Lichter ist zuzustimmen.
Lebensmittelkonzerne werben mit der prall rot gedruckten Erdbeere und erhöhen damit ihre Gewinne. Auf der Außenhaut von Joghurtbechern purzelt appetitlich eine Fülle von frischen Erdbeeren herunter, innen befindet sich nicht einmal ein halbe Erdbeere, wie Thilo Bode in seinem Buch „Die Essensfälscher“ feststellte.
„Auch im „Möwenpick Gourmet Frühstück Erdbeere“ von Schwartau ist angeblich die „Königin der Erdbeere“ verarbeitet-das suggeriert besondere Qualität.“
In die Schwartaugläser kommt allerdings nur eine standardisierte Sorte üblicher Erdbeeren. Mit der Bezeichnung „Gourmet“ wird spielend ein höherer Verkaufspreis erzielt.

Die Erdbeere schmeckt am besten, wenn sie frisch geerntet wird. Sie sind druckempfindlich, faulen schnell und verlieren rasch ihr Aroma. Spätestens zwei Tage nach der Ernte sollte man sie verbrauchen. Wenn man sie nicht gleich verzehren kann, dann ist es ratsam, alle Früchte mit Druckstellen auszusortieren, die unbeschädigten Beeren locker nebeneinander auf einem Teller auszubreiten und diesen zugedeckt an einen kühlen Ort zu stellen.

Fortsetzung morgen.

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