vonErnst Volland 17.06.2012

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Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Mit dem 1967 komponierten Song „Strawberry Fields forever“, einem Klassiker der Beatles, beweist John Lennon spielerisch seine künstlerische Potenz und belegt sogleich, welches Potential auch musikalisch in der Erdbeere liegt. „Strawberry Fields“ (Erdbeerfelder) ist der Name eines Waisenhauses der Heilsarmee in London, in dessen Nähe der junge John Lennon aufwuchs.

Foto: Heinz Krimmer

Let me take you down,
’cause I’m going to Strawberry Fields.
Nothing is real
and nothing to get hung about.
Strawberry Fields forever.

François Villon, der bedeutendste Dichter des französischen Spätmittelalters (geboren 1431 in Paris), sah in der Erdbeere ein Symbol weiblicher Erotik.

„Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Das will ich sein im tiefen Tal
dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.“

Erdbeeren sieht man häufig in Motiven der Bildenden Kunst. Sie sind, ganz im Gegensatz zum unerschrockenen und lasziven Gebrauch bei François Villon, aufgrund ihres niederen Wuchses ein Symbol für Demut und Bescheidenheit, insbesondere als Attribut in Maria- und Jesus-Christus-Darstellungen.
Die weißen Blütenblätter stehen als Zeichen des Paradieses, die roten Erdbeeren symbolisieren das Blut Christi. Die einzelne Frucht stellt einen Blutstropfen Christi dar. Legenden behaupten, dass Maria einmal im Jahr vom Paradies auf die Erde herabsteige, um dort Erdbeeren für die verstorbenen und nun im Paradies lebenden Kinder zu sammeln. Wegen ihrer dreiteiligen Blätter war sie Symbol der Dreieinigkeit. Die reife Frucht konnte auch auf die Reife einer jungen Frau zu Ehe und Mutterschaft deuten.

Ich kann mich erinnern, Ende der 60er Jahre in einem Januar Erdbeeren gegessen zu haben. Das war außergewöhnlich. Zusammen mit der Familie des Malers Franz Radziwill bin ich damals nach Köln gefahren, um eine Ausstellung des Künstlers in der Galerie des Gerling Konzerns zu besuchen.
Der Besitzer und Chef der Gerling Versicherungen, Hans Gerling, ermöglichte damit den in der Bundesrepublik bis dahin noch selten ausgestellten „Magischen Realisten“ einen weiteren Schritt zur Rückkehr in die deutsche Kunstszene. Radziwill, ein Zeitgenosse von Otto Dix und George Grosz, wurde Ende der 20er Jahre und Anfang der 30er Jahre einem breiteren Kunstpublikum bekannt. Seine suggestiven und genau gemalten gegenständlichen Bilder kauften Museen und Sammler.
Die Einladung zu einem Dinner im Anschluss an die Ausstellungseröffnung im kleinen Kreis interessierte mich, allein schon auf Grund des feudalen Ambientes. Zum Dessert wurden frische Erdbeeren gereicht, die bei mir automatisch die Frage hervorriefen, woher diese mitten im Januar stammten.

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