vonErnst Volland 12.07.2012

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Die Aussstellung “Bissfest” in der jw Ladengalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin (Nähe Rosa- Luxemburg Platz) wird bis zum 16. Juli verlängert. Dort zeigt Ernst Volland Plakate und Karikaturen aus den 70er und 80er Jahren.

“Ich lasse mich davon überraschen, was der Betrachter wahrnimmt.”

Eckhart Gillen im Gespräch mit dem Medienkünstler Ernst Volland

G: Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich bei dir in der Wahl der Medien und Inhalte ein grundlegender Wandel vollzogen, der sicher auch zu tun hatte mit einem gesellschaftlichen Wandel.
Ein Beispiel dafür wäre der Fall „Jägermeister“: Die Unikatanzeigenserie des Wolfenbütteler Schnapsbrenners Günter Mast, die mit leicht zotigen Sprüchen nach der Art – “Ich trinke Jägermeister, weil ich zwar nicht den Numerus clausus, dafür aber die Nummer mit Klaus geschafft habe” – auf jugendliche Konsumenten zielte, wurde von dir mit einer satirischen Anzeige in der Zeitschrift “pardon” 1/1981 beantwortet. Darin erklärt ein siebenjähriges Mädchen mit einem Glas Jägermeister in der Hand: “Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt.” Damals forderte die Firma W. Mast KG eine Unterlassungserklärung und Schadenersatz. Das Landgericht Hamburg gab ihr Recht.

V: Ich habe Anfang der 70er Jahre mit der eigenen Produktion von Karikaturen, Fotomontagen und Plakaten begonnen. Im Laufe der Jahre sind etwa hundert verschiedene Motive entstanden, viele davon sind beschlagnahmt worden, es gab Prozesse, Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren. Ein immer noch sehr bekanntes Motiv ist meine Jägermeisterkampagne, die zuerst in der Zeitschrift Pardon erschien. Sie nahm Bezug auf eine sehr verbreitete Jägermeister Werbung, die auch oft persifliert wurde. Bei mir kam es zum Prozess. Dieser wurde in der ersten Instanz von Pardon und mir verloren.
G: Die Firma hatte dann überraschend einen Rückzieher gemacht. Man sei an einer weiteren Fortführung des Rechtsstreits nicht interessiert und verzichte auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung. Sie waren sogar bereit, die Gerichtskosten zu bezahlen.

V:. Kurz vor der Revision, also dem zweiten Gerichtsverfahren, zogen die Anwälte von Jägermeister ihre Anklage zurück und übernahmen alle angefallenen Kosten. Das war aus der Sicht von Jägermeister genau richtig, weil sie so der ganzen Kampagne den Wind aus den Segeln genommen haben. In der Öffentlichkeit wurde unsere Kinder-Alkohol-Aktion nämlich gegen Jägermeister diskutiert und bekam immer neue Verbreitung. Meine beiden Jägermeistermotive sind – Jägermeister sei Dank- heute immer noch aktuell, der Vertrieb als Postkarte und Plakate läuft immer noch.
G.: Die Pointe der Geschichte war, dass aus dem Verdauungslikör für ältere Herrschaften inzwischen ein beliebtes Szenegetränk in den Vereinigten Staaten geworden ist, das von jungen ‘Jägerettes’ in Reagenzgläsern serviert wurde.
Nach solchen Erfahrungen hast du 1987 ganz professionell eine Fotoagentur gegründet. Was war das für eine Agentur?

V:. Die Agentur habe ich gegründet, weil ich auf dem Gebiet der Fotografie eine Nische entdeckte. Als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für Design in Bielefeld habe ich Anfang der 80er Jahre ein Seminar zum Thema “Was ist komisch in der Fotografie?” angeboten. Dabei kam eine Wanderausstellung und ein Buch Heraus. Die Resonanz nach skurrilen und komischen Fotos war so groß, dass ich mich entschloss, die Fotoagentur „Voller Ernst“ zu gründen. Es ist sehr schwierig ein komisches Foto zu machen und es ist für uns sehr schwierig eines zu finden. Wie im Weinberg, wo man die besten Weintrauben handverlesen vom Rebstock pflücken muss, um einen guten Wein zu bekommen, muss man jedes einzelne Foto suchen und finden. Inzwischen haben wir eine beachtliche Sammlung an zeitgenössischer und historischer komischer Fotografie.

G: Die Agentur sichert deine künstlerische Unabhängigkeit. Aber wie baut sich so eine Agentur auf? Wo findest du das Material?

V: Wir haben relativ schnell einen Bekanntheitsgrad erreicht. In der Presse und der Fotoagenturbranche galten wir als Novität, das hat sich auch international herumgesprochen und viele Fotografen schicken uns bereits von sich aus ihr Material zu. Mit der Umwandlung ins Digitale geht das ja heutzutage wesentlich einfacher.
Sicher war es kein Zufall, dass ich gerade 1987 mit der Agenturarbeit begonnen hatte. (Im Januar 1987 zeigte ich unter dem Titel „Schöne Ansichten“ in Berlin in einer Retrospektive meine Arbeiten aus den Jahren 1967 – 1987). Zu diesem Zeitpunkt schwand zunehmend die Resonanz auf meine kritischen Zeichnungen und Plakate. Die vertraute Szene gab es nicht mehr. Ich war ja jemand, der außerhalb der Parteien eine diffuse Szene bedient hat, die kritisch gegenüber dem linken Spektrum der SPD und DKP stand und etwas Anarchisches hatte. Ich verstand mich als Einzelgänger, der sich über bestimmte gesellschaftliche Dinge ärgert, der dann diesen Ärger künstlerisch umsetzt und Karikaturen, Plakate und Fotomontagen produziert. Die Plakate und Postkarten, sind von mir entworfen und auch oft selbst gedruckt worden, so dass sie unzensiert an den Adressaten kamen. Das war als Einmannbetrieb nicht einfach, ohne jeden finanziellen Rückhalt, ohne jede Basis, sei es eine Partei oder irgendeine Institution. Ich bin in den 70er und 80er Jahren ständig herum gefahren, um meine Arbeiten selbst zu veröffentlichen und zu vertreiben. Wolf Biermann habe ich einmal gezielt angesprochen und gefragt: “Du ziehst doch 3.000 Leute, ich möchte mich gerne mit meinen Plakaten an den Eingang des Konzertes stellen, darf ich das?”. Und er hat gesagt: “Natürlich!”. Am Anfang seines Auftrittes hat er dann gesagt: “Kauft dem Volland mal was ab.”

Irgendwann konnte ich diesen autonomen Produktions- und Distributionsprozess nicht mehr realisieren, weil mir das Publikum fehlte, es hatte sich zerstreut. Es gab in den achtziger Jahren eine Periode der Ellenbogengesellschaft, die interessierte sich nicht für kritische politische Themen. In diese Lücke bin ich dann mit der Agentur gegangen. Parallel dazu habe ich weiter kreativ gearbeitet, Fotobücher herausgegeben, vier Kinderbücher veröffentlicht mit eigenen Texten und Zeichnungen, eine Zeit lang Fakes für Sat.1 und RTL in einem kleinen Team realisiert, also kleine Filme mit Ironie produziert, in denen ich auch als Schauspieler aufgetreten bin.

G: Rückblickend hast du zum richtigen Zeitpunkt die Kurve gekriegt. Denn, Hand aufs Herz, dieser Wandel in der Publikumsgunst seit Mitte der achtziger Jahre hatte ja nicht zuletzt auch etwas damit zu tun, dass die Gesellschaft und dieser Staat sich von Grund auf verändert haben. Dein Erfolg und die Brisanz deiner Arbeit in den siebziger Jahren beruhte ja darauf, dass du ständig Anstoß erregt hattest. Was wäre denn passiert, wenn niemand darauf reagiert hätte? Wenn alle gesagt hätten: “Ja prima, der hat recht.” Deine Kreativität und Aggressivität entzündete sich ja gerade an den Angriffen und Widerständen gegen deine Arbeit. Inzwischen ist Otto Schily, der damals im Präsidium der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst saß und u.a. als Rechtsanwalt Strafanzeige gegen die Berliner Polizei wegen Sachbeschädigung und Nötigung sowie Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die verantwortlichen Polizeibeamten bei der Zerstörung deiner Ausstellung “Voll aufs Auge” 1981 vor der Gedächtniskirche eingereicht hatte, Bundesinnenminister gewesen, also der oberste Chef der Polizei. Vieles hat sich gewaltig geändert, die Deutschen haben nach gesessen in Liberalität. Heute unterscheiden wir uns kaum noch von den Niederlanden oder Schweden. Heute würden deine Arbeiten aus den siebziger Jahren gar nicht mehr funktionieren, oder sehe ich das falsch!?
V: Da stimme ich dir zu, es ist vollkommen richtig. Ich habe mal in den 70er Jahren in den Niederlanden ausgestellt und da sagte man mir: “Hast du es gut, du hast ja noch Reaktionen, bei uns ist die Gesellschaft wie eine Gummiwand, hier prallt alles ab, du spürst wenigstens Widerstand”.
Trotzdem muss ich sagen, dass ich die Konfrontation liebe, aber nie eine oftmals so harte staatliche Reaktion erwartet habe. Von vorn herein auf einen Skandal zu setzten, geht meist daneben. Was die Aktualität der Plakate und Fotomontagen betrifft, so kann man feststellen, dass die Arbeiten die Patina der 70er Jahre haben, aber die Inhalte aktueller denn je sind. Atomkraft, Klimawandel, Zensur, Hunger usw.

G: Das Buch “Schöne Ansichten”, das 1987, im Jahr der Agenturgründung, erschienen ist, kann im Nachhinein als Bilanz deiner Produktion der siebziger und achtziger Jahre bis zu der von dir festgestellten Zäsur betrachtet und gelesen werden. Natürlich denkt jeder, wenn er deinen Namen hört, zunächst an die berühmten Plakate bzw. Postkarten zum Bundestagswahlkampf 1975/76 “Ich find’ beide süß” mit Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt als Bodybuilder, die Hans-Dietrich Genscher als attraktive Bikiniträgerin in ihre Mitte nehmen, oder “Bleibt sauber” über dem Foto von Kohl und Strauß als lachende katholische Jungfern. Plakate wie “NSDAP-Mitglied als Bundespräsident!? Carstens erster Deutscher?” (1979) und “Öffentlicher Dienst. Wir stellen ein: fähige Radfahrer, Schleimer, Duckmäuser, Schnüffler, Kriecher” (1975) boten u.a. immer wieder Anlass für staatliche Zensurmaßnahmen.
Dennoch fiel mir beim Wiederbetrachten deiner Arbeiten auf, dass du von Anfang an, im Gegensatz zu Klaus Staeck, nicht festzulegen bist auf das satirisch-agitatorische Fotomontage-Plakat mit seinen Ablegern Postkarte und Aufkleber. Geschult an den bis 1969 entstandenen phantastischen Zeichnungen, die Einflüsse des Surrealismus verraten, hast du parallel zu den Montagearbeiten einen frechen, anarchischen Zeichenstil entwickelt. In diesen Zeichnungen und Karikaturen ist keine Spur von dem rechthaberischen, oberlehrerhaften Agitationsgestus dieser Jahre nach dem Motto “Weg mit…”. Der politische Gegner wird, teils auch auf den Plakaten, mit einer entwaffnenden Ironie gezeigt. Bildgeschichten wie “Fred und sein Sohn” (erschienen bei rororo 1977) verraten eine damals ungewöhnliche Selbstironie, eine Bereitschaft über die eigene Szene, das linke, oft recht biedermeierliche Milieu und die vielen Verrenkungen bei der Überwindung “kleinbürgerlichen Bewusstseins” in der Wohngemeinschaft zu lachen. Wenn du die eigene Szene darstellst, dann bist du das ja zum Teil auch selbst.

V: Ich sehe das auch so.

G: In dem herrlichen Bilderbuch “Schöne Ansichten”, das ich streckenweise so spannend wie einen Krimi fand, stieß ich auch auf einen Briefwechsel zwischen dir und Klaus Staeck, den ihr vor der Bundestagswahl 1980 geführt habt. Es ging um deine Beteiligung an der von Staeck gegründeten Initiative “Freiheit statt Strauß”. Du konntest dir damals nicht vorstellen, für die SPD als Wahlhelfer zu agieren, u.a. hatte dich der NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau von deinem Lehrauftrag an der Fachhochschule für Design in Bielefeld suspendiert wegen einer Fotomontage, die Arbeitgeberpräsident Schleyer zeigt, der zusammen mit Logos der Deutschen Bank, VW, Ford, Shell mit einem Besen von einem Gärtner unter den Rasen gekehrt wird – die Arbeit ist übrigens im Mai 1977 entstanden, also vor der Ermordung Schleyers durch die RAF im Oktober 1977.
Staeck erweist sich in seiner Antwort als guter, kritisch-loyaler Parteiarbeiter, der dich vor dem Charme der grünen Bewegung eindringlich warnt: “Es geht mal wieder um flüchten oder standhalten, lieber Ernst…”
Da er ja auch mit ähnlichen satirisch-politischen Plakatmontagen operiert und damit eine Karriere gemacht hat, sollte man vielleicht festhalten, dass er im Gegensatz zu dir immer auch so eine Art Parteipolitiker mit dem Sonderstatus eines Agitprop-Künstlers ist. Im Zweifel, d.h. im Zensurfall, schützte ihn dafür die gute “alte Tante SPD” (Staeck) und er konnte über ihren Apparat verfügen, um sich zur Wehr zu setzen. Er hat sich in der Öffentlichkeit auch als Kulturpolitiker einen Namen gemacht und ist als blendender Rhetoriker der bessere Animateur in Talk-Shows und Diskussionsrunden. Je komplizierter die Welt geworden ist, desto mehr orientieren sich die Leute ja an wenigen Stars, die jeweils für eine bestimmte Sparte stehen: So ist beispielsweise in der breiten Öffentlichkeit die Position des politischen Künstlers mit dem Namen Klaus Staeck, die des Karikaturisten mit Tomi Ungerer und die des Moralisten in der Literatur mit Günter Grass besetzt.
Dich dagegen kann man nicht so leicht festlegen auf eine bestimmte Sparte, das wird in Zukunft deine Stärke sein. Du hast mal angefangen mit den surreal grotesken Zeichnungen, das ist ja eine viel tragfähigere Linie, die man weiterziehen kann. Diese Zeichnungen haben ja was unheimlich Schönes und Tiefgründiges. Das ist ja nicht Karikatur im engeren Sinne, sondern – vergleichbar mit einem Wilhelm Busch, der ja auch Zeichnungen und Gemälde gemacht hat – Teil eines umfassenden künstlerischen Konzeptes.
Wer als Künstler in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, und wer nicht, das konntest du 1981 und 1982 in einem Selbstversuch testen. Im August hatte die Berliner Polizei die bereits erwähnte, von der Kirchengemeinde offiziell genehmigte Straßenausstellung “Voll aufs Auge” auf Plakatgroßflächen an der Berliner Gedächtniskirche zerstört. Kein Artikel über diese Aktion ist damals in der Berliner bürgerlichen Presse erschienen.

V: Diese Meldung lief über dpa. Die Polizei habe eine Ausstellung geschlossen, weil der Künstler Ernst Volland Plakate mit nationalsozialistischen Symbolen gezeigt habe. Ich wurde plötzlich zum Neonazi erklärt! Als Reaktion darauf habe ich mir Anfang 1982 die Aktion “Frische Malerei” mit gemalten Bildern eines fiktiven französischen Künstlers aus der Generation der ‘Neuen Wilden’ namens Blaise Vincent ausgedacht. Ich sagte mir, wenn die mich negieren, muss ich subversiv vorgehen und jubel ihnen einen Künstler unter.

G: Darüber hatte aber die Zeitung „Der Tagesspiegel“ sofort geschrieben, oder?

V: Nicht über den Fake, sondern vorher, über den Künstler Blaise Vincent, dessen neun großformatigen Bilder ich an zwei Nachmittagen im Hinterstübchen der Galerie gemalt hatte. Das wusste der Rezensent vom Tagesspiegel natürlich nicht, der eine einfühlsame, halbseitige Rezension über die Ausstellung in der Galerie am Chamissoplatz mit einem Foto des (fiktiven) Künstlers vor einem seiner Werke. Diesen Blaise Vincent spielte ein junger Franzose, der als Musiker für ein Jahr in Berlin leben wollte. Alles, was vorher passiert ist, alle Beschneidungen und Repressionen meiner Arbeit, alle künstlerischen Ausdrucksformen, Aktionen und Ausstellungen sind damals vom Tagesspiegel ignoriert worden. Die Ausstellung mit dem völlig unbekannten Künstler Blaise Vincent (alias Ernst Volland), dagegen erschien als großer Aufmacher.

G: Die Aktion lief doch über ein ganzes Jahr, oder?

V: Ja, Blaise Vincent kam fast bis nach New York. Die Philipp Morris Stiftung aus München war an einer Ausstellung interessiert. Im Mai 1983 haben wir die Aktion für beendet erklärt. Jemand aus unserem kleinen Kreis muss geplaudert haben.

G: Immerhin gelang es dir, u.a. den damaligen Kultursenator Wilhelm A. Kewenig sowie die Nationalgalerie in Berlin zu involvieren, der ein Gemälde des Jungstars zum Geschenk gemacht wurde, für das sie sich artig bedankte und eine Spendenquittung ausstellte. Das hätte man noch weiter ausbauen können, international.
Der Karikaturist Manfred Deix aus Wien schrieb dir über die “Blaise-Vincent-Geschichte” ins Stammbuch: “Diese Aktion hat so vieles bewiesen und so vieles entlarvt, sie war unendlich tückisch für die Kunst und ihre heutige Vermarktung, aber wer hat eigentlich davon erfahren?” Das stimmt, wenn ich damals nicht in Berlin gelebt hätte, wäre mir wohl die ganze Geschichte entgangen. Es war nur lokal bekannt.
Die Satire ging im Grunde ins Leere. Auf dem Kunstmarkt hatte sich in den achtziger Jahren die Richtung des Blaise Vincent durchgesetzt. Eine Realsatire, der du mit deiner satirischen Aktion nicht beikommen konntest.

V: Ins Leere, das sehe ich nicht so. Die Geschichte hatte sich schnell über Berlin hinaus herumgesprochen. Im Gegensatz zur Attacke gegen einen einzelnen Schnapsbrenner „Jägermeister“ war hier der ganze aufgeblähte Kunstmarkt mit seinen Strukturen angesprochen. Der pariert jeden Angriff mit dem Schwamm. Er saugt ganz nach Belieben jeden müden Quatsch als Postdadaistisch auf. Basta. Meine Blaise Vincent Aktion traf den Nerv des Kunstmarktes. Jeder hätte auf meine Fake hereinfallen können. Das zeigt auch, wie fragil der Markt ist und wie viele Scharlatane sich dort tummeln können. Blaise Vincent ist nach der Aufdeckung des Fakes vom Markt nicht als postdadaistischer Künstler gefeiert und in die Gemeinde aufgenommen worden. Er ist ein Nestbeschmutzer. Das von der Nationalgalerie Berlin gern erwähnte und herumgezeigte Bild von Blaise Vincent wurde nach der Aktion aus den Beständen getilgt.
Ende der 80er Jahre habe ich wieder begonnen, mich mit historischen Themen wie Krieg und den Völkermord an den europäischen Juden intensiver zu beschäftigen. Angeregt dazu wurde ich 1991 in Moskau, als ich den russischen Fotografen Jewgeni Chaldej, Jahrgang 1916, kennen lernte. Er war im Zweiten Weltkrieg Frontkorrespondent von Prawda und TASS, fotografierte die Kämpfe an der Nordküste um Murmansk, auf der Krim und anschließend den ganzen Rückzug der deutschen Truppen über den Balkan bis nach Berlin. Dort fotografierte er 1945 auf der Potsdamer Konferenz und ein Jahr später beim Nürnberger Prozess.

G: Berühmt geworden ist er mit dem nachträglich inszenierten Bild vom Hissen der Roten Fahne (“Sieg”, 1945) auf dem Reichstag. Du hast ihn mit Ausstellungen und Publikationen in Deutschland und darüber hinaus bekannt gemacht.

V: Die expressiven Bilder Chaldejs und der Fotograf selbst waren für mich und meine künstlerische Entwicklung sehr anregend. Zudem hatte ich im Laufe der Jahre durch meine Agentur und Fotosammlung viel Erfahrung im Umgang historischem Bildmaterial gewonnen. 1993/94 entstanden dann die ersten großen Unschärfe-Bilder, denen historische Bildikonen zugrunde liegen.

G: Ich muss zugeben, wenn ich diese Bilder Mitte der neunziger Jahre gekannt hätte, wäre ich sehr glücklich gewesen, sie in meiner Ausstellung “Deutschlandbilder” zeigen zu können.

V: Ich habe diese Bilder erst im vorgerückten Alter, mit einer Menge medialer Erfahrung machen können. Sie scheinen die Summe aller Bilder zu sein, die durch mich hindurchgegangen sind. Ich zeichne so gut wie keine Karikaturen mehr, auch mit der Arbeit an Fotomontagen und Plakaten habe ich abgeschlossen.

G: Du arbeitest jetzt mit dem fotografischen Material von Bildarchiven, ein Medium, mit dem du seit über dreißig Jahren vertraut bist. Du malst nicht, erzielst aber eine ähnliche Wirkung wie ein Gerhard Richter oder Georg Baselitz. Deren Bilder hängen im Museum mit demselben Format und von den Themen her hat es das gleiche Gewicht. Du stellst mit deinen Bildern eine Dialogsituation her, machst ein soziologisches Experiment. Ikonen des kollektiven Bewusstseins, Schlüsselszenen des Zweiten Weltkrieges, des Völkermordes, der politischen Ikonographie, wie Willy Brandts Kniefall in Warschau, werden durch Vergrößerung der kleinen Ausgangsformate und gezielte Defokussierung zu unscharfen Schattenbildern. Das Wiedererkennen durch den Betrachter bestätigt ihre Zugehörigkeit zum kollektiven Bildgedächtnis bestimmter Generationen.
Darüber hinaus führen diese Bilder im Bewusstsein der Betrachter ein Eigenleben. Sie erscheinen als erfundene Bilder. Das Kunstwerk ist bekanntlich nicht das gerahmte Exponat, sondern, das, was es im Kopf des anderen auslöst, es liegt im Immateriellen und du lieferst die Vorgabe. Du arbeitest im Sinne der Moderne mit der Irritation, die in der Ambivalenz der Bilder steckt, während die Kunst der politischen Avantgarde mit ihren Methoden der visuellen Aufklärung (z.B. die Entautomatisierung der Wahrnehmung) immer mit Bildpädagogik und Zwang verbunden war.

V: Früher habe ich die Satire bereits fertig montiert in einer verständlichen, konsumierbaren Form präsentiert. Jetzt findet die Montage erst im Kopf des Betrachters statt. Unter jedem Bild liegen mehrere Schichten: Historie, Bewusstsein, Politik, Erkenntnisgewinnung. Nach wie vor würde ich meine Arbeit als engagierte, politische Kunst bezeichnen, mit einem sehr hohen ästhetischen Anspruch. Auch das Format ist entscheidend. Ich brauche keinen Bildtitel, im Gegensatz zu anderen Künstlern, die einen Bildtitel formulieren, und damit dem Betrachter einengen, was er sehen soll.

G. Im Gegensatz zu deinen Fotomontage-Plakaten verzichtest du auf die Eindeutigkeit einer Botschaft durch das Herausnehmen des Wortes zugunsten des absoluten Vertrauens auf das Bild.

V. Ich gebe ein diffuses Bild vor und überlasse es dem Betrachter, was er wahrnimmt. Jedes von mir entworfene Bild stellt mit jeder Person einen eigenen Dialog her. Der Betrachter bleibt allein mit der Frage, warum sich bestimmte Bilder in das Gehirn einbrennen, wieso man sie nicht vergessen kann. Man kann sagen, ich vertraue zuerst mir, dann dem geschaffenen Bild und schließlich auch dem Betrachter. Ich denke sogar, die Intensität des Ausdrucks meiner eingebrannten Bilder ist durch die Reduktion auf das ästhetische Bild größer als die gleiche thematische Bildagitation oder das realistische Fotodokument.

G: Weil wir nicht mehr berührt werden von der Masse der Bilddokumentationen, sprechen sie uns stärker an, als die überscharfen Reportagen oder Fotos mit ihren teils brutalen Details. Sind deine unscharfen Bilder eine notwendige Reaktion auf diese Bilderflut?

V: Man kann sie als Oase, als Ruhepunkt oder als ein Stillhalten in mitten der täglichen Bilderflut sehen. Und so werden sie auch beim Betrachten wahrgenommen. Der Zuschauer ist irritiert, bleibt stehen und reflektiert. Er nimmt wahr, holt verschiedene Motive aus seiner Erinnerung und kann somit das Bild deuten.
Zurzeit bereitet das Deutsche Historische Museum eine Ausstellung zum Verhältnis Polen/Deutschland vor. Meine unscharfe Variante des Willy Brandt Kniefalls war zusammen mit dem allseits bekannten offiziellen Presse Foto des Kniefalls in Warschau von 1970 als Plakatmotiv für die Ausstellung in der engeren Auswahl. Man entschied sich nicht für meine unscharfe Variante, sondern für das bekannte Pressefoto, was ich bedauere, nicht nur weil ich der Künstler bin, sondern, weil die unscharfe Variante mehr Spannung, mehr Interesse, mehr Irritation erzeugt hätte.

G: Wie sind deine Erfahrungen in den letzten Jahren mit der Präsentation deiner Bilder in öffentlichen Institutionen oder Museen.

V. Ich habe einige gute Ausstellungen in deutschen Museen gezeigt, die Resonanz auf Seiten des Publikums sowie die umfangreichen Kommentare den Besucherbüchern waren beeindruckend. Es kam auch zu Ankäufen. Im DHM (Deutschen Historischen Museum, Berlin) hängen meine Bilder in der ständigen Ausstellung und zwar unmittelbar am Ende der Ausstellung.
Meiner Meinung gehören die eingebrannten Bilder aber nicht ausschließlich in Museen mit historischem Kontext. Ich sehe sie auch gern in einem wertfreien künstlerischen Zusammenhang, in einer Galerie oder einem Kunstmuseum. Es gab zwei Ausstellungen in der Galerie Tammen, Berlin, zusammen mit einigen anderen Fotografen oder Künstlern, jedoch noch keine Ausstellung in einem Kunstmuseum, also mit neutralem Hintergrund. Privatverkäufe gestalten sich schwieriger, da meine Bilder sich nicht für Dekorationen über dem Kamin eignen.
Es entstehen immer wieder neue unscharfe Bilder, seit einigen Jahren arbeite ich aber auch an großformatigen farbigen Bildern, die ganz anders gestaltet sind als die „Eingebrannten Bilder“. Als Basis benutze ich Fotomaterial und als Malwerkzeug Buntstifte. Diese Bilder besitzen eine dichte, kolorierte Oberfläche, den Untergrund bildet ein historisches Ereignis. Es geht also weiter.

Das Gespräch führte Eckhart Gillen, geb. 1947 in Karlsruhe, Studium der Kunstgeschichte,
Germanistik und Soziologie in Heidelberg, Ausstellungen und Publikationen zur
Kunst im 20. Jahrhundert, u.a. Deutschlandbilder, Wahnzimmer Deutschland, Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945-1989.

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