vonErnst Volland 01.03.2013

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Das RaschelRaschel.

Man hört es kaum noch rascheln. In der U- Bahn, im Bus, im Flugzeug.
Ich sitze in der U- Bahn und raschel, manchmal auch im Bus und ich raschel im Flugzeug, allein, denn in den günstigen Fluggesellschaften werden die Tageszeitungen nicht mehr beim Eintreten kostenlos angeboten, geschweige durch den Service vor dem Abflug im freundlichen Durchgang gereicht.
Oft komme ich erst nachts im Bett zur Lektüre meiner drei Tageszeitungen, zwei davon abonniert, die FAZ wird alternierend mit der Süddeutschen an Kiosken gekauft.
„Raschel nicht so“, sagt meine Bettnachbarin, selbst im I-phone lesend. Dabei habe ich jede Seite im Zeitlupentempo umgewendet, damit das Raschelgeräusch nicht stört. Es nützt nichts, nach der dritten gewendeten Seite kommt wie bestellt neben mir der Satz: „Raschel nicht so!“
Zugegeben, ich kann nicht alle Artikel lesen, einige interessieren mich nicht, und ich muss daher die Seiten in kurzen Abständen umschlagen. Eine normale FAZ besitzt täglich etwa dreißig großformatige Seiten. Weitere Raschelgeräusche sind zu erwarten. Da heißt es standhaft bleiben, weiter lesen und leise rascheln.
Null Chancen habe ich, wenn meine Bettnachbarin ihr I-phone auf ihren Nachttisch gelegt hat, sich umdreht, ihr Lämpchen ausschaltet und schlafen möchte. In der Zeit der Benutzung ihres I-phones wird das RaschelRaschel bei moderater Anwendung geduldet, verringert jedoch eine eventuelle emotionale Annäherung erheblich. Rascheln löst bei passionierten und professionellen I- phone Besitzer/innen keine erotischen Momente aus.
Ist das Licht bereits auf der anderen Seite des Bettes ausgeschaltet, ändert sich der Satz „Raschel nicht so“ in „Raschel nicht dauernd!“ Gleichzeitig wird der einen Wortänderung von so in dauernd, eine heftigere bis aggressive Betonung unterlegt, mit dem Ergebnis, dass die Zeitung automatisch aus der Hand gleitet und wie ein Blatt auf den Boden fällt.
Das Lesen eines Buches wird von der Nachbarin geduldet, da kleine Buchseiten erheblich leisere Geräusche beim Wenden von sich geben. Es kommt hier nicht zum RaschelRaschel.
Auch ist die Zeit zwischen einer gelesenen Seite und einer noch nicht gelesenen Seite erheblich länger. Der Text im Buch folgt normalerweise einer Handlung. Das Lesen einer ganzen Seite erfolgt im gleichen Takt zur Dauer des Lesevergnügens der folgenden Seiten. Es stellt sich also neben einem kaum hörbaren raschelraschel ein gleichmäßiger Rhythmus des Raschelgeräusches ein, an das sich andere gewöhnen können, zumal diese hin und wieder selbst im Bett lesen.
Aber Zeitungen gehen gar nicht. So überbrücke ich die Zeit bei der Heimfahrt in der U- Bahn oder in einem Bus mit der Lektüre meiner drei Zeitungen. Es gelingt mir, den kurzen Überblick einer Zeitung zu bekommen, vielleicht schaffe ich, in der knappen Fahrzeit sogar einen kompletten Artikel zu lesen, mehr aber nicht.
Alle drei Ausgaben können erst am nächsten Morgen zu Ende gelesen werden.
Großer Nachteil: Die drei Zeitungen sind dann vom Vortag. Egal. Vorteil: Am Frühstückstisch wird das RaschelRaschel von meiner Bettnachbarin nicht wahrgenommen.
Die Freude am Rascheln verschwindet allmählich. Ich sitze auffällig oft allein mit einer Zeitung in der U- Bahn oder im Bus. Um mich herum stumme Fahrende, die irgendwo hinschauen. Die meisten schauen auf ihr I-phone.
Ist das RachelRaschel bald ganz vorbei? Im Netz lese ich den folgenden Reim.

Blätterfall, Blätterfall,
gelbe Blätter überall.
Raschel, raschel, es wird kalt
und der Schnee bedeckt sie bald.
Blätterfall, Blätterfall,
gelbe Blätter überall.
(Unbekannt)

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