vonErnst Volland 04.09.2013

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Sie stand um drei Uhr nachmittags im Cafe’ am Tresen. Er stellte sich neben sie und trank einen Espresso.
Am nächsten Tag ging er zur gleichen Zeit in das Cafe’. Die Frau vom Vortag, die er vorher noch nie in diesem Cafe’ gesehen hatte, kam durch die Tür und bestellte neben ihm einen Tee. Es gibt keine Zufälle, dachte er und schob ihr die Zuckerdose ans Teeglas.
„Danke, ich nehme nie Zucker in meinen Tee.“
Nach einer halben Stunde konnte er sich eine ungefähre Vorstellung machen, mit welcher Frau er sich gerade unterhielt. Sie war eine der Verantwortlichen bei der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Peking. Morgen ging sie für fünf Monate nach Peking.
Als sie den zweiten Tee ausgetrunken hatte, sagte sie.
„Kommen Sie mich doch mal dort besuchen. „
„Ja, vielleicht,“ antwortete er.
„In einem Jahr haben wir das Jahr 2000. Jetzt können Sie das alte China noch sehen. Es wird bald verschwunden sein.“
Obwohl er seine Antwort im Ungefähren ließ, war er bereits fest entschlossen, die Gelegenheit wahr zu nehmen. Noch nie war er in China.
Sie gab ihm zum Abschied die Hand.
„Also, dann bis in Peking, hier ist meine Karte.“
Er griff in seine Jackentasche und zog eine Visitenkarte heraus.
„Und hier ist meine. Wir sehen uns.“
Nach drei Monaten, einige Tage nach Weihnachten, lag ein weicher Umschlag in seinem Briefkasten, auf dem chinesische Briefmarken klebten. Er löste vorsichtig die Gummierung und ein hauchdünnes Seidentuch rutsche heraus.
Auf einem rot getönten Zettel las er:
Wo bleiben Sie. Im Januar ist Peking am schönsten.
Mitte Februar saß er im Flugzeug. Die einfachen Visa Formalitäten überraschten ihn. Sie holte ihn mit einem Minivan und Fahrer ab. Auf dem Weg in die Innenstadt Pekings nahm er im halbdunkel die riesengroßen Reklameschilder vom Mercedes, BMW, Coca Cola und Mc Donalds nach dem langen Flug kaum wahr.
Sein Zimmer im abgeschirmten Universitätsviertel roch ein wenig wie in einer Berliner Badeanstalt und es war kühl. Sie hatte ihr Refugium einen Stockwerk tiefer. Am nächsten Tag besorgte sie ihm ein Fahrrad. Es sah aus wie alle anderen 100 000 Fahrräder, die auf der Straße fuhren, nur war es mit einem kleinen Schild am rückseitigen Schutzblech versehen, auf dem eine lange Nummer stand.
„Du fährst auf einem Diplomatenfahrrad, sagte sie. „Keine Angst vor den anderen Fahrrädern, keines wird dich berühren, aus welcher Richtung es auch kommt.“
Am Abend waren sie vom stellvertretenden Direktor einer Grundschule zum Essen eingeladen. Für solche Gelegenheiten hatte er sich im Duty free Bereich eine Stange Marlboro light Zigaretten gekauft. Zehn Packungen a 20 Zigaretten für zehn verschiedene Einladungen. Er steckte sich ein Päckchen in die Tasche.
Die dreiköpfige chinesische Familie begrüßte sie sehr freundlich. Man aß in der Küche.
Der Direktor sah eher wie ein Arbeiter aus, in seinem gelben, ärmellosen Hemd und der einfachen Hose. Auf dem Buffet lief ein kleines Fernsehgerät mit leisem Ton, der nicht ausgestellt wurde. Der Besitz eines Fernsehgerätes überraschte ihn.
Sie hatte ihm vorher einiges über die Familie erzählt, die Einkommensverhältnisse angedeutet und gemeint, dass es den Chinesen so langsam besser gehe. Der stellvertretende Direktor sei im Verhältnis zu den meisten Eltern seiner Schüler in einer privilegierten Situation und natürlich Parteimitglied.
Verschiedene Schalen kamen auf den Tisch und sie erklärte ihm jede einzelne Köstlichkeit.
Stunden später, nachdem der grüne Tee mit den gleichen Blättern zum fünften Mal aufgebrüht wurde, bemerkte sie beiläufig, dass in der dritten Schale Hund in Aspik lag, für alle Chinesen die Köstlichkeit.
„Hab ich das gegessen“, fragte er.
„Ja, und du hast gesagt, dass es sehr gut schmeckt. Im übrigen sind die Chinesen sehr gastfreundlich. So ein Essen können sie sich nur einmal im Monat leisten.“
Ja, er war mit den ersten beiden Tagen sehr zufrieden. Die Atmosphäre in der Familie war angenehm und das Essen hatte ihm ausgezeichnet geschmeckt.
Jetzt griff er in sein Jackett und holte die Schachtel Marlboro heraus, sein verspätetes Gastgeschenk. Er bat seine Begleitung zum ersten Mal genau zu übersetzen und überreichte die Packung mit den Worten.
„Vielen Dank, das ist für Sie.“
Der stellvertretende Direktor nahm das Päckchen, lächelte und bedankte sich mit einer leichten Verbeugung. Dabei machte er eine Geste, die ihm vermittelte, er solle in den nächsten Raum kommen, neben der Küche das einzige Zimmer der Wohnung.
Er stand auf und folgte dem Mann. Die anderen blieben sitzen. Auf einem kleinen Schrank stapelten sich unübersehbar bis zur Decke hunderte Stangen diverser Zigaretten. Marlboro light, Gitanes, Reval, Memphis, Gauloise, Phillip Morris.
„All plesents, all flom fliends.“ Wieder lächelte der stellvertretende Direktor.
Er zog geschickt willkürlich eine Stange heraus und übergab sie dem Gast mit den Worten.
„Fol you.“
Dann legte er die eine Marlboro light Packung, das Gastgeschenk, auf den hohen Stapel, der immer noch ein wenig schwankte.

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