vonErnst Volland 28.12.2013

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Kleine Feier

Zwei Wochen nach der Geburt der ersten Tochter lädt das Elternpaar Freunde und Bekannte ein, die das Neugeborene sehen wollen. Für dieses Ereignis reist der Vater der Mutter aus der kleinen norddeutschen Stadt nach Berlin. Es gibt Kaffee und Kuchen, Blumen stehen neben angezündeten Kerzen auf dem Tisch, und es riecht nach frischer Wäsche. Die Mutter ist noch etwas schwach, da die Geburt schwierig war.
Bei einem heftigen Kompetenzstreit zweier Hebammen, einer privat engagierten, und einer offiziellen aus dem Krankenhaus, die sich vor dem Kreissaal mit leisen, aber aggressiven Stimmen zankten, wer denn nun die Geburt einleiten darf, vernachlässigten beide, die Mutter und das Baby im Bauch der Mutter. Es wurde eine Zangengeburt.
Als der Stationsarzt den Kreissaal nach der schwierigen Geburt verließ, sagte er zu einer Schwester.
„Das hätte ins Auge gehen können“.
Das Paar hatte Glück. Das Baby war normal gewachsen und gesund.
Es schläft, als die ersten Gäste eintreffen. Jeder spricht nur mit gedämpfter Stimme, da das Baby nicht aufwachen sollte.
Am späten Abend sind es nur noch zwei Gäste, die sich angeregt unterhalten, ein Journalist und der Vater der Mutter. Mit einem Mal springt der Journalist auf. Breitbeinig, in kurzen Hosen, steht er direkt neben dem Vater. Dieser sitzt auf dem Sofa und schaut verwundert auf den Journalisten. In der einen Hand hält er eine Kuchengabel in der anderen Hand einen kleinen Teller mit einem Stück Frankfurter Kranz.
„Was erlauben Sie sich, Sie wissen wohl nicht, was Sie reden, am Tag der Feier für Ihre Enkelin, zu der sie extra hunderte von Kilometer angereist sind, erzählen Sie mir hier einen Schmarrn aus Ihrer Kriegszeit, wie Sie im Schützengraben lagen und wie sie im Lazarett….
Der Journalist stockt. „Also, wer hat Sie überhaupt gefragt, hier an einem solchen Tag Ihre Landsergeschichten aus Ihrem 2. Weltkrieg zu erzählen, das interessiert mich doch nicht, im Gegenteil, ich finde es eine solche Unverschämtheit. Der Krieg ist aus, Hitler ist tot!“
Der Vater der Mutter, schon früh glatzköpfig und ein etwas schwerfälliger Mann aus einem alten deutschen Bauerngeschlecht, steht auf, setzt sich, steht auf und bleibt dann sitzen. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn, Kuchengabel und Teller immer noch in den Händen.
„Aber, ich hab doch nur, also, es ist nicht das erste Mal,dass ich das erzähle, also wenn…“
“Das ist es ja!“ Der Journalist unterbricht mit harter Stimmer den Satz des Vaters.
„Das ist es ja gerade, Sie erzählen diesen Schwachsinn ja immer wieder, immer wieder, aber hier wird heute eine Geburt gefeiert, eine Geburt, ein Neuanfang, da sollten Sie das Maul halten mit Ihren Kriegsgeschichten. Habe die Ehre. Kindsvater, Kindsmutter. Bis zum nächsten Mal, auf Wiedersehen, Servus.“
Der Journalist öffnet selbst die Wohnungstür und verschwindet im Dunkeln des Hausflures. Das Neugeborene schläft ruhig in seinem kleinen Bett.

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