vonErnst Volland 03.01.2014

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Preise

In der Stadt am südlichen Rand Niedersachsens trafen sich einige Größen der deutschen Satire. Otto, der Komiker, sollte einen Preis bekommen, einen der wenigen echten Satirepreise, und die bisher Geehrten ließen es sich nehmen, neben einigen anderen gestandenen Kollegen bei der Preisverleihung dabei zu sein. Es handelte sich um ein kleines exklusives und handverlesenes Treffen. Am Abend öffnete sich der Kreis einem großen Publikum, mit anschließendem „Anfassen und Kennenlernen des geehrten Künstlers“- so stand es in der Einladung-für Interessierte in der Kantine des Stadttheaters.
Der Abend bot ein buntes Programm, die üblichen offiziellen Reden wurden gehalten und den Höhepunkt sollte die Laudatio von H. T. bilden, den sich Otto für diesen Zweck gewünscht hatte. Otto hatte sich auch bereit erklärt, anschließend eine kurze Kostprobe aus seinem langjährigen Repertoire live vorzutragen. Der Andrang war groß und man hätte zehnmal so viele Karten verkaufen können.
Für die kleine Gruppe exklusiv Eingeladener hatte die Stadt traditionell ein Abendessen mit dem Oberbürgermeister arrangiert.
Noch vor dem Essen war zu erfahren, dass Otto eigentlich keine Lust hatte, den Preis an diesem Tage anzunehmen. Er war sogar etwas verärgert, da sich einer der Sponsoren, die örtliche Sparkasse, in persona der Sparkassendirektor, die für diese Verleihung regelmäßig ein paar Tausend Euro spendierte, sich in den Kopf gesetzt hatte, dass Otto schon tagsüber anreist und in seinem Haus, nach dem Mittagessen, eine kleine Kostprobe seiner Unterhaltung für die Familie geben sollte. Der zwölfjährige Sohn des Sponsors habe sich das „so sehr gewünscht“, wie man hörte. Dieser Wunsch war Otto zu Ohren gekommen und er sagte daraufhin die ganze Preisverleihung ab. Einer seiner Texter und Producer, selbst ein großer Satirefachmann, fuhr eigens nach Hamburg, um Otto umzustimmen.
Jetzt saß Otto friedlich mit einer Hermeskappe auf dem Kopf neben dem Oberbürgermeister und dem Sparkassendirektor und lächelte. Da machte die Nachricht die Runde, H.T., der Laudator sei noch nicht  zur Preisverleihung angereist, die in einer Stunde beginnen sollte. Niemand konnte sich das Fernbleiben H.T.’s erklären und es herrschte allgemeine Ratlosigkeit. Sein Handy war out of order. So mussten Gernhardt, Eilert und Knorr, die Hausschreiber Ottos und Verfasser sämtlicher Drehbücher seiner Filme, von der gerade gereichten Suppe aufstehen und in einer halben Stunde ad hoc eine Laudatio zusammenstellen.
H. T. blieb unauffindbar.
H. T. ist einer der ungewöhnlichsten deutschen Poeten, mit einem schmalen, barocken Oeuvre. Er verfügt durch eine monatliche Kolumne in einer linken Zeitschrift über einen kleinen, harten Kern von Fans, die nur seinetwegen das Blatt regelmäßig lesen.
Otto und H.T. kennen sich seit langer Zeit. Die privaten Begegnungen zwischen H. T. und Otto sollen sich auf dem Niveau von Jerry Lewis und Buster Keaton abspielen, berichten Augenzeugen.
H. T. bezeichnete sich selbst als Kleindarsteller. Durch seine Bekanntschaft mit Otto war es ihm gelungen, in jedem Otto Film mit mindestens einem Satz dabei zu sein.
Doch der Abend der Preisverleihung spielte nicht in einem Film, sondern live und in wenigen Minuten ging im Stadttheater der Vorhang auf, zu Ehren des Komikers Otto.

Gernhard, Eilert und Knorr, wünschten H. T. in diesem Augenblick zum Teufel. Sie machten ihre Sache jedoch so gut, dass das Publikum das Fernbleiben von H. T. nicht bemerkte.
Nach dem sehr gelungenen Programm, in dem auch Gerhard Polt und der Schweizer Kabarettist Emil aus dem Publikum auf die Bühne kamen und kleine Petitiosen zum Besten gaben, konnte man staunen, wie populär der jetzt schon sechzigjährige Otto noch immer ist.
Sowohl eine Reihe 6, 7, 8 Jähriger stellte sich nacheinander neben ihn und wünschte ein Foto oder Autogramm, aber auch Frauen über achtzig strahlten, wenn er beim Fotografieren noch ein Späßchen drauf legte.
Als schließlich nach einer Stunde der Ansturm abgeklungen war, und nur noch die kleine interne Gruppe der Satiriker und engsten Freunde zurück blieb, fragte einer der Anwesenden Otto, wie er das Fernbleiben H.T.’s einschätze.
„Es gibt nur einen Menschen, der sich so etwas bei mir erlauben darf und das ist H.“ antwortete Otto, „Ich verzeihe ihm.“
Zwei Tage später, zurück in Berlin, ist das Handy von H. T. wieder frei. H. spricht nicht über die Preisverleihung, sondern über die kleine Tagestour, die er gerade mit seinem Fahrrad beendet hatte.
„Otto verzeiht dir.“
„Was? Der kleine Otto verzeiht dem großen H. T.“, antwortete H. und erzählte dann noch eine kleine Tagesepisode mit seinem Fahrrad, von einer Hochbusigen, der er beim Pilze suchen begegnet war.

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