vonErnst Volland 06.11.2014

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Ich begrüße den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, den Kulturstaatssekretär Tim Renner, den österreichischen Botschafter Seine Exzellenz Dr. Ralph Scheide, sowie den Generalsekretär des Welt-Boule-Bundes Dr. Alphonse Petanque. Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren. Man hat mich vor der Veranstaltung gebeten, mich kurz zu fassen, Sie werden darum leider nicht das Vergnügen haben, die fünfstündige Powerpoint Präsentation zu genießen, die ich in monatelanger Arbeit vorbereitet hatte, sondern ich werde mich auf eine zweistündige Kurzfassung beschränken. Über die Person, die heute geehrt werden soll, ist eigentlich schon so gut wie alles gesagt worden. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen ein bisschen was über mich erzählen. Ich stamme aus kleinsten, eigentlich allerkleinsten Verhältnissen, die Verhältnisse waren mit bloßem Auge eigentlich nicht zu erkennen. Trotzdem habe ich einen erstaunlichen sozialen Aufstieg geschafft, teilweise sogar durch ehrliche Arbeit. Kritiker rühmen an mir vor allem meine Bescheidenheit und Zurückhaltung, diese fast schlafwandlerische Fähigkeit, mich nie im unpassenden Moment in den Vordergrund zu spielen. Mir ging es nie um meine Person, aber ich sehe gerade, man macht mir hektische Zeichen, ich soll anscheinend endlich zur Sache kommen.
Am heutigen Abend ehren wir Pit Knorr, der 1939 als Dr. Peter Knorr in Salzburg auf die Welt kam. In Österreich also, einem Land, das schon viel Unheil über Deutschland gebracht hat, ich erinnere nur an Hans Krankl, Andre Heller oder Arnold Schwarzenegger. Wie leicht hätte es auch diesmal schief gehen können, doch dank eiserner Disziplin und großer Moral verzichtete Pit Knorr sowohl darauf, ein Tor gegen Deutschland zu schießen, als auch ein Mitglied des Kennedy-Clans zu ehelichen, obwohl ihm das natürlich jederzeit möglich gewesen wäre.

Wenn es einen zwingenden, einen sich unwiderstehlich aufdrängenden Preisträger gibt, dann heißt er Pit Knorr. Zum einen ist er ein würdiger Preisträger, weil er todesmutig in neue Dimensionen der Komik vorgestoßen ist, seitdem können wir über Dinge lachen, von denen unsere Vorfahren nicht wussten, dass sie zum Lachen sind. Zum anderen ist er ein würdiger Preisträger, weil ohne ihn viele andere Preisträger gar nicht oder viel weniger gut denkbar gewesen wären. Doch davon später. Kommen wir zum unvermeidlichen biographischen Teil. Knorrs Geburt erwähnten wir bereits, Abitur hat er auch. Schon in seiner Schulzeit gründet er die erste Zeitschrift mit dem Titel „Das Löschblatt“, 1960-66 Studium in Heidelberg, Ab 1961 in wechselnden Rollen als Geschäftsführer, Autor und Darsteller beim Kabarettensemble Das Bügelbrett tätig, zweimal tritt er mit Wolfgang Neuss auf und Weihnachten 1967 folgt seine größte Rolle, er gibt den Weihnachtsmann in der Spielwarenabteilung des Kaufhauses Stern-Brothers in 42nd Street. Das Unternehmen musste wenig später schließen. Von 1968 -71 arbeitet Pit Knorr dann als Redakteur bei Pardon und trifft dort u.a. auf Robert Gernhardt und weitere Herren mit denen er sein größtes Werk, möglicherweise sogar DAS größte Werk der Menschheitsgeschichte erschaffen sollte.
Dieses Werk trägt den Titel „Titanic“, das bedeutendste, beste und verbotenste Satiremagazin, das je den deutschen Boden besudelt hat. Er hat es, wie erwähnt, nicht allein aus der Taufe gehoben aber seinem Einfallsreichtum und seiner Energie ist es zu verdanken, dass sich sechs egozentrische Individuen zusammenfanden und tatsächlich ihr echtes, eigenes Geld in eine Zeitschrift investierten, die es noch gar nicht gab und sie erst selber vollschreiben und vollzeichnen mussten. Nebenbei war er der geniale, unermüdliche und zähe Strippenzieher im Hintergrund. Er sorgte dafür, dass die Titanic mit einem Redaktionsstatut ausgestattet wurde, das in der deutschen Presselandschaft seines gleichen sucht aber nie finden wird. Es räumt der Redaktion eine vollständige Autonomie ein, kein Verleger oder Anteilseigner darf und kann ihr reinreden. Dadurch wurde Titanic zum Ausbildungslager für viele verlorene junge Menschen, die sonst auf der Straße oder schlimmer noch, in der Werbung gelandet wären. Künstler wie Walter Moers, Max Goldt, Dietmar Dath, Simone Borowiak, Martin Sonneborn oder auch Wolfgang Herrndorf, um nur ganz wenige zu nennen, veröffentlichten zuerst in Titanic und brachten es zu Weltruhm. Zweimal geriet das Blatt durch Ränkespiele gewissenloser Verleger in lebensbedrohliche Schwierigkeiten und beide Male schaffte es Pit Knorr das Blatt zu retten. Er sorgte dafür, dass inzwischen eine neue Generation von Herausgebern die jeweiligen Redaktionen begleitet. So hat er es geschafft, dass Titanic inzwischen im 35. Jahr existiert und weiterhin gut ausgebildetes komisches Spitzenpersonal in die Welt hinausschleudert.
Viele Künstler werden zu Lebzeiten von dem Gedanken umgetrieben, ein Werk zu schaffen, dass nach ihrem Tod Literaturwissenschaftler und Kuratoren zur Verzweiflung und Witwen in den Größenwahnsinn treibt. Darauf hat Pit Knorr dankenswerterweise verzichtet. Er hat ganz bewusst davon Abstand genommen, uns die Zeit mit dickleibigen Wälzern zu stehlen und er hat davon abgesehen, sich zu erinnern, Bilanz zu ziehen und selbstgefällig auf ein erfülltes komisches Leben zurückzublicken. Das alles hat er getan aus unendlicher Liebe zu uns aber vor allem aus Faulheit oder aus Mangel an krankhaftem Ehrgeiz. Sein Oeuvre ist relativ schmal, es umfasst aber immerhin ein Grundlagenwerk über Mallorca und das Kinderbuch „Der mächtige Max“, mit Zeichnungen von Hans Traxler. Die Werke alleine würden reichen für einen mittelgroßen, ja, einen Vierfünftelbären. Doch viel bedeutender und bärenwürdiger sind die gemeinsam mit anderen Künstlern geschaffenen Werke, wie, die älteren werden sich noch erinnern, „Titanic“, in der er bis 1990 sehr regelmäßig mit Texten vertreten war, allein oder mit häufig wechselnden Partnern, danach etwas weniger regelmäßig. Pit Knorr hat geschrieben, neue Formen erdacht und als Ideengeber gewirkt. Er war es, der Chlodwig Poth den Last Exit Sossenheim zeigte, als der drohte, in Hassblättern zu versinken und er war es, der Simone Borowiak, die vor der Redaktion stand und sich nicht hereintraute, die Tür öffnete. Und woher hatte Helmut Kohl damals seinen legendären Spitznamen „Birne“? Natürlich von Pit Knorr, dem als erster die Ähnlichkeit des Großkanzlers mit dem gleichnamigen Obst auffiel. Oder nehmen wir „Otto – der Film“. Bis heute das finanziell erfolgreichste deutsche Leinwandwerk aller Zeiten, für das Pit Knorr mit Bernd Eilert und Robert Gernhardt die Ideen lieferte. Pit Knorr war und ist ein Teamarbeiter- nicht, weil er allein nichts zustande brächte, sondern weil es ihm allein keinen Spaß macht. Er will, dass man sich gegenseitig befeuert, sich die Bälle zuwirft und zu Höchstleistungen treibt. Das hat er in vielen Kombinationen getan, meist mit Robert Gernhardt und Bernd Eilert aber auch mit Wilhelm Genanzino, mit dem er von 1971-73 viele hochkomische Hörspiel und Features für den HR verfasste und produzierte. Fünf Jahre lang schrieb Pit Knorr im Alleingang eine wöchentliche Satirekolumne für den Saarländischen Rundfunk und gemeinsam mit Robert Gernhardt schuf er die 26 teilige Radio-Comedy-Serie „Help“ – das satirische Aushilfsmagazin, das als Format heute noch unerreicht ist. Diese leider noch nicht auf CD wiederveröffentlichte Serie war meine komische Volkshochschule, mein komischer Marschbefehl. Ohne Help und Knorr hätte ich mein Geld tatsächlich mit ehrlicher Arbeit verdienen müssen. Aber es blieb nicht bei Help, es folgten „Dr. Seltsams Sonntagssortiment“ und „Dr. Muffels Telebrause“, ein Fernsehformat mit dem unvergessenen Alfred Edel, in dem Pit Knorr auch Regie führte. Mit Jörg Metes und Bernd Eilert schrieb es die sechsteilige Fernsehserie „Neue Deutsche Heldensagen“, mit Simone Borowiak ein Musical, dass man mit den Worten „Heinz Schenk auf LSD“ charakterisieren könnte und das der HR folgerichtig ablehnte. Pit Knorr ist außerdem alleiniger Herausgeber von dreien und Mitherausgeber von vier Titanic-Sammelbänden und sämtlichen Ottobüchern.
Und Pit Knorr stand immer wieder anderen Künstlern wie Matthias Beltz oder Badesalz beratend und Regie führend zur Seite.
Sie werden natürlich fragen, gibt es denn an diesem Mann überhaupt nichts zu kritisieren? Es kann doch wohl nicht nur alles positiv gewesen sein, selbst Mutter Theresa hat in ihrer Jugend in Pornofilmen mitgespielt. Was ist zum Beispiel mit Pit Knorrs Rolle im 3. Reich? Hätte der Fünfjährige nicht eigentlich? Nein, hätte er nicht, aber es gibt da doch einen dunklen Punkt in Knorrs Biographie, der nicht verschwiegen werden soll. Im Jahre 2007 hat er mich und fünf andere charakterlich instabile Personen bequatscht, Titanic-Herausgeber zu werden. Ich dachte, da sitzt man gemütlich zuhause, macht sich einmal im Monat in der Konferenz wichtig und schaut ansonsten dem Geld bei der Arbeit zu, stattdessen kenne ich jetzt Wörter wie lineare Prozentanteile, Jahresfehlbetrag oder persönlich haftender Gesellschafter. Warum hat Pit uns das angetan? Weil er erzieherisch wirken wollte. Wir völlig unbedarften Titanic-Neuherausgeber sollten den Kapitalismus nicht nur von außen kritisieren sondern von innen kennenlernen. Das ist inzwischen gelungen. Selbst dieser scheinbar dunkle Punkt, wird bei Pit Knorr zum Pluspunkt, ja, erweist sich als eine weiterer Grund zur Auszeichnung.
Man könnte Pit Knorr neben seinen Textleistungen natürlich auch noch für ganz andere Erfolge ehren. Beispielsweise für seine Verdienste um den Boule-Turniersport, seine Expertise als Cannabis-Verkoster, seine Leistungen als Gastgeber, Ehemann von Anni, Ornithologe, Leser und Kneipengänger, der durch entschiedenen Einsatz und entschlossenen Konsum das Traditionslokal Horizont in Frankfurt fast zwei Jahrzehnte am Leben hielt, doch dafür mögen ihm demnächst andere Preise verliehen werden. Heute erhält er erstmal den Großen Bären, einen Preis, wie ihn nur Berlin geben kann. Undotiert aber von Herzen. Möglicherweise war es allerdings ein kapitaler Fehler, Pit Knorr als erstem diesen Preis zu geben, denn wer sollte, wer könnte überhaupt noch nach ihm kommen? (Das ist ja fast so, als hätte man den 1. Literaturnobelpreis an Homer vergeben). Es gibt nur eine Lösung. Mindestens in den nächsten zehn Jahren muss der Bärenpreisträger ebenfalls Pit Knorr heißen. Insofern hat es Jury einfach und wir fassen mal kurz zusammen
Wenn andere Sterne heller strahlen, dann ist das oft der Arbeit Pit Knorrs zu verdanken, der den Komikhimmel erst so hergerichtet hat, dass uns die anderen Sterne dort auffallen können. Obwohl Pit Knorr eine Rampensau aller erster Güte ist, hat er sich nie in den Vordergrund gedrängt, so dass ein unbedarfter Beobachter auf die Idee kommen könnte, es würde gar nichts fehlen, wenn er nicht dabei gewesen wäre. Die Wahrheit ist, es würde alles fehlen, wenn er nicht dabei gewesen wäre. Und Pit Knorr ist noch lange nicht am Ende. Demnächst steht er wieder mit den eiligen drei Königen auf der Bühne und spielt „Erna der Baum nadelt“, den unterblichen Klassiker von Gernhardt/Eilert/Knorr, der für Weihnachten das leistet, was „Dinner for One“ für Silvester ist.
Ausgezeichnet wird heute Abend der helle und schnelle Schreiber, der neue Frankfurter Schullehrer par excellence, der leidenschaftliche Teamarbeiter, der neidlose Bewunderer, der unermüdliche Ideengeber und Ideenerzwinger, der Anstoßer, Impulsgeber, der Komikgeburtshelfer, kurz, der Mann, ohne den wir alle heute abend nicht hier wären und das wäre ja nun wirklich eine schreckliche Vorstellung. Bitte feiern Sie mit einem frenetischen und gegen Ende leicht hysterischen Beifall den 1. Besitzer des Großen Bären. Feiern Sie: Pit Knorr.!!!

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