vonErnst Volland 21.06.2015

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Die Gruppe aus Frankfurt verlässt mein Atelier, nachdem ich zweieinhalb Stunden über meine Kunst geredet habe. Gewöhnlich sprechen Künstler nicht gern über ihre Kunst. Das Reden darüber und das Schreiben hat inzwischen eine Meute von Interpreten übernommen, die fleißig an der jeweiligen Aura basteln, so lange bis der Künstler finanziell auf sehr soliden Füßen steht, gesellschaftliche Anerkennung erfahren hat und sich dann traut, die eine oder andere verbale Äußerung über sein Werk zu verkünden. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ich spreche, nach Aufforderung, gern über meine Arbeit. Immerhin arbeite ich seit 45 Jahren nicht entfremdet, was genau heißt, ich bin nirgendwo angestellt, ich denke selbst, kurz, ich bin mein eigener Herr. Ohne Agent, ohne Galerist.
Um so erfreulicher ist, wenn zehn kunstinteressierte Frankfurter vom Main mit zwei Professoren ein ganzes Wochenende in Berlin verbringen, Museen und Ausstellungen besuchen und darüber hinaus noch einen Künstler in seinem Atelier kennenlernen möchten. Eine anschließende Einladung zum nächsten guten Griechen ist inbegriffen.
Ich zeige zuerst meine kritischen Plakate aus den 70er Jahren und spreche über Zensurfälle, Beschlagnahmungen, Prozesse und Morddrohungen, die den meisten meiner Arbeiten zu der Zeit widerfahren sind. Dann gibt es eine Pause, ich reiche kleine Häppchen. Anschließend zeige ich meine Werkphase „Eingebrannte Bilder“, dann die neue Serie meiner Buntstiftbilder. Bei den Buntstiftbildern muss ich abbrechen und auf eine Reihe von Arbeiten verzichten. Der Tisch beim Griechen ist bestellt. Die Gruppe geht ohne mich die 300 Meter zum Lokal, ich räume noch etwas auf, um dann mit dem Rad nachzukommen. Kaum sitze ich im Sattel, fängt es an zu regnen. Es war den ganzen Tag schwül und vom plötzlich dunklen Himmel ergießt sich ein Wasserfall, der die Menschen von der Straße fegt. Ich drücke mich sofort mit meinem Fahrrad in den nächsten Hauseingang und betrachte das Naturschauspiel. Es erinnert mich an meine Kindheit auf dem Dorf in Unterfranken. Nach dem Guss habe ich Papierschiffe in den Bächen schippern lassen, die zum nächsten Gulli führten. Vier junge Männer springen bei Rot durch den Regen über die Straße, zwei rennen vorbei, zwei stellen sich bei mir unter. Dann geht auch der Dritte. Der Vierte, ein lang aufgeschossener 15 oder 16jähriger bleibt mit mir im Hauseingang. Ich denke an den schön gedeckten Tisch beim Griechen, sehe die weißen Tischdecken, die funkelnden Gläser. Der junge Mann neben mir schaut mich an. Dann sagt er:
„Kannst du mal für mich dort drüben im Spätkauf eine Schachtel Marlboro holen? Ich geb’ dir Geld. Es muss ne Marlboro sein.“
Der Regen knallt auf das Straßenpflaster.
„Erstens, für Zigaretten geh ich niemals, zweitens, wenn du noch einmal so eine bescheuerte Frage an mich richtest, hau ich dir eine in die Fresse, dass dir die Ohren abfliegen. Du hast ne Meise.“
Ich bemerke, dass der Regen etwas nachgelassen hat. Bis zum Griechen sind es nur 50 Meter.
„Beleidige misch nisch.“
Mit beiden Händen schiebe ich das Rad am Lenker durch den Regen und springe auf den Sattel. Beim Griechen hat die Gruppe auf mich gewartet und noch nicht das Essen bestellt. Der Wirt bringt mir einen Ouzo. Ich setze das Glas an die Lippen, trinke und denke: Alles richtig gemacht. Heute ist ein schöner Tag.

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