vonErnst Volland 02.03.2017

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Die schöne Quelle
Zwischen zwei Klinkerbacksteinhäusern liegen seit Wochen Wasserpfützen im Gras. Der Wind drückt gegen die Scheiben und es wird früh dunkel. Ich stehe am Fenster und blinke mit meiner Taschenlampe drei mal kurz und drei mal lang zu einem Fenster im Nachbarhaus. Peter antwortet mit drei langen Blinkzeichen und drei kurzen. Sofort greife ich nach meiner Jacke, Mütze und Schal und renne die 27 Stufen der Treppe hinunter, springe sicher über alle Pfützen und stehe vor der Haustür meines Freundes. Dort erwartet mich Peter, der die schwere Haustür aufgeschlossen hat und mich jetzt in seine Wohnung führt. Peter hat ein eigenes Zimmer, ich muss mit meinem Bruder ein Zimmer teilen. Obwohl wir seit ein paar Wochen ein eigenes Telefon besitzen, darf ich selbst nicht telefonieren. Ich muss vorher meine Eltern fragen und der Anruf muss einen wichtigen Grund haben. Einfach nur mit den Nachbarn schwatzen, ist nicht erlaubt. Deshalb die Blinkzeichen mit der Taschenlampe.
Peter hatte gerade zum Geburtstag einen eigenen Plattenspieler geschenkt bekommen und sich von seinem Taschengeld zwei neue Singles gekauft. Die wollen wir uns jetzt gemeinsam anhören. Eine Single ist von einem Elvis Presley. Sie hat auf jeder Seite einen Titel. „Good Rockin’ Tonight“ und auf der Rückseite „Heartbreak hotel“. Von Elvis hatte ich schon etwas in der Zeitschrift Bravo gelesen. Den Interpreten der zweiten Single kenne ich nicht. Er heißt Harry Belafonte. Seine Titel „Banana Boat Song“ und „Island in the Sun“.
Ich habe weder einen Plattenspieler noch irgendeine Single.
Aber jetzt hocke ich auf dem Fußboden vor dem Plattenspieler und beobachte Peter, wie er den Arm auf den Rand der schwarzen Scheibe setzt, erst kommt eine kratzendes Geräusch, schnell hebt Peter den Arm etwas an und setzt neu auf. Es ertönt kurz ein Rauschen und dann, ja dann wird das Tor zu einer neuen Welt aufgestoßen: Rock’n Roll, Calypso, Blues. Der Beginn einer langen Freundschaft.
Fünfundzanzig Jahre später gehe ich ans Telefon. Draußen fällt der erste Schnee.
„Hallo, here Belafonte management, Mr. Volland?“
„Who is there?“
„I’m the manager from Harry Belafonte. He has a concert in Berlin in two days and we would like to ask you, if you like to come to the show. I have two free tickets, first row, for you.“
„Moment, just a moment, I dont understand.“
„Mr. Belafonte would be delighted if you come, he has seen some of your works. Please can you take some for him? He wants to buy.“
Einen Moment sage ich nichts, halte den Hörer in der Hand und stehe regungslos da.
„Hallo, Mr. Volland, Mr. Volland.“
„Oh, yes, thank you, we will come.
Ein Bote bringt noch am gleichen Tag zwei Freikarten für das Harry Belafonte Konzert in der Kongresshalle. Mitte erste Reihe.
Nach dem Konzert führt uns eine Dame in die Garderobe des Künstlers.
Belafonte, in einem weinroten, seidenen Morgenmantel, begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln. Er stellt seine Frau vor, die ihn auf seiner Tournee begleitet. Einige Frauen meinen, Harry Belafonte sei der schönste Mann der Welt. Wenn ich eine Frau wäre, würde ich dem zustimmen.
Ich zeige einige meiner Plakate und Postkarten. Belafonte entscheidet sich für ein kritisches Reagan Motiv. “Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.“
„Please I want hundred postcards? Possible? I will send these postcards at Christmas to my best hundred friends.“

Ernst Volland

Ich habe diese Geschichte meiner ehemaligen Frau vorgelegt, um sie von ihr bestätigen zu lassen. Sie hat nur eine Korrektur. Belafonte trug keinen seidenen Morgenmantel. Frauen sind diesbezüglich genauer.

Harry Belafonte, Nachtrag aus: Bob Dylan, Cronicles. Volume one. Hoffmann und Campe, 2004. S. 71-73.

Auch Millard Thomas, der bei Harry Belafonte Gitarre gespielt hatte, lief mir über den Weg. Keiner zweifelte daran, dass Harry ein phantastischer Musiker war und der beste Balladensänger Amerikas. Er sang von Liebenden und Sklaven, von Kettensträflingen, Heiligen, Sündern und Kindern. Sein Repertoire umfasste viele alte Folksongs wie „John Henry“, und „Sinners Prayer“ und außerdem eine Menge Folksongs aus der Karibik, die er arrangiert hatte, dass sie ein großes Publikum ansprach, ein viel größeres als das Kingston Trio. Harry hatte manche Songs direkt von Leadbelly und Woody Guthrie gelernt. Harry war auch ein Filmstar, aber nicht so wie Elvis. Er war ein authentischer tough guy, ähnlich wie Brando und Rod Steiger. …Er konnte abends in der ausverkauften Carnegie Hall auftreten und am nächsten Tag bei einer Gewerkschaftskundgebung von Arbeitern aus der Textilindustrie. Für Harry machte das keinen Unterschied. Publikum war Publikum. Er hatte Ideale und gab einem das Gefühl, der Menschheit anzugehören…..Er war in jeder Beziehung ein Gigant. … Früher war er wegen seiner Hautfarbe nicht in den weltberühmten Nightclub Copacabana eingelassen worden, und später war er dort der Star des Abend….
Damals hätte ich nicht zu glauben gewagt, aber meine erste professionelle Aufnahme machte ich mit Harry. Ich spielte Mundharmonika auf seinem Album Midnight Special. Harry war einer der seltenen Menschen, die Größe ausstrahlen; man hoffte, ein wenig davon möge auf einen selbst abfärben. Dieser Mann flößt einem Respekt ein. Man weiß, dass er niemals den bequemen Weg gewählt hat, obwohl ihm alle Wege offen gestanden haben.

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https://blogs.taz.de/vollandsblog/2017/03/02/belafonte-90/

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kommentare

  • Danke. Was ein Mensch.
    Alles hier fein beschrieben und gern gelesen.
    Sein Sohn ließ ein paar Tropfen Wasser in den Wein tropfen.
    “Wenn du des nachts noch an´s Bett kamst –
    Oft sagtest du dann – weil ich zum Frühstück
    schon wieder weg bin. Sorry!”
    Anyway – Helzrichen Gwücklunsch Mr.Bananaboot-man.
    Weiter masseltov.

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