vonWolfgang Koch 23.10.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die österreichische Neutralität steht heute am Beginn einer neuen Regierungsperiode außer Streit. Niemand bekämpft sie, niemand zieht sie offiziell in Zweifel. Im Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher ist die Neutralität tief verankert. Für andere Staaten ist die österreichische Neutralität kein Wert an sich, ja sie könnte sogar als ein Ausweichen vor der Verantwortung empfunden werden.

Daher sollte das oberste Gebot unserer Außenpolitik sein, die österreichische Neutralität auch für unsere Freunde in Europa und der Welt zu etwas Nützlichem und Wertvollem zu machen. Dafür ist das außenpolitische Engagement des Neutralen von zentralem Interesse.

Die EU-Verträge geben dem Neutralen genügend Spielraum. Die Europäische Union ist kein Militärbündnis. Sie bekennt sich zu Völker- und Menschenrechten. Sie hat bisher die Außen- und Sicherheitspolitik weitgehend den Regierungen ihrer Mitgliedstaaten überlassen.

FÜR EINE SICHERE ZUKUNFT IN DER WELT

Österreich braucht eine friedensorientierte Außenpolitik. Nach den Grundsätzen einer aktiven Neutralitätspolitik und den damit verbundenen Positionen soll Österreich über die Grenzen der EU hinweg wirken.

Armut, Hunger, Unterernährung, Flüchtlinge, globale Erwärmung u.v.a. sind – so führt es auch die EU-Sicherheitsstrategie aus – die Herausforderungen der Außenpolitik. Diese existenziellen Herausforderungen verlangen zivile Antworten. Mit den verfügbaren außenpolitischen Instrumenten sind die Ansätze der Vereinten Nationen bei der Erreichung der UN-Millenniumziele ein wichtiger Beitrag zum Frieden. Nach diesen Grundsätzen soll Österreich u.a. durch eine gemeinsame EU-Außenpolitik die globalen Finanzinstitutionen beeinflussen und die neoliberale Politik in Frage stellen.

Der Begriff der »menschlichen Sicherheit« – human security – nimmt eine zentrale Rolle ein. Es bedeutet eine Abkehr von der ausschließlichen territorialen Sicherheit zu einer stärkeren Betonung der Sicherheit des Menschen. Die UNO schlug bereits 1994 eine fundamentale Änderung »von der Sicherheit durch Rüstung zu Sicherheit durch nachhaltige menschliche Entwicklung« vor. Grundlage der Außenpolitik ist damit ein umfassender Friedensbegriff. Außenpolitik beruht auf Dialog, Verständigung und Zusammenarbeit. Sie ist als politische und nicht als militärische Aufgabe zu formulieren.
Die Bundesregierung wird sich daher in den internationalen Institutionen (UN, OSZE, im Europarat und der EU) für friedliches Zusammenleben, die Durchsetzung der Menschenrechte, der Demokratie und der Herrschaft des Rechts und der Vermeidung von Krieg einsetzen. Es bedeutet sowohl Schutz vor existentiellen Bedrohungen wie Hunger, Epidemien und Unterdrückung als auch Schutz vor plötzlichen und schmerzlichen physischen und psychischen Einbrüchen in das tägliche Leben – sei es hinsichtlich Wohnen, Arbeit oder Gemeinschaft.

AKTIVE AUSSENPOLITIK

Die Möglichkeiten ziviler Außenpolitik und ziviler Krisenprävention sollten – gemäß dem Ruf und der Tradition Österreichs – zum wichtigsten Beitrag der EU-Außenpolitik werden. Die Potenziale dafür sind längst nicht ausgeschöpft. Die verstärkte Ausbildung und der Einsatz ziviler Fachkräfte innerhalb und außerhalb des Rahmens der EU wäre in diesem Sinne zu verbessern. Ein Beitrag zur Zivilisierung der Sicherheitspolitik umfasst auch die Förderung von Abrüstungsprozessen von Atom-, Bio-, Chemiewaffen und konventioneller Rüstung. In militärischer Hinsicht genießen die von den Konfliktparteien gewünschten österreichischen UN-Blauhelme im In- und Ausland hohes Ansehen.

Die Europäische Union sollte vielmehr wirtschaftliche und politische Stabilität exportieren, und dazu bedarf es in erster Linie einer gemeinsamen Außenpolitik. Ein Europa, das mit einer auf die Friedenspolitik orientierten Stimme spricht, würde eine ganz wichtige Balancefunktion im internationalen System erfüllen, das derzeit aufgrund der dominierenden Macht USA aus dem Lot geraten ist.

NEUTRALITÄT UND DIE ZUKUNFT DER UNION

Österreich hat den Vorteil, dass es keine globalen geopolitischen Interessen und keine Bündnisverpflichtungen hat. Folgt man den Verträgen kann Österreich in der Europäischen Union gleichberechtigt mitgestalten. Auf europäischer Ebene muss sich das Land daher für eine entschiedene Friedenspolitik einsetzen.

Das Engagement des ins Zentrum gerückten neutralen Kleinstaates richtet sich gegen europäische Großmachtfantasien. Ein Militärpakt mit Beistandsverpflichtung wird von der Umwelt als Bedrohung wahrgenommen und produziert daher Unsicherheit.

Der engagiert Neutrale wirkt gemeinsam mit allen gleichgesinnten Mitgliedern der Europäischen Union darauf hin, dass Streitkräfte aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur an vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Friedenseinsätzen teilnehmen. Kriegerischen Abenteuern der Europäischen Union wird unter Ausnützung aller Rechte eines Mitgliedstaates entgegengetreten.

In den Verhandlungen um eine künftige Europäische Außen- und Sicherheitspolitik sind die Grundlagen der Neutralitätspolitik für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fruchtbar zu machen. Die europäische Einigung kann nur dann friedenspolitisch erfolgreich sein, wenn die Union die Verantwortung für die eigene Außen- und Sicherheitspolitik übernimmt.

Das Engagement und der eigenständige Beitrag Österreichs will die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union folgendermaßen weiterentwickeln:

— sie ist dem Völkerrecht verpflichtet und erkennt das Gewaltmonopol einer durch eine Reform gestärkten UNO an;

— Internationale Einsätze auf Basis eines UN-Mandates werden unterstützt, sofern auch ein Beschluss des österreichisches Parlaments und der Regierung vorliegt

— die Union und ihre Mitgliedstaaten verzichten auf alle Massenvernichtungswaffen;

— das globale Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten richtet sich auf weltweite Abrüstung;

— Konfliktprävention, Konfliktverhütung und ziviler Konfliktlösung wird oberste Priorität einräumt.

Österreich darf sich nicht darauf verlassen, dass Außenpolitik ohnehin in Brüssel gemacht wird. Das Engagement des neutralen Österreich ist in Richtung einer geeinten, friedensorientierten Außenpolitik der Europäischen Union zu lenken.

EUROPÄISIERUNG DER SICHERHEIT UND VERTEIDIGUNG

Österreich muss die EU in Richtung aktiver Neutralitätspolitik beeinflussen und diese im umfangreichen autonomen militärischen Bereich vorleben. Wir verstehen die engagierte Neutralitätspolitik als Verpflichtung, bei sicherheitspolitischen Kooperationen eine aktive Rolle zu spielen.

Eine neue Bundesregierung wird gewaltige Anstrengungen unternehmen, um den komparativen Vorteil, den Österreich in Europa und der Welt bei friedenserhaltenden Operationen genießt, gerecht zu werden. Selbständige Vorleistungen innerhalb der EU sind notwendig, will Österreich nicht zu einem reinen Anhängsel der großen Drei der EU, Großbritannien, Frankreich und Deutschland werden.

Wir empfehlen daher:

— Gut eingespielte stand-by-Einsatzkräfte mit militärisch, polizeilichen und zivilen Komponenten, wobei eine Priorität auf zivile Kräfte zu legen ist.

— Zur Durchführung werden zwei Kompetenzzentren eingerichtet. Die Aufgaben für militärisch-polizeiliche Kräfte liegen in den Bereichen der Konfliktprävention, Friedenserhaltung, Katastrophenhilfe und des Wiederaufbaus von Nachkriegs- und funktionsgestörten Gesellschaften. Der entsprechende Budgetanteil muss durch Umschichtungen innerhalb des Militärhaushaltes bereitgestellt werden. Zur Bewältigung dieser Aufgaben sind ausreichende Transportfähigkeit und moderne Führungs-, Kommunikations- und Aufklärungssysteme bereitzustellen. Für Eurofighter besteht keine Priorität.

— Zivile Einsatzkräfte, unabhängige Hilfsorganisationen und Nichtregierungsakteure zur zivilen Konfliktbearbeitung können bei Einsätzen in Krisengebieten ihre Neutralität wahren. Sie genießen in Österreich als auch in Krisengebieten hohe Glaubwürdigkeit und haben – nach Maßgabe der Situation – Vorrang vor militärischem Personal. Bei einer Kooperation von polizeilichen und/oder militärischen Einsatzkräften gilt eine gleichberechtigte Koordination des jeweiligen Einsatzes.

— Die Kooperation aller mit Sicherheit befassten Ministerien ist zweckmäßig.

— Die Bundesregierung verkürzt die Wehrpflicht gesetzlich auf vier Monate. Danach erfolgt eine weitere funktionsspezifische Ausbildung auf freiwilliger Basis. Diese wird durch ein Anreizsystem honoriert (»vier Monate plus«). Ein analoger Umbau des Zivildienstes wird angeregt.

Neutralitätspolitik der Zukunft kann nicht ein »sich Heraushalten!« bedeuten, sondern bedarf einer intensiven Beteiligung am internationalen Krisenmanagement. Außenpolitisch kann Österreich auf Basis seiner Neutralität engagiert für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Menschenrechte eintreten.

Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden in der Welt ist ein Wert, der nur durch die Zusammenarbeit und die Solidarität aller in Sicherheit und Wohlstand lebenden Menschen mit den von Krieg, Hunger und Elend betroffenen Menschen, erreicht werden kann. Engagierte Neutralitätspolitik bildet Brückenköpfe für diese Solidarität und Zusammenarbeit. Sie steht für Gewaltverzicht, Überwindung des Krieges und Frieden, der wichtigsten Basis für die Überwindung von Armut und Hunger in der Welt.

Die Erstunterzeichner:

Dietrich Derbolav, Dr, Senatspräs. a. D.
Heinz Gärtner, Dr, Univ. Prof. – ÖIIP
Wolfgang Koch, Publizist
Erwin Lanc, Bundesminister a. D.
Franz Leidenmühler, Dr, Univ. Doz.
Gerald Mader, Dr, – ÖSFK
Thomas Roithner, Dr, – ÖSFK
Peter Stania, Mag, – IIP
Peter Steyrer, Dr

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