vonWolfgang Koch 13.11.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Nichts ist tückischer als die Topographie der weiblichen Strassennamen in Wien. Es gibt Dinge, die es gar nicht gibt, und andere, die es eigentlich geben sollte.
Im 17. Bezirk, Hernals, zum Beispiel gibt es eine Frauengasse. Kein Mensch und kein Lexikon kann mehr Ursache und Datum dieser Bezeichnung nennen. Man wird mit einiger Berechtigung behaupten dürfen, dass in der Frauengasse einmal Frauen gewohnt haben, wie in anderen Strassen Wiens auch. Doch der Wiener Stadtplan ist nun mal männlich, und die Frau dem Mann bekanntlich ein ewiges Rätsel …
Wahrscheinlich ist die Amnesie hinsichtlich der Frauengasse ein allgemeines Schicksal einer jeden Kulturstadt: vor lauter Kulturzeugnissen verlieren die Bewohner zwischen den Hausfassaden den Überblick. Im Fall der grossen österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann freilich, da ist es Ignoranz, im Fall unserer hervorragenden Frauenrechtlerin Rosa Mayreder ebenfalls. Diese Damen wird der Wien-Liebhaber im repräsentativen Zentrum der Stadt vergeblich suchen! Die honorige Strassenbenennungskommission hat den Bachmannpark und die Mayredergasse in den peripheren 22. Bezirk verbannt, wo sich Fuchs & Henn gute Nacht sagen.
Gut, werden Sie einwenden, aber es gibt doch eine Schamborgasse im 14. Bezirk, benannt nach der Dienstmagd Rosina Schambor. Das war eine von 60 bis 80 Märzgefallenen 1848, eine Frau, auf deren niederen sozialen Status sich die Arbeiterbewegung berief und das Erbe der gescheiterten bürgerlichen Revolution in Österreich beanspruchte.
Nein, man/frau kann sicher nicht sagen, dass es keine weibliche Topographie Wiens gibt. Es existieren eine Clementinengasse und einen Henriettenplatz, eine Nymphengasse und eine Elisabethallee. Medea und Sappho, bitteschön, diese antiken Frauengestalten wurden im kosmopolitischen 10. Wiener Gemeindebezirk auf Strassenschildern verewigt. Das ist sehr sinnig. In Favoriten sprechen zwar wenige griechisch, dafür um so mehr türkisch, was auch irgendwie passt.
Im 2. Bezirk benannte einst der Bezirksvorsteher Konrad Ley gleich mehrere Strassenzüge nach seinen weiblichen Verwandten: Josefinengasse, Helenengasse, Herminengasse. Nein, das Weibliche im Wiener Stadtbild lässt sich nicht fort reden, auch wenn sein Anteil immer noch deutlich unter dem der Wienerinnen an der Gesamtbevölkerung liegt.
Frauen haben in Wien ihre Spuren hinterlassen, keine Frage. – Aber, Vorsicht! Sollten Sie meinen, »Fraungrubergasse« klinge nach weiblicher Präsenz, muss ich Sie arg enttäuschen. Hier sind Frauen niemals in Gruben gestossen worden. Die Gasse wurde nach dem steirischen Mundartdichter Hans Fraungruber benannt.
Auch die Eschenbachgasse hat mit Marie von Ebner-Eschenbach nicht das geringste zu tun. So wenig wie die Zuckerkandlgasse mit Berta Zuckerkandl-Szeps – einer dieser feinen Patronas der 1900er-Jahrhundertwende – in Wien sagt man vornehm: »eine Salonière« (ihr Salon lag im Haus Karl-Lueger-Ring 4/ Oppolzergasse 6).
»Wenn man eine Frau fragt, was sie unter ihrem Ich verstehe«, schrieb der Frauenhasser Otto Weininger in jenen bewegten Tagen, »so vermag sie nichts anderes sich darunter vorzustellen, als ihren Körper. Ihr Äusseres, das ist das Ich der Frauen.«
Die Zuckerkandl-Szeps war eine von vielen, die bewies, dass gerade das Gegenteil der Fall war. Ihr Frauensein besass einen Kopf zum Denken und zum Kritisieren. Ihr, dieser Förderin bedeutender Männer, las Hoffmannstal seinen »Jedermann« vor, bevor er sich damit nach Salzburg getraute.

© Wolfgang Koch 2006

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