vonWolfgang Koch 20.11.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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GERDA AMBROS. Feministische Philosophin, ausgewiesene Hegel- und Arendt-Kennerin, Gürtelträgerin in sämtlichen Disziplinen des wilden Denkens. Lebt vom Universitätsbetrieb zurückgezogen teils in Kärnten, teils in Wien. Spekuliert über die Frage der Erdenbürgerschaft und knüpft dabei an den klassischen Souvenitätsdiskurs bei Hobbes an. Ambros tritt nur selten öffentlich auf, etwa im Kunstraum Depot oder in Foren postkolonialer und geschlechterkritischer Philosophie, wo denkende Frauen demokratische Organsiationsformen für der Weiblichkeit nicht zuträglich halten. Ambros vertritt eine mysthische Sehnsucht nach dem Jenseits von Philosophie und Sprache. Sie ist eine typische Denksprecherin, bildet die Gedanken im Vortrag: »L’idee vient en parlant«; ihre Texte bleiben für den interessierten Laien unverständlich.

RUDOLF BURGER. Kunst- und Staatsphilosoph. Exquisiter Salondenker, liess sich als Rektor der Angewandten gerne als »Magnifizenz« ansprechen, Primadonna der akademischen Intrige. Burger schult seinen Kaltnadelstil an Denkern der Konservativen Revolution wie Ernst Jünger (so besitzen z.B. Kulturen beim ihm einen »religiösen Glutkern«). Burger führt seit den Protesten gegen Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim Ende der 80er ermüdende Wertedebatten mit Mahnrednern. Er provoziert obsessiv den linken Diskurs, kritisiert Vergangenheitspolitik und »Nationalpathologie« mit Freud’schen Vokabular und erhobenem Zeigefinger. Der Gehalt seiner deklarativen Sätze ist freilich durch die Menge der Welt gegeben, in denen er wahr ist: das sind zirka dreissig LeserInnen. Burger konnte nie nach Deutschland wirken. Neuerdings will dieser eherne Reiter eine weltweite »Re-Theologisierung der Politik« erkannt haben. Unter einer Frontalattacke auf die drei abrahamitischen Monotheismen mit Weber im Tornister geht das natürlich nicht ab.

ISOLDE CHARIM. Philosophin, Lehrbeauftragte an der Universität Wien und publizistischer Dauergast im österreichischen Feuilleton von »Die Presse« und »Der Standard«, wo sie von Medienkritik bis zur Studienreform kluge Themen wie am Fliessband abhandelt. Alternative Denkerin in allen politisch brisanten Diskursfeldern; räsoniert heute über Intoleranz oder krebskranke Nachrichtenmoderatoren, morgen über die Geschichte der Gegenkulturhäuser oder Massaker in Israel. Prominente Donnerstagsdemonstrantin; exponierte sich als Heroine des Widerstands gegen die schwarz-blauen Bundesregierungen unter Dr. Wolfgang Schüssel. Ihre teils schwer nachvollziehbaren Texte haben Charim im Ausland den lustigen Titel einer »Repräsentantin des Austroschwurbeltums« eingehandelt. Beeinflusst von Althusser bis Slavoj Žižek …

FRANK HARTMANN. Medienphilosoph, dessen Vorlesungen von Publizistikstudenten überrannt werden. Half das Fach der Medienphilosophie im dt. Sprachraum zu etablieren; analysiert das vernetzte Wissen, kritisiert den digitalen Mythos der Kommunikation. Verfasser eines didaktischen Bestseller bei WUV. Knüpft an internationae Debatten über die Gutenberg-Galaxis und über posttypographische Kommunikationssysteme an. Hartmann fragt in seiner »Mediologie« nach den sozialen und kulturellen Effekten der Transformation der Medien des Wissens. Er insitiert dabei auf eine Künstlichkeit des Menschen, der als einziges Tier seinen Körper verliert. Hartmann hat in den letzten Jahren mehr für die internationale Popularität der Bildsprache Otto Neuraths und Gerd Arntz’ getan als das Institut Wiener Kreis in vielen Jahrzehnten. Stark allemannisches Temperament, erklärter Friedrich-Kittler-Gegner; Heros: Leibniz, McLuhan, Michel Serres. Hervorrragende Website mit Downloads.

HERBERT LACHMAYER. Musik- und Theaterphilosoph in einer erklärten Theaterstadt zu sein verlangt eine entsprechend barocken Attitüde. Die besitzt Lachmayers Auftreten ohne Frage. Er residiert als Direktor des noblen Da Ponte-Institutes als Philosophenfürst am Wiener Ring. Im Autofokus seiner Gelehrsamkeit steht alles, was sich von der Wirtschaft sponsern lässt. Das war gestern das Badezimmer, heute ist es Mozart, morgen vielleicht Flatscreens. Aus der ideelen Homogenität dieses Denkens ergibt sich eine allgemeine, liberal-freimauerische Vorstellung von intellektueller Verantwortlichkeit, bei der das Lustprinzip nie zu kurz kommen darf. Als Ausstellungskurator der Albertina wird Lachmayer nicht müde, auf das Doppelgesicht einer asketisch-funktionalistischen, also auf Vernunft setzenden, also spermiziden, also abtötenden versus einer schönheitstrunken, rauschhaften und »pornosophischen Aufklärung« zu verweisen, die erregen, provozieren und inspirieren will. Dabei bleibt keinen Moment offen, wo sich Lachmayers Menschenbild stärker hingezogen fühlt.

KONRAD PAUL LIESSMANN. Medienintellektueller und ao. Professor für Philosophie an der Universität Wien, hat sich mit Adorno habilitiert, bekanntester Vermittler philosophischer Spekulation in der heimischen Öffentlichkeit, Leiter des Philosophicum Lech. Es gibt kein Thema – vom Aufgang des Abendlandes bis zu Marx & Heidegger, von der Ekstase des Schweigens bei Kierkegaard bis zu »Kitsch, Kunst oder Krempel?« – zu dem Liessmann nicht Gescheites zu sagen wüsste. Der geborene Kärntner ist bekennender Pädagoge und ein hervorragender Propagandist des Denkens anderer (»Die großen Philosophen und ihre Probleme«); er weiss sich auf allen Kanälen geschickt in Szene zu setzen. Kein nackter Diogenes in seinem Fass; Liessmann repräsentiert vielmehr das Bild eines weltzugewandten Pragmatisten, ohne dessen segensreiches Wirken die Wahrheit zu verludern droht. Gilt als einziger der Genannten unter seinen StudentInnen als witztauglich. Heimlicher Traum: einen Roman schreiben.

WOLFGANG PIRCHER. Kulturphilosoph des Jahrgangs 1946. Assistenzprofessor am Institut für Philosophie. Beschäftigt sich mit Wirtschafts- und Technikphilosophie, Staatsrechtslehre, der Theorie des Austromarxismus, Ingenieursdenken, der Geschichte der modernen Seele und der Sozialmaschine Geld. Zitiert Carl Schmitt ebenso locker wie Vilém Flusser. In Studentenjahren linkspolitisch geprägt, machte er später die Wochenzeitung »Falter« zu seinem Sprachrohr. Einige von Pirchers Studien über die Ideologien der Zwischenkriegsjahre haben Kultstatus erlangt. 1989 kuratierte er die Ausstellung »Wunderblock. Eine Geschichte der modernen Seele« und ist immer für eine Überraschung gut.

Im Teil II folgen:

Robert Pfaller
Christian Reder
Marc Riess
Franz Schuh
Leonhard Schmeiser
Burghart Schmid
Walter Seitter

© Wolfgang Koch 2006

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