vonWolfgang Koch 07.12.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Das taz-Feuilleton tut sich traditionell schwer mit einer Kunst, die nicht in das Foyer einer Waldorfschule passt. Entsprechend ratlos steht die Redaktion der Würdigung des österreichischen Orgienmysterikers Hermann Nitsch durch eine
Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau gegenüber.

In der Rudi-Dutschke-Strasse ist bekanntlich das linke Vorurteil zu Hause. Dagegen wäre absolut nichts einzuwenden, wenn dieses Urteil nur eben das aktuelle (!) linke Vorurteil wiederspiegeln würde. Doch aktuell ist am Kommentar von Brigitte Werneburg (http://www.taz.de/pt/2006/12/04/a0173.1/text am 4.12.06) gar nichts – was wir hier lesen müssen, das sind die schlecht fundierten linken Mutmassungen von gestern.

KUNST & ERFOLG

Dass Schüttbilder von Hermann Nitsch die Wände von Politikerbüros, Rechtsanwaltskanzleien und bürgerliche Wohnzimmer dekorieren – nun denn, das soll ein ernsthaftes Argument gegen seine Arbeit sein? Was darf ein Künstler anderes hoffen, als dass seine Werke gekauft und aufgehängt werden? Mit der Diffamierung des kommerziellen Erfolgs schürt Werneburg bloss ein diffuses Ressentiment gegen die da oben – gegen die Politiker, die Anwälte, das Bürgertum sogar. Ihr anti-elitärer Reflex bedient Gefühle, statt uns über sie aufzuklären.

LINKS & RECHTS

Stimmt schon, dass Hermann Nitsch gerne Linke und die Liberale stichelt. Na und? Solche Seitenhiebe finden sich vor allem in Texten und Interviews aus den Siebzigerjahren. – Zur Erinnerung: Damals hagelte es Faschismusvorwürfe am laufenden Band aus dem Intellektuellenmilieu. Nitschs Arbeit war den Politrucks (vor allem der autoritären K-Gruppen) zu wenig »revolutionär«. Eine unvoreingenommene Annäherung an die Lebensphilosophie und an ihre Konzepte wurde der deutschen Linken erst über den Umweg der französischen Heidegger-Rezeption (Gilles Deleuze) wieder möglich.

BLUT DER FRAU

Das Kernargument von Brigitte Werneburgs Polemik wirkt zunächst originell: »Traditionell«, sagt die taz-Autorin, »ist das Ausstellen und Herzeigen von Blut auf einer weissen Leinwand ein Ritual vormoderner Gesellschaften, das den Akt der Entjungferung bezeugt; das männliche Anrecht auf die sexuelle Unmündigkeit der Frau und die generelle Verfügungsgewalt über sie. Mehr Sinnbild patriarchaler Autorität kann es also kaum geben als das Blut, das Nitsch auf die weisse Leinwand schüttet. Nitschs massgebliche künstlerische Setzung ist erzreaktionär.«

Der Vergleich steht auf schwachen Füssen! Schliesslich messen wir ja auch sonst moderne Kunst nicht an Praktiken vormoderner Gesellschaften. Oder hat man schon einmal gehört, dass Beuys’ Wachsobjekte mit den wächsernen Devotionalen der Wallfahrtsorte in Verbindung stehen, die es doch auch gab? Taugt Niki de Saint Phalles Nana nur zum Objekt, wenn die volumniöse Puppe an primitive Darstellungen der mythologische Urfrau erinnert? Muss Peter Eisenmans memorialer Stelenpark vor Stümpfen deutscher Eichen bestehen, um als Kunstwerk Gültigkeit beanspruchen zu dürfen? Na also.

Phallozentrik und fragwürdige Männerinitimität, die gibt es im Orgien Mysterien Theater zweifellos auch, aber diese Momente müssen auf anderen Gebieten gesucht werden: in der 31. Aktion von 1969, in den Schlachthauspartituren mit Punkbands, im prächtigen Muskeltum der Objektschlepper, im Frauenmangel unter den Regisseuren. Das tachistische Motiv des Farb- und Blutschüttens eignet sich dafür nicht.

BLUTKUNST

Werneburg Reduktion des O.M. Theaters auf einen symbolischen Akt feudalen Deflorierens ist vor allem eins: bösartig. Diese versuchte Schmälerung des künstlerischen Lebenswerkes von Hermann Nitsch wird zudem dem rasanten Aufstieg des Genres der Blutkunst in den letzten dreissig Jahren in keiner Weise gerecht. In der Nachfolge des Prinzendorfers haben sich ja zahlreiche Künstler dem aufregend vitalen Material Blut zugewandt: Petr Štempera, Joseph Beuys, Bart Huges, Ana Mendieta, Judy Chicago und Leslie Labovitz-Starus, Andres Serrano, Marc Quinn, Damien Hirst, Jenny Holzer, Wolfgang Flatz, Jan Svenungson, Knut Bayer und Katharina Hohmann,…

So wie sich von einer spezfischen Lichtkunst, einer Feuerkunst oder einer Stahlkunst sprechen lässt, haben wir es hier mit einer Materialkunst zu tun, die mit den immateriellen Bedeutungen von Fleisch & Blut spielt. Werneburg käme kaum auf die Idee, die Arbeiten von Marina Abramović als »erzreaktionär« abzukanzeln, nur weil diese Aktionskünstlerin ihren Körper dabei einsetzt – warum also bei Nitsch?

Kluge Kommentatoren haben den Mann einen »sensiblen Entdecker der Lächerlichkeit der Aussenwelt« genannt, sensible Köpfe haben den wagemutigen Wiener als »letzten philosophischen Kosmiker« und als »Wiederentdecker der griechischen Tragödie« gefeiert – der schönste Ehrentitel aber, der ihm gebührt, lautet: Hermann Nitsch ist der erste Klassiker der Blutkunst. Unter diesem Label wird das gestrenge Buch der Kunst- und der Kulturgeschichte einst sein Orgien Mysterien Theater verzeichnen.

ÜBERWÄLTIGUNG

Dass Nitschs nur einen einzigen Gestus, den der Überwältigung, kennt, dieser Umstand ist seiner Vorstellung von der katharsischen Wirkung der antiken Tragödie geschuldet. Mag diese Arbeitshypothese stimmen, oder auch nicht. Wer genau hinschaut, wer die Aktionen intensiv wahrnimmt und mit allen Sinnen registriert, wird bald bemerken, dass das Masslose und Monumentale eben nur eine von mehreren Seiten dieser Kunst ist.

Die teuren Gerüche aus den Phiolen, sie überwältigen durch synästhetische Assoziationen. Die Blumenarrangements, sie überwältigen durch Farben und die überraschende Kombination mit frischen Fleischfarben. Beobachtet man Nitschs berühmte Lehraktionen, verblüffen diese durch minimales Farbtropfen oder durch mit weisser Kreide um Papiertaschentücher gezogene Kreise. So still, so einfach und kontemplativ können Nitsch-Gesten sein.

Dass Werneburg den Eindruck von der Arbeit eines »wirklich exquisit einfältigen Gemüts« gewonnen hat, ist bedauerlich. Denn man kann Nitsch alles mögliche vorwerfen, nicht aber, dass er seine Arbeit zu wenig theoretisch reflektiert. Grundsätzlich hätte er ja wie jeder andere Künstler das Recht, seine Arbeit naiv und fern vom Kunstdiskurs zu betreiben. Das aber tut er keineswegs! Man nenne uns bitte ein paar Namen von deutschen Gegenwartskünstlern, die ihr Werk kontinuierlich über vier Jahrzehnte mit voluminösen ästhetischen und poetischen Schriften begleitet haben.

SAKRALER KITSCH

Was bleibt also von der langen Liste der Vorwürfe in der Papier-taz gegen die Retrospektive? Der Kathedralencharakter des Nitsch’schen Œvres bleibt – die Kritik an einer »enormen Ansammlung von pseudosakralem Kitsch«.

Da sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten lässt, sei der Autorin der »Kitsch«-Vorwurf geschenkt. Den Ausdruck »pseudosakral« aber schlucke ich nicht. Denn dieser Terminus suggeriert ja stillschweigend, dass es irgendwo eine wahre sakrale Kunst gäbe (eine Kunst der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften, oder was?). Und der dick vorgetragene Vorwurf des »Pseudosakralen« spricht automatisch jede Form von Kunst, die sich nicht dem Religiösen zuwendet, vom Verdacht einer Heiltumsbemühung frei.

Das aber ist Unsinn! Frei vom Gedanken der Erlösung ist Kunst zu keiner Zeit mehr. Wir haben heute gelernt, in den Konstruktionen der Moderne einen verkappte Erlösungsgedanken zu lesen und dieses Phantasma einer scharfen Kritik unterzogen: Ich meine die Religion des Fortschrittes, ich meine den unseligen Glauben an den Neuen Menschen, aber auch die endlose Litanei über die Beglückungen der neuen Medien und des Kommunikationszeitalters. Hinter diese einmal erreichte Position sollte man mit dem Ruf »Achtung, Religion!« nicht mehr zurückfallen.

© Wolfgang Koch 2006
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kommentare

  • Ich kenne H. Nitsch persönlich. Der Autor hier ist blind gegenüber Gewalt und Perversion,die H.Nitsch einen Leben lang betreibt- teilweise in Freundschaft mit Otto Mühl- mehr Krankheit geht nicht.

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