vonWolfgang Koch 18.12.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Für dieses schöne Thema besuchen wir zuerst Raum Nr. 11 in der weltlichen Schatzkammer. Hier lagern die ältesten Objekte einer sagenhaften christlichen Blutobsession.

Objekt Nr. 155 ist die Longinus-Lanze, von der über Jahrhunderte behauptet und geglaubt wurde, sie sei das Werkzeug, mit der der römische Legionär Longinus die Seitenwunde in den Corpus Christi gestochen hätte. Die Wissenschaft konnte das nie verifizieren; auch nicht, ob – wie eine zweite Legende lautet – im 8. Jahrhundert einer der Kreuznägel Christi in den ornamental geschmiedeten Eisenstift eingeschmolzen worden ist.

Wirklich nachweisen lässt sich nur folgendes: Kaiser Otto begehrte nach seinen Siegen in Ungarn eine ranggleiche Herrschaftsreliquie zum byzantinischen Kaiser in Konstantinopel. Otto wollte das Gottgnadentum seiner germanischen Stammesherzöge zur Schau zu stellen.

Der Legende Nr. 1 nach soll der römische Legionär mit Bildheit beschlagen worden sein, als er Blut und Wasser aus der Seitenwunde des Heilands strömen sah. Sein Unglück dauerte aber nur Sekunden, denn als ein Blutstropfen den Mann traf, ereignete sich ein Wunder, und er konnte wieder sehen.

Objekt Nr. 157 Ebenso geschätzt wie die Heilige Lanze wurde im Mittelalter dieses ausserordentlich grosse Stück vom Kreuz Christi, das die Mutter von Kaiser Konstation nach Konstinopel gebracht haben soll. Die simple Kieferholzlatte wurde in der Zeit nach 1330 in Prag zu einem Aufsteckkreuz in Gold umgearbeitet (die Querarme mit schwarzer Farbe überpinselt). Im Zentrum des Holzes steht das Nagelloch, in welches Blut vom Arm des Erlösers geflossen sein soll. Die metaphorischen Dimension des mit dem heiligen Blut bekleckerten Holzes konkurriert mit der metonymischen, also mit der Erinnerung an eine Begebenheit, die das Menschengeschlecht erlöst haben soll.

Objekt Nr. 153 Das dritte Objekt der Reichskleinodien: die berühmte Krone Karls des Grossen. Acht Metallplatten bilden ein Oktogon wie die Pfalzkapelle zu Aachen. Die Reichskrone stammt aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts und rangierte im Mittelalter eher hinter der symbolträchtigen Bedeutung von Heiliger Lanze und Kreuzspan.

Die Reichskrone stellt den blutenden Herrgott nicht an der Schauseite dar, sondern an einer Stelle dar, die nur von hinten zu sehen ist. Man tritt etwas zur Seite und erkennt, dass die Stirnplatte, die vorne einen siegbringendes Juwelenkreuz trägt, hinten mit einer Christusdarstellung verziert wird. Der Erlöser blutet aus seinen Wunden, während er die Augen weit aufreisst. Man deutet das als seinen Sieg über den Tod.

Objekt Nr. 158 Auch die Stephansbursa, ein goldenes Reliquar in Gestalt einer mit Edelsteinen geschmückten Pilgertasche, gehört zu den beliebtesten Objekten im christlichen Blutkult des Mittelalters. Das goldene Gefäss soll lange die Erde enthalten haben, die mit dem kostbaren Lebenssaft des Erzmärtyrers und Archediakons Stephanus getränkt war.

Der Mann war noch von den Aposteln geweiht worden und wurde später wegen Gotteslästerung vor den Hohen Rat gestellt. Man steigte ihn als Lästermaul, und sein Sarkopharg wurde über Jahrhunderte zum Streitobjekt zwischen Konstantinopel und Rom.

Wir wechseln nun von der weltlichen Schatzkammer in die geistliche Schatzkammer – und treten dort gleich in den letzten Raum Nr. V. Im Anschluss besichtigen wir Objekte in den Vitrinen der vorgelagerten Räume VI, III und II.

Objekt Nr. 168 Die Statue von Laurent Delvaux, 1785, zeigt Franz von Assisi mit zum Gebet verschränkten Händen und in Sandalen. Der Mann, der sich hier ganz verinnerlicht scheut, den Gegenstand seiner Anbetung auch nur zu betrachten, entsagte im Mittelalter freiwillig allen irdischen Gütern und führte ein einfaches und kontemplatives Leben. Das Blut Christi galt Franziskus als die »Bedingung der körperlichen Sichtbarkeit« des Allmächtigen.

In der Vitrine gegenüber sieht man eine Reliquie des Toten. Dass Franziskus hier gleich zweimal im Paarlauf mit Theresia von Àvila präsentiert wird, das hängt damit zusammen, dass diese beiden Heiligen die Namenspatrone von Maria Theresia und ihrem kaiserlichen Gemahl Franz Stephan von Habsburg-Lothringen waren.

Objekt Nr. 161 Im nächsten Raum befindet sich ein wunderschönes Kruzifix, das in Italien um 1600 entstanden ist. Auf dem Wurzelholz hängt ein blutender Christus aus emaillierten Silber mit einigen vergoldeten Details. Der gemarterte Körper ist in einem sehr delikaten Weiss gehalten, das Lendentuch in Blautönen.

Der sakrale Blutkult hat um diese Zeit einen unerhörten Aufschwung in Europa erlebt. Seit dem VI. Laterankonzil, 1215, bewirkte die Konsekretion des Blutes durch den Priester die Transubstitation, also eine vorgestellte Realpräsenz des Gottes. Die Eucharistie formuierte in der Gedächtnisszene des Gekreuzigten den Machtanspruch der Kirche.

Objekt Nr. 83 ist eine Reliquienvase aus Bergkristall, Ende des 16. Jahrhundert entstanden. Sie enthält das pulverisierte Blut der Märtyrerin Maximina. Blut muss also als Operator der Sichtbarkeit des Heiligen keineswegs immer eine klare Färbung tragen. Das fliehende Leben der Angebeteten befindet sich hier am halben Weg zwischen Körper und Symbol. Es sind nichts als Staubspuren in einem Glas zu sehen.

Objekte Nr. 18 u. 25 Die Heiligblutmonstranz aus Siebenbürgen, 15. Jahrhundert, soll einst Blut vom Leib Christi selbst enthalten haben. Die umschliessende Kapsel in der Mitte des Objekts ist allerdings verloren gegangen.

Anders beim sechseckigen Tempietto aus dem 16. Jahrhundert in der Vitrine gegenüber. Zwischen seinen kleinen Säulchen hängt ein Behälter aus Bergkristall. Der soll tatsählich noch drei Tropfen des Heiligen Blutes enthalten. In anderen Räumen des Reliquars befindet sich u. a. ein Barthaar von Christus.

Dieses Heiltum stammt vom Hof der Gonzaga in Mantua, wohin 1053 drei Bluttropfen aus Jerusalem gelangten sind, die auf der Lanze des Longinus geronnen sein sollen. Dieses erste wundertätige Objekt in Mantua zog eine lange Serie von Folgeobjekten nach sich, wie eben diesen fein gearbeiteten Tempietto.

Im 15. Jahrhundert diskutierten Theologen erbittert die Frage, was es mit solchen Blutreliquien auf sich hat, wenn doch Christus zum Himmel augestiegen ist? War sein Blut vom Körper getrennt worden?

Die Kontoverse erreichte 1462 den Höhepunkt, als Franziskaner und Dominikaner öffentlich gegensätzliche Ansichten dazu vertraten. »Ja«, sagten die Franziskus-Anhänger, »Blut und göttliche Natur haben sich getrennt«. – »Nein«, antworteten die Dominikaner und beharrten auf eine Einheit des geheiligten Körpers. Der Erlöser hat sich vom Wort entfernt, sagten die einen – nein, er hat sich im Wort inkarniert, antworteten die anderen.

Papst Pius II verfügte in einer Bulle am 1. August 1462 Schweigen über diese peinliche Frage und erzwang so die Rückkehr zur reinen Anschauung. Seither haben wir es in christlichen Dingen wieder mit der unansprechlichen Wirksamkeit des Bildes vom Heiligen Blut zu tun.

© Wolfgang Koch 2006
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