vonWolfgang Koch 28.12.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Der ORF ist prägend für das Selbstbewusstsein der Österreicher« behaupten Daniela A. KITTNER und Christoph SILBER von der österreichischen Tageszeitung Kurier – und weil sich die beiden doch nicht so ganz sicher sind, schieben sie noch die Worte »für das Österreich-Bewusstsein« hinterher.

Also: »Der ORF ist prägend für das Selbstbewusstsein der Österreicher, für das Österreich-Bewusstsein« – Punkt.

Quatsch bleibt Quatsch, auch wenn er verdoppelt wird! – Das öffentlich-rechtliche Fernsehen (ORF) ist so wenig prägend für das österreichische Individuum wie für das Österreich-Kollektiv, ja der drollige Sender und seine öligen Programme haben weniger Gewicht als jeder einzelne Lippizaner, jede Dopplerflasche, jedes Edelweiss.

Der ORF, sage ich, prägt bestenfalls die Wünsche – das Land aber prägt er nicht. Die Sendeanstalt manipuliert bloss das Nationalbewusstsein zum Zweck der guten Geschäfte, sie verkauft an die Werbung, was uns miteinander verbindet, man beutet die Farben Rot-Weiss-Rot als Image aus – weil der ORF ein kommerzielles Unternehmen ist und eben keine moralische Anstalt.
Als Beispiel für die Geschäftstüchtigkeit diene die Antwort, die der neue Generaldirektor der ORF, Alexander WRABETZ, den beiden Journalisten im Interview zu geben weiss (26.12.06).

»Das traditionelle Österreich-Bild«, sagt Herr WRABETZ über sechs Spalten, »erfüllen wir sehr gut mit der Regionalberichterstattung, der Volksmusik. Das soll so bleiben. Nachholbedarf haben wir bei der Entwicklung von Senderformaten für die urbane weltoffene Identität des Landes. Es muss mehr Programm geben, in dem sich auch die zweite Identität Österreichs entfalten kann. Der echte Wiener und der Kaisermühlenbluses liegen schon lange zurück und haben zwar Urbanität, aber nicht unbedingt Weltoffenheit repräsentiert.«

An dem Geschwurbel ist einfach alles falsch! – Jetzt machen dieses Top-Rhetoren aus der einen Identität, die es nicht gibt, schon zwei solche Monstern: eine traditionelle mit Volksmusik und eine moderne mit Prosecco. WRABETZ sieht bereits mehrfach Gespenster, wo man noch nicht mal das eine gefunden hat.

Es gibt keine »östereichische Identität«, so wenig wie eine deutsche oder eine ukrainische. Der Begriff ist leeres Geschwätz, akademischer Surrealismus! Das Land Österreich ist keineswegs »auf der Suche nach sich selbst«, weil ein Land weder Augen zum Suchen hat noch ein Bewusstsein, um etwas zu entdecken.

Und schon gar nicht gibt es ein im News-Room gerierbares Österreichertum – weder einen nationalen Charakter noch eine urtypische Mentalität, und schon gar kein »österreichisches Wesen«, an dem die Welt zu genesen hat.

Das Wort »Identität« ist eine Worthülse, eine Gebetsmühle der Beschwörung konkreter Substantialität. Und wozu? Um patriotische Gefühle für Geschäfte der TV-Industrie nutzbar zu machen, um das subjektive Erleben vor der Glotze zu kanalisieren, um die Willfährigkeit des Publikums zu erhöhen und mentale Gefolgschaft zu erzwingen.

Wer das Identitäre im Mund führt, führt ganz klar Böses im Schilde!

Ich verwette mein Honorar darauf, dass WRABETZ, der am 1. Jänner 2007 seinen Job antritt, mit der neuen »Urbanität und Weltoffenheit« des Landes bloss sich selber meint – die Eigenkreation seines Auftritts.

Was, frage ich, sollen wir denn für einen Nachholbedarf haben?

Wir leben im beschleunigten Zeitalter des Internet. Die Suchmaschinen stampfen und rattern, alle Wahrheiten kommen auf dem Tisch. Da braucht es keinen moralischen Zeigefinger mehr von Leuten, die bloss den alten Unterhaltungskrempel verscherberln.

Wenn ich bedenke, welchen Unsinn ich da mit ansehen muss! – »Ein Sendeformat für eine urbane Identität…«?

Ich erhöhe den Einsatz auf zwei Honorare und wette, dass der weltoffene Herr Generaldirektor den Wiener Kreis für eine Ringstrasse hält und unter zeitgenössischen Komponisten Arnold Schönberg versteht.

© Wolfgang Koch 2006
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