vonWolfgang Koch 18.01.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Der Galeriebau über die Ostautobahn und die beiden Bronzelöwen von Rudolf Weyr sind die Highlights beim Erstkontakt mit Wien. Ganz anders das linke Donauufer! Hier schleust uns ein Asphaltband herein ins Häusermeer, durch lange in Gelblicht getauchte Tunnels. Da der Weg am Ende über eine der vielen Donaubrücken führt, entsteht beim Ankommenden leicht der grundfalsche Eindruck, in eine vom Wasser umspülte, mit dem Donaustrom intim vertraute Stadt einzutauchen.

Wenigstens die Nordeinfahrt, über die Brünner Strasse, ist von einer gewissen Orginalität. Das hängt einerseits mit dem Hügelauf-Hügelab des Weinviertels zusammen – die besten Stellen auf der Route gestatten unversehens aufreissende Fernsichten, ähnlich schön wie der Blick vom Michelberg aus auf das Donautal.

Der zweite Reiz dieser Anfahrt liegt im Kontrast der Zeiten, die hier aufeinander prallen. Da gibt es am Strassenrand in Schubkarren ganzjährig zum Verkauf feilgebotene Kartoffeln, im Herbst Kürbisse, es gibt vereinsamte Marterln und Wegkreuze, unabweisliche Boten des Landlebens. Sie kauern bizarr zwischen den Wellblechboxen der Fabriksgebäude, bis die Brünner am Rendevous einen Knick macht und in die Weichteile der Stadt einschneidet.

Die von Tagespendlern stark frequentierten Anfahrten über Aspern und den Wienerberg: schwere automobilistische Katastrophen. Charakter vom Süden her besitzt lediglich die Zufahrt über die A16: Das Asphaltband schlängelt sich diesmal durch Felder, in denen Hasen und Fasane hausen, die Kolonnen durchpulsen Verkehrskreise und Ortschaften mit malerischen aufgelassenen Tankstellen.

Überall Spuren geplanten und wieder verworfenen Lebens! Pappeln und 380-kV-Leitungen dominieren die Vertikale, bis sich überraschend der Laaerberg mit seinen Siedlungen und Kirchen sowie den retrofuturistischen Grossbauten am Hang vor einem aufpflanzt. Vorahnungen einer unbehaglichen Mischwelt … Dort, wo du die die kritische Zone durchschreitest, lachen dir die Grabstein-Reklamen der Laaer Steinmetze ins Gesicht.

Das ist in Wien nichts beileibe nichts Einmaliges. Auch auf der Südbahnstrecke hat mich viele Jahre ein Firmenschild mit der köstlichen Aufschrift Grabsteinland zum Schmunzeln gebracht. Ansonsten fällt an der Südbahn nur auf, dass Fernzüge zuerst in der Vorstadt halten.

Vösendorf im Südwesten bietet den Anblick einer total vermüllten norditalienischen Trabantenlandschaft. Minutenlang werden die Autoreisenden auf der A2 von aufdringlichen Werbetransparenten auf gigantischen Heuballenhaufen begleitet. Man gewinnt beinahe den Eindruck, Wien rüste zu einem einzigen grossen Sonnenblumen-Rave.

Lediglich die Abfahrt über die A21 von Giesshübl nach Brunn am Gebirge und weiter zum Knoten Vösendorf hinab verströmt hier im Süden etwas Charme. Das aber auch nur nachts, wenn sich für eine halbe Minute das Lichtermeer unter einem ausbreitet und man langsam darin einzusinken vermeint. Das Panorama dieser Perspektive ähnelt ein wenig dem von Wanderern geschätzten Blick von der Baderwiese im Lainzer Tiergarten auf die Stadt herunter.

Sicher, die Ausblicke von Höhenstrasse! – Aber wer tuckert schon über die Höhenstrasse nach Wien? Ein paar Pendler aus Tulln vielleicht.

Die Westeinfahrt per Auto: eine Stadtschlucht mit endlosen Ziegelmauern und Ampeln und unterwegs dem ganzen Schönbrunner Zeug halt. Man quält sich mit maximal 60 km/h durch den Darm des Wientals. Bloss in der letzten Rechtskurfe der A1, noch auf der Autobahn, da begrüssen dich nächstens am Auhof die Leuchten der sternförmig zulaufenden Gässchen am gegenüberliegenden Wolfsberg. (Ich habe von Kindern gehört, die im Fonds des Fahrzeugs ihrer Eltern eifrig nach dieser »Spinne« Ausschau halten).

Die Westbahnstrecke: ein sanftes Schaukel durch grüne Hügel, aus deren Baumkronen die Giebel und Türmchen von Villen lugen; harmlos bis langweilg, bis einem – unversehens und übergangslos – die rostigen und ölverschmierten Hinterhöfe von Industrie- und Gewerbetrieben angähnen. No Fun, no Glamour!

Nur in der allerletzten Minute, wenn die ungeduldigen Passagiere im Abteil schon stehen, wenn die Mitreisenden ihrer Überkleider angelegt und ihre Trollys zur Hand genommen haben, da taucht für einen kurzen, distinguierten Moment das Kaisergelb im rechten Fenster des Waggons auf. So lange bis man Zwei zählen kann, rollt der Zug über die schnurgerade verlängerte Hauptachse des Schlosses am schönen Brunnen.

Wien also: eine Zelle, sage ich, mit den unterschiedlichsten Zuflüssen durch eine Membran, mit Ionenpumpen, um das elektromagnetische Gleichgewicht von Innen und Aussen zu erhalten, signaltransduktiv, aber immer stärker auch verwechselbar mit anderen Städten, eine Cellulia der Western Civilisation, anamorph wie wir selber.

© Wolfgang Koch 2007
next: MO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2007/01/18/wiens-tore-zur-welt-da-draussen-ii/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert