vonWolfgang Koch 22.01.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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In Wien betrachtet man jeden Ausbruch österreichischer Selbstreferenz mit gemischten Gefühlen. Denn in der Hauptstadt des Landes weiss man immer noch am besten, dass Österreich weder ein ethnischer noch ein territorialer oder ein kultureller Begriff ist, sondern ein staatspolitischer.

Es gab – zur Erinnerung – ja nie eine österreichische Eigenart wie die britische, die durch historische Entwicklungen oder eine bestimmte Lebensauffassung bestimmt wurde. Zu keiner Zeit ist es eine konzise Erfassung des überzeitlich verstandenen österreichischen Wesens in wissenschaftlichen Termini gelungen. Wie auch? Das reichlich inkommensurabele Wesen des Österreichischen hatte als geistige Substanz stets nur etwas ganz Anderes zu sein als ihr deutsches Pendant.

Auf der Vergleichsebene ist für die nationale Selbstbesinnung eines Volkes bekanntlich nichts zu gewinnen.

Für die Bürgerinnen und Bürger war das Leben nach 1945
lange keine Identitätsfrage im strengeren Sinn. Die Menschen hegten im neuen Österreich zunächst ein gesundes Misstrauen gegenüber allem, was in feuilletonistischer, essayistischer und literaturhistorischer Tradition an Stereotypen des Österreichischen angepriesen wurde. Anstelle der Hypostasierung des Ö-Nationalen wurde ein nüchternes staatspolitische Bewusstsein zum Ausgangspunkt des Selbstbildes.

Die berühmte Parallellisierung von Sozialpartnerschaft und Aussenpolitik mit der Schweiz sollte 1955 nicht nur verwandschaftliche Züge der beiden Länder beschwören. Die Eidgenossen hatten es über Jahrhunderte deutlich besser verstanden ihr republikanisches Erbe zu bewahren und die demokratischen Rechte auszubauen, als das den Österreichern je gelungen war.

Die erste Fragestellung der Zweiten Republik lautete also: Konnte man aus der Erfolgsstory der Schweiz lernen, wie auf einer rein republikanischer Grundlage des Staates ein positives Gemeinschaftsgefühl der Menschen zu entwickeln ist? Ein Gemeinschaftsgefühl, das verschiedene historische Traditionen und Staatlichkeiten, Volksgruppen und Religionen umfasst?

Als Historiker muss man heute sagen: Nein! – Die österreichischen Grossparteien gingen bald einen anderen Weg, einen der Bequemlichkeit, voll gepackt mit Kitsch und Klischees.

Schon in der Aussendarstellung der Besatzungzeit – etwa im Staatsfilm 1. April 2000 – kehrten die Pioniere des neuen Staates ohne Skrupel zu den Mythen der Monarchie zurück. Und wo die Konstruktion eines transhistorischen Ö-Wesens aus der Konkursmasse der Habsburger nicht auf Anhieb gelang, da griff die nationale Selbstbespiegelung auf regionale Identitätskonstruktionen zurück.

Wir kennen heute alle die Klischees über die österreichischen Bundesländer, die aus dieser Politik hervorgingen: die Vorarlberger als Kalifornier, die Kärntner als Sizilianer und die Burgenländer als die Costarikaner Österreichs; dann das scheinheilige Älplertum der Tiroler, der minderwertige Grössenwahn der Salzburger, das Dickschädelige der Steirer, die oberösterreichischen Wagenburgbauer, die niederösterereichische Winzerköniginnenseligkeit, schliessliche der Schwermut und die Todessehnsucht der Wiener.

All diese Stereotypen existieren und wuchern im Bewusstsein der Menschen. Sie bedienen bestimmte Gefühlsaspekte bei den Gästen wie bei den Einheimischen. Und da Mythen weder richtig noch falsch sind, können wir nur immer wieder laut fragen, welche Bedeutung ihnen im Zusammenleben gerade zukommt.

© Wolfgang Koch 2007
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