vonWolfgang Koch 09.04.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die österreichische Gegenwartsliteratur ist weiblich, und unter den Protagonistinnen finden sich prozentuell sicher mehr aufregende Autorinnen als der Rest des deutschen Sprachraumes zu bieten hat. Das aktuelle Spektrum reicht von Eva Rossmann und ihren Kochbüchern mit Mordrezepten zum Nachtöten (oder Krimis mit Kochrezepten zum Nachkochen, so genau weiss ich das nicht mehr) über die konservative Sabine Gruber und die innovative Corinna Soria bis hin zur den ermüdend-spätsurrealistischen Sprachanalysen der Elfriede Jelinek samt Epigonen.

Neue Stimmen haben es auf dem dicht besetzten Feld naturgemäss schwer. Ursula Brochard aber dürfte der Aufstieg in die Region der Stipendien und Förderpreise leicht fallen, denn die 45jährige Wienerin hat in ihrem Erstling drei ziemlich witzige Erzählungen vorgelegt. Texte, die Talent und Sprachkraft, vor allem aber jene monotone Nachdenklichkeit unter Beweis stellen, nach der wendige LeserInnen lechzen.

In Brochards Erzählungen pulsiert das innere Leben, Müllcontainer blicken dich plötzlich wie ein Familienportrait an. Im Mittelpunkt stehen recht zerzauste Frauen: eine Langzeiturlauberin auf einer kroatischen Insel, die gerne gerettet sein will (nur wovon?), und – in der Hauptgeschichte – die schwermütige Lou, der man sofort ansieht, wie schwer sie es hat (sie gibt sich jeden Morgen vor dem Spiegel richtig Mühe, ihre Brustwarzen im BH so anzuordnen, dass beide auf gleicher Höhe zu sein scheinen, was niemals der Fall ist). – Zwei schockierend realistische Gestalten, Repräsentantinnen einer seltsam abgelebten und urbanen Generation, Frauen, die höflich sind und sich dabei trotzdem daneben benehmen.

Lou besucht widerwillig eine Party, sie verkehrt mit einer ihr verhassten Gesellschaft, trifft Männern und Frauen (»alle mit einem anklagenden Selbstverständnis«), die sich an ihr Einzelleben klammern wie an eine mächtige Boje. Die Autorin stellt uns Menschen vor mit dem Bewusstsein, dass sie wahrscheinlich nur noch ein paar Monate, vielleicht maximal noch ein paar Jahre leben und deswegen sowieso alles egal ist.

Lou ist schlecht drauf. Wenn das Telefon läutet, erschrickt sie, als hätte sie darauf vergessen, dass es Telefone gibt. Sie sagt zur ihrem Lover »Ich liebe dich« und denkt dabei an etwas anderes … »Leise zu lieben«, denkt sie zum Beispiel, »ohne gross am nächsten Tag zu quatschen, war anscheinend nicht mehr drin, die Welt war eine grosse Bühne, und alles, was empfunden wurde, stritt mit dem, was andere empfanden um die Wette.« – Es sind solche Sätze, die gültige Spiegelbildern des Milleniums abgeben. Sie zeigen Leute so um die Vierzig, die gerade sämtliche Sünden ihrer zurückliegenden hedonistischen Jahre abbüssen.

Die Zeit schleicht auf der Party unter Gelächter zäh dahin; man verzaubert sich selbst durch Marihuana, Koks und Alkohol. Dieses Gartenfest ist nicht mehr in jenes goldene Sonnenlicht getaucht, in das José Ortega y Gasset einst seine nachmittägliche Golfgesellschaft setzte, um seinen Lesern den Dharma zu erklären. Keine Spur von der guten Medizin der freiwilligen Selbstdisziplinierung! – Bei Brochard hängen die Depressionen wie schwere Gewitterwolken über der Party. Man sagt in jedem dritten Satz wienerisch »quasi«, um sich von einem Wort zum anderen zu tasten, wenn man Zusammenhänge beibehalten will.

Wohl sitzen da auch Gäste mit gut geschmiertem Unterhaltungsmotor, doch Lou hadert zwischen zwei Männern, Männern überhaupt, solchen, die gelangweilt in Kunstkatalogen blättern und anderen, die ihren Body zum Abspritzen benutzen. Sie fragt sich, ob sie mehr als ein Sexferkel sein könnte für einen der Kerle, mehr als eine Gefälligkeitsliebe oder eine Hotelschlampe. Desillusionierungen aller Art setzen ein. Lou will weder Spass noch Fun, sie will das Unglück, jetzt und sofort.

Alles, was in diesen Storys geschieht und unterbleibt, ist sehr stimmig erzählt (»Die dunklen Schatten unter seinen Augen waren der einzige Hinweis auf ein mögliches Privatleben, für das er entweder keine Zeit hatte oder gerade deswegen zuwenig schlief«). Brochards Leserschaft wird Zeuge von Paaren, die Stundenhotels aufsuchen und mit Kreditkarte bezahlen, und die sich später über die Erinnerung freuen, wenn sie den Posten auf der Monatsrechnung entdecken.

Man bedient einander (nach dem gemeinsamen Konsum eines Latexpornos) »mit aufgeschreckter Erregung«. – Und nicht nur die keuchenden Episoden sind mit punktgenauem Sarkasmus gespickt, viele Passagen atmen den plastisch Geist aus dem richtigen Leben: »…Während des Akts spürte sie die Passivität eines Kindes, dem nichts richtig Spass machte und das sich nicht getraut zu sagen, was ihm nicht passte, worauf der andere natürlich keine Möglichkeit hatte, etwas zu ändern.«

Oder: »Für Komplimente war Lou empfänglich, sie schaukelten sacht auf dem kurzen Weg von ihrem Hirn zum Herzen, von wo sie sich dann metastasenartig im ganzen Körper ausbreiteten.«

Oder: »Vielleicht dachte er, das ist eine Frau für vier Uhr morgens, eine, die sich nicht entschliessen kann, ins Bett zu gehen, die sich, koste es, was es wolle, in Stimmung halten, rauchen, trinken muss, um schliesslich in einer Art Halbkoma mit einem Mann im Bett zu landen, der mit ihr alles das machen konnte, was er sonst bei Frauen, die er mochte, unterliess.«

Schöne Sätze allein wären natürlich zu wenig. Die Gefahr besteht nicht! Ursula Brochard verhandelt in ihrem Erstling Persönlichkeiten von heute, bedeutungspralle Charaktere, und sie tut das in wohlgesetzten psychologischen Noten. Da ist Brian, der mit einem eingebauten Zufallsgenerator labert; da ist Tom, bei dem sich nie richtig zwischen Freundlichkeit und Rückzug unterscheiden lässt. Wir hören von Frauen, die sich hemmungslos besaufen (»eigentlich ein hässliches Wort«), und die sich minutenlang einem Tötungsinstinkt hingeben und dabei 1202 Ameisen umbringen…

Ursula Brochard will nicht der Wahrheit auf den Grund gehen, sondern mit der Ausrede Literatur darauf landen.

Ursula Brochard: Boys And Sisters. Drei Erzählungen, 130 Seiten, Wien Verlag Schiffamt, ISBN: 3-900152-01-2, 12,- EUR (bestellbar unter: ursula@schiffamt.at oder info@phil.info, Direktverkauf: Phil, 1060, Gumpendorferstr. 10-12)

© Wolfgang Koch 2007
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