vonWolfgang Koch 30.04.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Dass es ein Elend der österreichischen Sozialdemokratie gibt, geschenkt – das lässt sich schwer bestreiten. Doch es ist vor allem ein Elend der Köpfe. Das Elend der österreichischen Sozialdemokraten sind ihre Kritiker aus den eigenen Reihen.

Die Richtigkeit dieser These lässt sich fast regelmässig in den Spalten der konservativen Tageszeitung Die Presse nachprüfen. Dieses katholische und industriefinanzierte Blatt stellt allen akademischen Aussteigern, Dissidenten und Kritikern der staatstragenden SPÖ bereitwillig Platz zur Verfügung, um das Lamento über Funktionärskälte und Entideologisierung der roten Politik anzufeuern.

Dialoge dieser Art, bei der alle Beteiligten aneinander vorbeireden, gehören in Österreich zum politischen Alltag wie Fahnen und Marschmusik. Einige der, meist greisen SP-Dissidenten wie Norbert Leser verbeissen sich dann mit ihren Traktätchen und Polemiken derart in ihre Mutterpartei, dass daraus eine eigene neue Berufung wird. Der Aussteiger wähnt sich als bedeutende Persönlichkeit, ja als unbestechlicher Kritiker der Mächtigen, weil ihm die politische Konkurrenz Gehör verschafft.

In der Wochenendausgabe der Presse vom 28. April 2007 kommt gleich über zwei Seiten der pensionierte ORF-Landesintendant des Burgenlandes zu Wort. Was Ulrich Brunner zu sagen hat, das wirft kaum ein problematisches Licht auf das Regierungsteam von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer – dafür legt es unfreiwillig jenen spezifischen Abgrund der österreichischen Seele bloss, der wohl am besten mit »dreistem Moralisieren« umschrieben ist.

Ulrich Brunner, muss man als Leser wissen, hat seine journalistische Karriere 1970 bei dem längst sanft entschlafenen Traditionsorgan Arbeiter-Zeitung begonnen. Der Mann bekleidete anschliessend ein Vierteljahrhundert lang verschiedene journalistische Funktionen im Staatsfunk – vom Redakteur über Ressortleiter Innenpolitik, Chefredakteur bis eben zum Landesintendanten. Das sind in Österreich immer noch alles rein politisch besetzte Posten.

Der Karrierist Brunner hat also seinen ganzen Berufsweg dem roten Parteibuch zu verdanken. Heute sitzt mit er mit einer satten Pension im Ruhestand, und nun muckt er erstmals im Leben auf – und zwar gegen jene SPÖ, der er alles zu verdanken hat.

Er, Brunner, sei nach 50 Jahren Mitgliedschaft in den Tagen nach der Regierungsbildung unter Kanzler aus der SPÖ ausgetreten. »Danke, Freude!«, lässt er uns und die Genossen wissen. Als Begründung gibt Brunner (wie Leser) das Fehlen eines glänzenden sozialdemokratischen Ethos an.

»Die SPÖ war für mich eine Bewegung«, sagt er, und die SP habe nach 1945 noch Menschen mit den Idealen des Austromarxismus der Zwischenkriegsjahre begeistert. Einzelne Funktionäre hätten dann versagt, weil sie unfähig waren. Die messerscharfe Conclusio daraus: »Eine Bewegung, der sich die Menschen mit grosser Begeisterung hingeben, wird die Sozialdemokratie auf absehbare Zeit nicht mehr werden«.

Brunner ist entweder ein Dummkopf oder ein Träumer! Denn bewegt hat die SPÖ vor allen ihn selbst, das langjährige Mitglied, nämlich die Karriereleiter hinauf. Begeistert davon waren angeblich immer die anderen. Aus dem sicheren Nest seiner Pension heraus behauptet dieser waschechte Opportunist nun heute, er habe »eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschen« schaffen wollen. Nun, das ist ihm vor allem bei sich selber gelungen.

Neue Gesellschaft? Neuer Mensch? – Wer solchen politischen Schmus der Dreissigerjahre heute noch ernsthaft als Rezept für die Zukunft einfordert, der ist tatsächlich besser beim bürgerlichen Gegner aufgehoben. In der Redaktion der Presse drücken einander schon dutzende Ex-Linke die Tür in die Hand. Die Karawane zieht ohne den Kläffer weiter.

© Wolfgang Koch 2007
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