vonWolfgang Koch 08.05.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Das Renommee des österreichischen Kultursenders Ö1 reicht bis weit über den Semmering hinaus, bis tief hinein in die bedürftigen Lehrerhaushalte von Bruck an der Mur und Sankt Veit an der Glan. Das heuer 40 Jahre alte Radioprogramm ist das bildungsmässige Aushängeschild der staatlichen Sendeanstalt ORF, bestehend aus anspruchsvollen Wortsendungen und klassischer Musik, mit wachsenden Anteilen von Jazz, neuer Volks- und Weltmusik.

Ö1 ist also kein reiner Klassiksender. Stündlich ertönen hier Nachrichten; morgens, mittags und abends gibt es zusätzlich ausführliche Nachrichtenjournale. Dazwischen magazinartige Beiträge zu den verschiedensten Aspekten des Lebens: von der Glaubens- und Gartengestaltung, bis zu Kunst, Computer und Neue Medien.

Ob das 40-Jahr-Jubiläum allerdings so pentrant gefeiert werden muss, wie das derzeit geschieht? – Ich meine: Nein, denn: Ö1-Hörer sind erstens Stammhörer. Viele haben den Sender den halben Tag über laufen, man bereitet dazu sein Mittagsmahl oder bügelt die Wäsche. Und solchen Stammhörern braucht nicht eingebläut zu werden, dass sie einen Lieblingssender haben, der vierzig Jahre alt ist und Ö1 heisst.

Das triefende Selbstlob, das nun tagein tagaus auf uns niederprasselt, es wäre viel besser in den Massenkanälen (ORF 1, ORF 2, Ö3, ÖR) aufgehoben. Dort wimmelt es ja bekanntlich nur so von blinden und tauben KonsumentInnen, die auf kulturelle Erlösung warten.

Wir Ö1-Afficionados braucht keine huldvolle Selbstfeierlichkeit. Diese ist nur das Vorspiel ist zur eigenen Kritiklosigkeit. Denn so weltbewegend gut, so unschlagbar genial, wie in der Argentinierstrasse getan wird, ist Ö1 nun wieder auch nicht.

Verglichen mit Bayern 4 Klassik stinkt Ö1 musikalisch ziemlich ab. Die Auswahl der Tondokumente ist extrem wienlastig und deckt sich weitgehend mit dem Repertoir der hier ansässigen Grossorchester. Auf der Frequenz von Ö1 wird man selten etwas aus den Opernhäuser in Sydney oder Malta hören. Arnold Schönberg gilt in den Musikredaktionen immer noch als »zeitgenössischer« Komponist, was nach hundert Jahren einigermassen lächerlich wirkt. Und Arbeiten noch lebender Kompositeure sind nur zu nachtschlafender Zeit zu hören.

Vom Pulikum besonders geschätzt werden die teils exzellenten Wortprogramme von Ö1. Highlights sind die besagten Nachrichtenjournale und die Sendungen der Feature-Redaktion (z.B. »Hörbilder«). Das Samstagformat »Diagonal – Radio für Zeitgenossen« hat seit dem Abgang des Radiointellektuellen Wolfgang Kos, der heute das Museum Wien leitet, viel an Timbre verloren.

Ein weiterer Hörtipp ist der Vorabendsalon »Spielräume«. Da erklingt Musik aus allen Richtungen, ohne dass die produzierende Industrie allzuviel Einfluss auf die Auswahl hat.

Es stimmt, wir wollen nicht verschweigen, dass Ö1 in unserem Land die Lücke ausfüllt, die in Deutschland und der Schweiz medial von Qualitätszeitungen besetzt wird. Aber ich werfe deshalb vor Freude keine Vögel an den Himmel.

Ö1 ist nämlich keineswegs kommerzfrei, wie das die Radiomacher ständig behaupten. Im Gegenteil: zwischen den Sendungen wird mit einer Penetranz für ORF-Eigenprodukte, kommende Beiträge und Clubverstaltungen geworben, die sich ein Sender am freien Markt kaum leisten könnte.

Freilich: Denkt man sich die grellen Jingels weg und den schleichenden Einzug von Wellness- und Esoterikphilosophien, so haben wir mit Ö1 immer noch noch einen ganz passabeln Sender.

© Wolfgang Koch 2007
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