vonWolfgang Koch 21.05.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Am 24. Mai 2007 kommt der Wiener Maler und Künstlerphilosoph Hermann Nitsch seinem langjährigen Traum, ein österreichisches Bayreuth zu schaffen, einen wesentlichen Schritt näher. An diesem Donnertag nämlich eröffnet in der Weinviertler Stadtgemeinde Mistelbach an der Zaya – nur wenige Autominuten vom Künstlersitz Schloss Prinzendorf entfernt – ein neuer Museumskomplex mit einem eigenen Gebäude für die Relikte und Malereien jenes Orgien Mysterien Theaters, mit dem Hermann Nitsch seit fünf Jahrzehnten unbeirrt seinen künstlerischen Anspruch vorträgt.

Die Eröffnungsfeier kommt einer regionalen Seligsprechung gleich, und sie dürfte den kleinen Mann mit dem lustigen Rauschebart für Vieles entschädigen, was ihm in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren angetan wurde. Das Hermann Nitsch Museum wird vom niederösterreichischen Landeschef Erwin PRÖLL (ÖVP) gemeinsam mit dem Bürgermeister von Mistelbach eröffnet. Erstmals sind auch offizielle Vertreter der Kirchen mit von der Partie: der Propst des Stiftes Herzogenburg, der Superintendent der Evangelischen Kirchen und der Stadtpfarrer. Die Stadtkapelle Mistelbach wird eine von Nitsch eigens komponierte Hymne intonieren.

Architektonisch wurde das ehemalige Heger-Fabriksensemble zu einer klosterhaften Museumsanlage umgemodelt. Innerhalb der umschließenden Hülle entstehen Gebäude und Freibereiche, die Assoziationen von Langhalle, Kathedrale, Seitenschiff, Claustrum, Krypta und einer zentralen Piazza zulassen. Zu Pfingsten lädt das Museumszentrum Mistelbach bereits zu einer Rätseltour mit speziellen Aufgaben für Eltern und Kindern zwischen Schüttbildern und Schlachttrögen von Nitsch. (Besucherinformation: www.mzmistelbach.at).

Die längst fällige Nobilisierung von Hermann Nitsch und seinem Extremtheater durch Vertreter von Staat und Kirche trägt nicht zuletzt gewissen Elementen der bodenständiger Musik und der Weinviertler Kulinarik in seinen Aktionen Rechnung. Gute internationale Kunst braucht eben ihre regionalen Wurzeln nie zu verleugnen.

Aus Wien wird am 24. Mai ein Sonderzug mit Schaulustigen nach Mistelbach rollen. Der Wienblog, den Sie hier lesen, bringt aus diesem Anlass den dritten Teil aus meinem »Hermann Nitsch Brevier«, das Worte des Künstlers aus allen Zeiten seines Schaffens präsentiert. Diesmal steht der Buchstabe »M« (wie Mistelbach) am Programm. – Und das hat Hermann Nitsch wörtlich gesagt:

»Verdrängtes wird durch die Malerei bewusst« (1983).

»Ich habe die Malerei immer als die Malerei des O.M. Theaters verstanden und wollte, dass das Publikum auch malte« (1984).

»Gute Malerei muss man mit den Augen essen können« (1995).

»Meine Malerei ist immer im Zusammenhang mit meinen Aktionen zu sehen. Sie ist deren visuelle Grammatik auf einer Bildfläche. Wenn ich male, denke ich immer an die physischen Vorgänge, die sich während einer Aktion ereignen« (1996).

»Das grosse Kunstwerk ist so etwas wie eine Maschine, die in der Lage ist, einen Menschen, der das aufnehmen kann, in einen Glückszustand, in einen Rauschzustand zu versetzen« (1984).

»Soweit ich das abschätzen kann, haben alle Versuche, mich und meine Arbeit schlecht zu machen, in der Kunstszene zu einem Misstrauen gegenüber den Medien geführt« (1989).

»In der Aktionskunst geht es darum, dass direkt sinnlich erfahren wird, über keinen Umweg, über kein Medium« (2004).

»Wenn ich in einer Sache nicht weiterkomme, wechsle ich das Medium und komponiere oder schreibe« (2006).

»Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass sie leben. Sie leben wie Tiere, sie leben wie im Traum, sie sind nicht vorhanden« (1968).

»Nicht der Mensch ist der Mittelpunkt der Schöpfung. Der Mensch ist ein Durchgangsstadium. Nicht der Mensch interessiert mich, sondern das Ganze« (1976).

»Ich will gern frei atmende, nicht vermasste Menschen für mein Theater haben« (1986).

»Ich will die Menschheit vom Animalischen befreien« (1960).

»Mein Theaterprojekt soll das Menschliche von der in ihm wohnenden Grausamkeit befreien« (1965).

»Ich identifiziere mich mit einem möglichen, unendlichen Ganzen, das das Menschsein nicht als höchstes und letztes Resultat seiner Selbsterkenntnis hervorgebracht hat« (1995).

Im Zentrum der die griechische Tragödie fortsetzenden katholischen Messe steht die Wandlung, die Transsubstantion. Wein wird in das Blut des Erlösers, und Brot wird in den Leib, in das Fleisch des Erlösers verwandelt« (1998).

»Ich liebe zerquetschtes Fruchtfleich und den Pomp und Prunk katholischer Messgewänder« (1983).

»Jeder militärische Apparat ist mir zutiefst zuwider« (1974).

»Es gibt keine Mimik; die körperliche Beanspruchung durch die Aktion ergibt automatisch den verlangten Gesichtsausdruck« (1979).

»Das Wort modern mag ich nicht« (2004).

»Wir brauchen keine auffrischende Modernisierung alter Stücke«
(1979).

»Das O.M. Theaterprojekt möchte eine mönchische Lebenform verwirklichen, wobei das Mönchische gemeint ist als innigste Konzentration auf das Leben« (1990).

»Erlösung der Welt durch die Kraft und Moral des Unbewussten« (1983).

»Die Form ist der Moral nicht verpflichtet« (1999).

»Ich könnte mir vorstellen, dass ein Mord Bestandteil eines Kunstwerkes ist, dass dabei aber eine andere Verantwortungsebene an den Mörder herantritt. Das soll man wirklich nicht machen. Das ist verboten« (1998).

»Meine Musik hat nicht in geringster Weise illustrativen oder gar malenden Charakter, sie bestimmt Geschehnisse so wie sie durch Geschehnisse bestimmt wird« (1979).

»Ich gehe in meiner Musik vom Schrei aus« (1984).

»Ich habe wenig übrig für das, was sich als heutige neue Musik ausgibt« (1986).

»Die deutsche Musik (Bach) ist ein Träumen von Gott, von der Transzendenz. Ausnahmen sind Mozart und Beethoven« (1995).

»Musik ereignet sich auch beim Atmen« (2004).

»Bei meiner Mutter bin ich ausgezogen, als ich 25 Jahre alt war; bis dahin habe ich immer im Bett neben ihr geschlafen« (1999).

»Vielleicht wird aus der europäischen Mystik der Sinne eine Art ost-asiatische Mystik der Ruhe« (1960).

»Rational ist zumindest eine totale Erkenntnis der Welt nicht möglich, weil sie durch das erkennende Wesen bedingt ist, nur mystisch kann die Welt sich über ein Wesen weitestgehend erkennen« (1995).

»Die Mythen sind ja voller Grausamkeit, doch ich sehe das jenseits von Gut und Böse« (1984).

»Mythen entspringen den Kollektivbereichen der Psyche« (1995).

»Neomythologie ist das Erkennen des Wirkens der Mythen gerade in unserer Zeit« (1995).

»Um das Trauma des Opfers, des Tötens, ranken sich alle Mythen« (1995).

»Man kann nicht nur die Mythen, man kann auch die Kunst als gross angelegten Traum der Menschheit sehen« (2004).

»Ich berührte das Mythische nicht illustrativ, wie mir oft vorgeworfen wurde, sondern als psychische Realität« (1976).

»Ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass Christentum zu überwinden. Ich glaube, dass sich eine Art neuer Mythos entwickeln wird, der sich ja vielfach schon ausdrückt« (1973).

»Aus [Joseph] Beuys sprach der Mythos selbst. Seine Kunst war, also ob sie immer schon dagewesen wäre« (1995).

© Wolfgang Koch 2007
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