vonWolfgang Koch 24.05.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der französische Schriftsteller Joris-Karl HUYSMANS [1848-1907] hat so gut wie nichts mit Wien zu tun. Er wurde als Sohn eines holländischen Lithographen und einer französischen Hilfslehrerin in Paris geboren. Sein Lebensmittelpunkt lag stets in der Stadt an der Seine. Dennoch frage ich mich aus Anlass von Huysmans’ 100. Todestages am 12. Mai, warum ausgerechnet das liberale Paris und nicht das bigotte Wien des 19. Jahrhunderts einen derart überspannten Katholiken hervorgebracht hat.

Wohl kannte Wien des Fin-de-siècle auch Maler und Autoren der Dekadenz, Hans Makart zum Beispiel, aber die belletristischen Schreiber dieser Richtung sind allesamt eine bittere Enttäuschung. Die Feder Jakob Julius DAVIDs [1859-1906] zum Beispiel, sie schwankte verzwagt zwischen Naturalismus und Dekadenz; dieser Schriftsteller und Journalist entschied sich letztlich für bittere Sozialkritik. Er hätte sicher keinen Vergleich mehr zwischen dem Stempel der Lilien und den Hoden des Esels angestellt.

Felix DÖRMANN [1870-1928], ein anderer Wiener Exzentriker, publizierte 1891 und 1892 die Gedichtbände Neurotica und Sensationen. Darin finden sich wohl dekadente und amorphe, aber leider auch mühsam extrareguläre Verse, denen vollkommen der disharmonische Witz der Literatur der Franzosen abgeht.

Dörmann wechselte, weil seine ausufernden Fantasiegebilde, seine vegetabilisch gefrässigen Verse nicht den erhofften Erfolg brachte, zu »kulinarisch-erotischen Dramen« für etwas einfachere Gemüter. Er wurde Librettist und landete schliesslich im Filmgeschäft, wo er das Publikum – sehr zum Ärger der Sittenpolizei – mit dem Anblick von Schaupielerinnen verwöhnte, die in Grossaufnahmen ihre Strümpfe über bleiche Waden rollten.

Keiner dieser Wiener Amoralisten und Freunde des Morbiden folgte der mäandernden Linie des Jugendstils wirklich bis unter das Kreuz am Altar. Sie suchten sich lieber rasch einen sicheren Platz in den Nischen der Kulturindustrie – und sind heute mit Recht vergessen.

Ich kennen nur einen einzigen österreichische Autor, der sich ein wenig in die Nähe Joris-Karl Huysmans’ rücken liesse. Er gehört allerdings einer späteren Generation an, nämlich Franz Blei. Dieser erotische Schriftsteller der Zwanziger- und Dreissigerjahre liebte es in habitartigen Kleidungen in den Wiener Kaffeehäusern zu sitzen und sich mit dem Titel für Weltgeistliche »Abbé« anreden zu lassen.

Doch Bleis Schriften haben weder mit Gebeten noch mit Bekehrung zu tun. Ihn faszinierte die Kirche aus rein ästhetischen Gründen, und das zu einer Zeit, als sich die Austrodiktatur wie ein Jesuitenstaat gebärdete und alle Andersgläubigen in den Untergrund drängte. [Albert Vigoleis Thelen hat dem Schriftstellerkollegen Franz Blei im Epochenroman›Die Insel des zweiten Gesichts‹ trotzdem ein unübertreffliches Denkmal gesetzt].

Huymans Werk beschreibt hingegen einen eleganten Bogen vom Naturalismus über die Décadence bis zum Renoveau catholique. Ich bin mit dem Ettikett »Vertreter der Gegenmoderne« weit vorsichtiger als das F.A.Z.-Feuilleton. Die Werke der Décadence waren ja nicht eigentlich gegen den Modernismus in Kunst und Literatur gerichtet, sie waren eher ein integraler Bestandteil davon, eine verletztlichere Spielart, ein singender Unterton, eine Subströmung des Mondänen.

Gewiss haben katholische Romantiker (von Antonio Gaudí bis Ernst Jünger, von Huysmans bis Franz Blei) einen Kulturkampf gegen den spermiziden Kältestrom einer rationalistischen Moderne geführt. Aber hier wurden bloss zwei ursprungsmythische Überzeugungen gegeneinander gesetzt. Der Mythos der Moderne ist schliesslich ebenso eine Konstruktion wie der des Glaubens: beide versuchen auf zwanghafte Weise zugleich aufzuklären und eine Bedrohung abzuwehren.

Wir haben also Gründe, uns die autoanalystischen Monologe von Huysmans Helden noch einmal anzusehen. A Rebours, die Bibel der Dekadenz-Mode, liegt nun bei Zweitausendeins neu übersetzt von Caroline Vollmann vor. Über diesen Roman hat Oskar Wilde geschrieben: »Es ist das sonderbarste Buch, das er jemals gelesen hatte. Ihm war, als zögen, in herrlichen Gewändern und zu zarten Flötenklängen, die Sünden der Welt als Pantomimen an ihm vorüber. Dinge, von denen er bisher nur dunkel geträumt hatte, wurden auf einmal Wirklichkeit.«

Joris-Karl Huysmans: Gegen alle. Aus dem Franz. von Caroline Vollmann. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins (www.zweittausendeins.de), 365 Seiten, EUR 17.90, ISBN 978-3-86150-587-7

© Wolfgang Koch 2007
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