vonWolfgang Koch 04.06.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Jedesmal wenn ich sehe, mit welcher Rasanz die Spuren der Fünfziger- und Sechzigerjahre in Wien verschwinden, befällt mich Wehmut. Ich habe keinen anderen Anhaltspunkt als mein Gefühl, aber oft beschleicht mich der Verdacht, dass man in einem halben Jahrhundert mit Entsetzen auf die Denkmalpflege in unseren Tagen zurückblicken wird.

Die Welt in fünfzig Jahren? Schwer vorzustellen, gewiss! Doch ich wage zu prophezeihen, dass künftige Generationen in gewissen Artefakten des späten 20. Jahrhunderts hoch geschätze Werte sehen werden – Kultobjekte, die weit besser Auskunft geben über die Haltungen und Idee der besagten Jahrzehnte als die Tonnen von Fotos aus dem Mai ’68, die Wasserwerfer und Streetfighter zeigen.

In den Tagen, von denen ich spreche, wird man zum Beispiel dem Mamor-Kreuzweg von Ernst Bauernfeind endlich den kunstverständigen Respekt entgegenbringen, den heute der
Klimt-Fries in der Secession am Karlsplatz geniesst. Ich sehe den Tag kommen, an dem es nur mehr wenige interessieren wird, wie die bürgerlichen Zirkel im Wien um 1900 Ludwig van Beethoven gesehen haben. Die heutige Liebe zur nervösen Linie des Jugendstils wird verblassen – und an seine Stelle die Begeisterung für die Abstraktion am Ende des 20. Jahrhunderts treten, also für Kunstwerke, die präziser und beredter vom Leben zu erzählen wissen als die schwülstigen, heute hoch im Kurs stehenden Fantasmagorien der Secessionisten.

Ernst BAUERNFEIND – dieser 1922 geborene Schüler von Albert Paris Gütersloh studierte 1945 bis 1951 in Wien, er wurde 1972 zum Professor für die schönen Künste an der Akademie ernannt und lebt heute in Niederkreuzstetten.

Die Antoniuskirche in Favoriten verdankt Bauernfeind ein bemerkenswertes Apsismosaik, direkt verlegt aus grossen Natursteinen. Es zeigt Christus als Pantokrator in Verbindung mit verschiedenen Symbolen. Zur Linken St. Antonius, der heilige Mensch, von Christus durch den Schatten der Erbschuld getrennt, deutlich eine Hand auf dem Herzen.

In der 1964 errichteten Anstaltskirche der »Krankenanstalt des göttlichen Heilands« gestaltete Bauernfeind einen Kreuzweg aus Mamor. Dieses Wiener Spital liegt am Ende einer schier endlosen Geraden in der Dornbacher Strasse 20-28 im 17. Bezirk; gleich hinter den Gebäuden der Anstalt werden der erste Weinrieden sichtbar. Nehmen Sie, wenn Sie das Krankenhaus betreten, den Gang, der vom Portier nach links führt, dann einmal ums Eck, vorbei an Besuchertoiletten und über eine Treppe oder mit dem Lift, hinauf in den 1. Stock.

Dort befindet sich, ein paar Schritte nach rechts, eingebettet zwischen Krankenstationen, die »Anstaltskirche des göttlichen Heilands«. Hinter einem grosszügigen Entree öffnet sich ein bewunderswert strenger Sakralraum mit asymmetrischer Dachkonstruktion und viel Mamor im Altarbereich. Je weiter nach vorne der Besucher schreitet, desto grösser die Belohnung durch das Licht, das buntfarben durch schlitzartige Glasfenster in den Raum dringt.

Den extraordinäre Kreuzweg dieser Kirche entdeckt man erst, wenn man sich wieder dem Ausgang zuwendet. Dort verläuft an der Ostwand ein wild zerklüftetes Band aus Mamortrümmern und -splittern. Soviele Ansichtsstücke von dieser Gesteinsart findet man sonst nur auf Friedhöfen versammelt.

Tritt der Besucher näher, erkennt er bald, dass sich das Band aus vierzehn Einzelbildern mit unregelmässigem Umrissen zusammensetzt. Es ist erstaunlich und sehenswert, mit welcher künstlerischen Präzision und Ausdauer hier die Sinnbilder der Kreuzwegmotive in steinerne Strukturen umgesetzt wurden. Ihr innerer Aufbau erscheint einem zunächst unheimlich. Aber die Motive sind klar erkennbar.

I. STATION: Dornenspitzen aus schwarzem Mamor, umgeben vom schattenhaften Dreispitz einer Krone. Das bezieht sich auf das Christus-Wort vor dem Richterstuhl, wonach er ein König sei (Lk. 1-32). Heute würden wir übersetzen: »Ja, ich bin ein Souverän, unabhängig und frei!«

II. STATION: Christus nimmt das Kreuz an, symbolisiert durch eine Spirale, die die beiden Balken hochzuheben, ja geradezu mit ihnen aufzusteigen scheint.

III. STATION: Jesus fällt das erste Mal unterm Kreuz. Schwarzer Mamor drückt als Sündenlast der Welt von oben auf ein rötliches Kreuz.

IV. STATION: Der Gequälte begegnet seiner Mutter, ein rotes tritt auf ein weissen Kreuz zu.

V. STATION: Simon von Cyrene unterstützt Christus, grüne Flächen greifen unter die rot-mamorierten Balken.

VI. STATION: Veronika reicht als Liebesdienst ihren Schleier als Schweisstuch, wunderbar angedeutet in weissem Stein. Und das einzige Mal ist hier das Gesicht des Gottessohnes zu sehen, tiefe dunkle Augen, eine grauer Fläche gibt die langgeformnte Nase. Markante Blustropfen treten hervor.

VII. STATION: Jesus fällt das zweite Mal. Bauernfeind liegt hinter das waagrechte Kreuz ein zweites, das den verdoppelten Schmerz symbolisiert.

VIII. STATION: Die seltsame Szene mit den weinenden Frauen. Nun ist das Holz des Kreuzes grün. »Weinet nicht über mich, sondern weinet über Euch und Euere Kinder…« Die theologische Deutung: Wenn dieses Elend dem Erlöser geschieht, was wird dann erst dem dürren Holz der einfachen Sünder geschehen. Aus der Mitte des Stammes, dort wo man das Herz des Gekreuzigten vermuten darf, ergiesst sich ein lichter Strahl nach rechts unten.

IX. STATION: Der dritte Fall unter dem Kreuz. Wie Station VIII., doch ein rotes Kreuz mit zwei Schatten, die Nase tief in die Erde gerammt. Weiss und gelb geädertes Schwarz drücken von oben.

X. STATION: Man beraubt den Gottessohn seiner Kleider. Würfel sind darauf zu erkennen und rechts ein schwarzer Becher, den die Feinde mit Essig und Galle füllen.

XI. STATION: Ob die drei schwarzen Nägel hier für die Sünden von Augenlust, Fleischeslust und Hofart des Lebens stehen oder für etwas anderes, ist letztlich egal. Verblüffend bleibt, dass die Nägel selbst schon Dimension und Form des roten Kreuzes annehmen.

XII. STATION: Der Tod. Das Kreuz ruhig und geleichmässig in dunkelrotem Ton. Aus der Herzwunde knickt ein Blutsstrahl in einen Becher nach unten.

XIII. STATION: Der Becher von Station XIII. hatte bereits die Form eines M. Dieser Buchstabe steht für Maria und beherrscht nun das gesamte Bild. Von oben schwebt das Kreuz genau in den mittleren Winkel, gleichsam in den unbefleckten Schoss der Mutter. In einer reduzierteren Zeichensprache ist eine Pietà kaum denkbar.

XIV. STATION: Das dunkle Grab. Natürlich, der Form nach ein Quader – was sonst? Aber wie eingebettet darin, in fast transparentem Weiss ein Kreuz, dessen linker Querarm sich in der Art eines Dominospiel von einem lichteren Kreuz bis in die leuchtende Corona einer Sonne hinein verlängert …

Prägnanter als in Bauernfeinds Kreuzweg ist im 20. Jahrhundert diese uralte Geschichte in Wien nie erzählt worden.

© Wolfgang Koch 2007
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