vonWolfgang Koch 04.06.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Welthauptstadt der Musik«, »Wiege der Psychoanalyse«, »Paris des Ostens« – wir kennen die kulturelle Hybris Wiens zur Genüge. Zu welch fulminanten Fehleinschätzungen der Mythos der überragenden Kulturmetropole in der Gegenwart führen kann, dürften aber selbst eingefleischte Kritikaster nicht für möglich gehalten haben.

Aktueller Anlass: ein Guide-Wien aus der Produktion des preisgekrönten albanischen Schriftstellers Hcok Gnagflow, der dieser Tage auszugsweise dem taz-Wienblog zugespielt wurde. Kurz vor der Drucklegung des mit Fehlern gespickten Werks in Tirana erreichte uns eine Übersetzung von Gnagflows Wienknigge für Kulturfreunde, aus dem wir mit freundlicher Genehmigung des Hcstauq Rutluk Verlags (© 2007) die kuriosesten Falschinformationen zitieren:

ALBERTINA
Luxuriöse Banketträume mit angeschlossener Galerie im Nationalparkformat

ALBUM
Feuilleton eines altsteiermärkischen Adeligenarchivs

ALTE SCHMIEDE
Ritualort zum Abfeiern befreundeter Literaten

ANKERUHR
Kunstchronometer der grössten Wiener Bäckerei am Hohen Markt

AUSTROPOP
Heimliche Leidenschaft der Wiener Philharmoniker

BALL
Konzert von Füssen für Füsse

DAMENWAHL
Schriftliches Volkbegehren weiblicher Wähler

DIÖZESANMUSEUM
Besitzt Millionenwerte, die es verstecken muss

ELMAYER
Anstandslehre für die Jugend der westliche Vorstädte

EXTRA
Schreibübungsgelände für Leser der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit«

HAUS DER MUSIK
Schausammlung für Schwerhörige

HAUS DES MEERES
Flakturm aus der Zeit des Grossen Vaterländischen Krieges

HAWELKA
Aussenstelle des deutschen Goetheinstitutes in der Dorotheergasse

HERMESVILLA
Nostalgiestadl im Lainzer Tiergarten

HOTEL ORIENT
Sitz der Freimaurerloge »Zur aufrechten Palme«

HUNDERWASSERHAUS
Architektonische Reste eines farbigen Hexensabbats

KUNSTHISTORISCHES MUSEUM
Hochwerte Altmeistersammlung im Dauergepiepse sogenannter Alarmanlagen

MEINL AM GRABEN
Senf- und Konfitürenmuseum bei freiem Eintritt

MITTELEUROPA
Amerikanische Erfindung enttäuschter Marx-Dissidenten

NEUGEBÄUDE
Namenloses Schloss hinter der schönsten Feuerhalle nördlich des Mittelmeeres

Ö1
Kultursender, der Schönberg immer noch für einen »zeitgenössischen« Komponisten hält

ONYX BAR
Wachsfigurenkabinett, aber nicht jenes des Dr. Cagliari

PROGRAMMHEFT
Kryptisches und geheimbündlerischen Gesäusel, das fälschlich als Informationsmaterial verkauft wird

RADIO STEPHANSDOM
Klassiksender, der im gleichnamigen Gebäude nirgendwo gehört werden darf

RENDEVOUZ
Form der romantischen Begegnung ohne das Ziel einer verpflichtenden Beziehung

SACHER
Tortenfabrik mit angeschlossenem Kaffeehaus und Hotel

SIGMUND-FREUD-HAUS
Ehemalige Wohn- und Arbeitsstätte des Erfinders des gleichnamigen Versprechers

SPEKTRUM
Hier wird wöchentlich eine neue Hackordnung unter Österreichs Intellektuellen simuliert

SPIELPLAN
Drei bis vier Jahre zuvor beschlossener Aufführungskalender im Musik- und Theaterbetrieb

STAATSOPER
Die 1.276 teuerstes Schlafplätze im Wiener Kulturexpress

SCHÖNBRUNN
Pissgelbe Operettenkulisse, an der die demokratischen Massen täglich Rache für die Niederlage von 1848 üben

THEATERKRIEG
Eine für das Haus Habsburg eher unerfreuliche Episode im Streit um Schlesien

THESEUSTEMPEL
Lokaler Sommersitz der Maulaffenloge

VINDOBONA
Begräbnisstätte der Babenberger

VOTIVKIRCHE
Bau zur Erinnerung an die letzte Türkengefahr

WIENER
Grossstadtpille für den Magazinkäufer in St. Veit an der Glan

WIENER PHILHARMONIKER
Heimliche Leidenschaft des Austropop

ZENTRALFRIEDHOF
Aphrodisiakum für André Heller

© Wolfgang Koch 2007
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