vonWolfgang Koch 16.07.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Was bisher geschah: Karl Marx und Friedrich Engels sehen im reaktionären, rückständigen Österreich »das europäische China«. Was sie nicht sehen, ist die unruhige Stadt. Der Angriff der jungen Kräfte richtet sich 1848 ausdrücklich »gegen die staatliche Gewalten mit dem Mittelpunkt in Wien«.

Ich habe am Anfang gesagt, dass auf das Schwarze Wien des Adels das Weisse Wien der Bürger folgen wird, noch nicht ’48, erst später. Nicht bloss das weisse Licht der Illuminaten erstrahlt jetzt, blendet, auch das Rote Wien erscheint bereits am Firnament.

Die Regierung steht der Ansiedelung von arbeitsintensiven Industrien im Stadtgebiet stark ablehnend gegenüber. Man ahnt, dass in der verdorbenen Luft der Peripherie gefährliche Pflanzen und Ideen gedeihen. Ganz konkret fürchtet die kaiserliche Verwaltung, dass die notwendigen Arbeitermassen räumlich in der engen Rasterverbauung nicht mehr unterzubringen sind.

Und recht behalten die sorgenvollen Mienen! Seit 1845 ziehen junge arbeitslose Fabriksarbeiter, sogenannte Kappelbuben, in der inneren Stadt herum. Nur mit Mühe kann die Polizei ihrer Herr werden; einmal überstellt man 300 Burschen auf einen Schlag zum Militär.

Als es zur Ausperrung der Arbeiter aus der Innenstadt kommt, treibt das die Menschen zur Weissglut. Die habsburgische Moral trieft vor Hochmut. Mautgebäude in der Vorstadt, in denen normalerweise die Lebensmittel verteuernde Verzehrungsteuer eingehoben wird, gehen in Flammen auf. Es brennt, endlich brennt es! In den Linienämtern sollen Steuerbeamte Fussgängern nicht länger in die Tasche spähen, um steuerpflichtige Lebensmittel zu konfiszieren.

Dann ergibt eins das andere. Die Frauen stossen die Männer an, die Bürgerlichen die Arbeiter. Wo keine vertraglichen Vereinbarungen, da kein Gehorsam. Eine namentlich nicht näher genannte Madame Strunz sorgt für »Frauenaufruhr im Volksgarten«, den wir uns schön wie einen Sonnenaufgang vorstellen.

Aufstand, Aufruhr, Chaos! Die aufständischen Wiener greifen zur Selbstverwaltung. Um sich weitere Schrecknisse zu ersparen, übernimmt ein Bürgeraussschuss unter Ignaz Czapka die Gemeindevertretung.

Die Regierung beherrscht die Dialektik der Lobrede und macht nicht den klitzekleinsten Versuch, Czapka und die Menschen, die hinter ihm stehen, in die Illegalität zu drängen. Der Hof anerkennt die Gemeindevertretung als offizielles Organ. Man erlaubt sich keine Fehleinschätzung: Die sozialen Verhältnisse drogen der Staatsleitung zu entgleiten.

So geht also das Gesetz des Handels notgedrungen vom Staat auf die Gemeinde über. Die Gemeindepolitiker sind es ja, die die Lage der Bewohner kennen; sie sind es, die sie zu verbessern versuchen. Notstandarbeiten werden in Auftrag gegeben, Suppenküchen errichtet, fremde Arbeiter abgeschoben.

© Wolfgang Koch 2007
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