vonWolfgang Koch 23.08.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Wiener Neomythologe Christian ZILLNER ist ein Endvierziger mit langem Haar. Er zeichnet mit Buchstaben, malt mit Strichen und formuliert in pastosem Farbenauftrag. Dabei schliesst sein Werk weder an die berühmte Kosmische Runde im München der Zwanzigerjahre an, noch an diverse esoterische Modelehren. Zillner bebrütet sein dotterloses Hahnenei durch die umgebende Wärme in eigenen Mist.

Christian Zillner ist ein ausgebildeter Philosoph, aber er werkt, weil man davon schlecht leben kann, als Blattmacher im Corporate Pubishing-Bereich eines Wiener Verlagshauses. Quasi als Ausgleich zur nervenaufreibenden Berufstätigkeit formt und formuliert das Doppeltalent in seiner Freizeit an gross angelegten Werkserien, von denen besonders das Schreibprojekt Spiegelfeld für lokale Verhältnisse ungewöhnliche Dimensionen anstrebt.

Denn Wien, müssen Sie wissen, ist berühmt für seine Meister der kleinen Form: für das Feuilleton, den Aphorismus, das Kabarett, das Sichverlieren im Fragmentarischen. In jedem Kaffeehaus produziert mindestens einer an einer losen Blattsammlung; beim Friseur Er-Ich in der Griechengasse trifft man nahezu täglich auf Satzverdreher und Komponisten von Fremdwörtersonetten.

Zwar gibt es in Wien immer auch den Kulturschaffenden mit dem fatalen Hang zum Momumentalen, zum wilden Sammelsurium des Totalwerkes, zur erbarmungslos losratternden Weltmaschine, die alles um uns herum und in uns drinnen erfassen und in Höheres, Kunstsinniges verwandeln will: vom schmutzigen Dichtersocken bis zum Streik bei British Airways, vom letzten Orgasmus bis zur dornenzerkratzten Christuspassion.

Aber von diesen gefährlichen Ambitionen bleibt meist nur eine geräumige Ruine (siehe Friedell, siehe Musil, siehe Wittgenstein, oder in der bildenden Kunst: Franz Xaver Messerschmidt und Paul von Ritttinger, wenn Sie vielleicht dessen Sindbad-Spiel kennen).

Im Zillner’schen Fall stehen die Sterne günstig. Die Arbeit am 5. (11.) Band seines Spiegelfeld-Epos geht zügig voran, das Monster mit dem Titel ‘Neun Bundesländer’ (20. Jahrhundert) wird voraussichtlich im Frühjahr erscheinen. Kosmologie, Geomantie, Logik, Metaphysik – alles tanzt im Konvexspiegel dieser Bücher hübsch durcheinander. Wie bei Manzolla der Bilderrahmen sind bei Zillner am Rand ein paar Baumwipfeln zu sehen, die seine Liebe zur Natur verraten.

Neue Pathos- und Würdeformeln werden in diesem Fantasy-Land ohne Sprühdose erprobt, Abnormitäten mit sprachlicher Gewandtheit vorgetragen, Mutungen der Geschichte und Erdwahrsagungen werden unternommen. Zillners Schreiben balanciert auf kräftigen Energiemeridianen dahin, es monologisiert mit den Mitteln des Zeichenstift und prologisiert über Missgeburten und Vergleiche.

Im Folgenden ein neuer Text, mit dem Christian Zillner seine Bemühungen kenntlich zu machen versucht. Künstler und Autoren sind – wohlgemerkt! – nicht verpflichtet, ihre Arbeit dem Publikum zu erklären. Es genügt vollkommen, wenn sie Kunst machen und Texte fabrizieren. Ist das Werk einmal fertig, wird ohnehin die Industrie von professionellen Kunstvermittlern Witterung aufnehmen; liegt das Geschriebene gedruckt zwischen zwei Buchdeckeln vor, pochen Kritiker und Spürhunde des Marktes früh genug an die Tür und unterziehen alles Brauchbare der kommerziellen Verwertung.

Erklärt ein Kulturproduzent sein Arbeit aber doch, (sei’s, um sie vor den gefrässigen Professionisten in Schutz zu nehmen, um falschen Interpretationen vorzubeugen, oder einfach: um sich nicht vorschnell vereinnahmen zu lassen), und interpretiert er sein Tun obendrein so eloquent und humorvoll wie Zillner, haben wir ihm dankbar zu sein dafür.

© Wolfgang Koch 2007
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Anleitung zum Lesen des Spiegelfeld

Nehmen wir ein Buch zur Hand, erwarten wir letztlich beim Lesen desselben die Stimme seines Autors zu hören. Wir setzen stillschweigend voraus, dass der Dichter oder Romancier viel erfahren, gelesen und in eine Form gebracht hat, in der es uns nun auf seine Weise mitteilt. Indem wir sein Buch lesen, hören wir ihm zu.

Dabei finden wir entweder Gefallen daran, sind bezaubert und begeistert, oder aber es missfällt uns, wir lehnen die Art der Darstellung ab. Immer geht es dabei um das Wie der Beschreibung, niemals um das Was-beschrieben-wird. Wenn etwas gut oder gefällig geschildert ist, lassen wir uns gern alles sagen, sogar das, was uns gewöhnlich nicht interessiert oder entspricht. So funktioniert Literatur.

Auch in der Moderne, da mancher Autor versucht, seine Stimme zugunsten einer Vielstimmigkeit in seinem Werk aufzugeben, verlassen wir uns letztlich auf seine ordnende Hand, die im Gedicht oder Roman auch scheinbar widersprüchliche Elemente in einer Form vereinigt, die mehr als nur Zusammenheftung ist, sondern einem inneren Zusammenhang folgt. Er gleicht darin dem Priester oder Standesbeamten, der zwei (oder mehr) sehr verschiedene Menschen in eine Ehe gibt, die zumindest dem Versprechen nach, ein ewiger, gemeinschaftstiftender Bund ist.

Auch wenn ein Autor sich bei seinen Recherchen für ein Werk faktischer Gegebenheiten bedient, arbeitet er sie schliesslich durch, »knetet« ihre sprachliche Repräsentation so lange durch, bis daraus sein Kunstwerk entstanden ist. So hat ein Dichter oder Romancier in seinem Werk alles erfunden, selbst, was er angeblich nur übernommen oder im äussersten Fall sogar von anderen geklaut hat.

Ich bin kein Romancier und kein Dichter. Ich bin nicht hier, um Gedichte zu schreiben, sondern sie im Sinne von Antonin Artaud zu leben, oder wie Robert Walser gesagt hat, um verrückt zu sein. Meine Mittel sind Worte, aber keine, die ich erfunden, sondern nur solche, die ich an Menschen, in ihren Werken oder aus dem Alltag gefasst habe, um sie auf jene Dinge zu legen, die ich in der Natur gefunden habe. Meine Arbeit an den Worten ist Verdichtung und Redaktion, ich kann sie nicht wie ein Literat kneten, wie Rilke in Anlehnung an Rodins Schaffen von seiner Dichtung sagt, bis sie mein, bis sie zu meinem Werk geworden sind. Denn ich halte Lebendiges in Händen, das schreit und quiekt, wenn man es
drückt.

Natürlich ist diese Behauptung zum Lachen. Aber nur solange man sich nicht in meinen Händen befindet. Wem es bereits widerfahren, weiss, wie ihm dabei zumute ist. Alles, was ich zum Trost sagen kann, ist, dass ich so sanft wie mir möglich verfahren bin.

Was sich aus diesem Verfahren ergibt, ist der Spiegelfeld. Wer hineinsieht, wird perspektivisch in eine sehr weite Zeit, weit vor unserer Literatur versetzt. Das scheint die Lektüre schwierig zu machen, auch, das will ich gar nicht verschweigen, für mich selbst. Ich glaube aber eine Erklärung gefunden zu haben, die mir beim Lesen hilft, und die vielleicht auch anderen den Zugang erleichtert.

Der Spiegelfeld ist ein Mythos. Dies ist eine sehr alte Erzählform, die uns durch Gilgamesch, Homer, aber auch die fünf Bücher Moses, den Pentateuch vermittelt wird. Ich halte mich zur Erklärung an letztere, denn die sind wohl den meisten einigermassen bekannt.

Es fängt damit an, dass Moses nicht ihr Autor war – zumindest nicht in dem Sinne, wie wir das Phänomen heute verstehen. In genau diesem, heute verlorenen Sinn, bin ich der Autor des Spiegelfeld, aber das ist eigentlich völlig unwichtig.

Als entscheidend aber erweist sich etwas, das jedem sofort auffällt, der etwa auch nur die Genesis, das erste Buch Moses, liest: Da passt hinten und vorn nichts zusammen. Schon die erste Geschichte, der Schöpfungsbericht, wird gleich anschließend wiederholt, aber völlig anders erzählt. Es gibt keine vernünftige zeitliche, räumliche oder auch inhaltlich konsistente Abfolge der geschilderten Ereignisse. Es kommen kurze Berichte, etwa über Riesen, vor, die nirgends ihre Erklärung oder Fortsetzung finden. Ungeheure Zeiträume werden durch Listen, also Aufzählungen von Namen und Zahlen, überbrückt. Gott, um den es sich meistenteils dreht, ändert scheinbar nach Belieben seinen Namen, heisst einmal El Shaddai, Jahwe, El, Elohim und so fort.

Zur grossen Beunruhigung stösst man auch beim Spiegelfeld (mit Ausnahme Gottes, der hat darin nichts verloren) auf ähnliche Phänomene. Die Hauptpersonen, angeblich aus der Familie Spiegelfeld, heissen dauernd anders, Matz, Mats, Mezza (dafür gibt es wenigstens noch eine Erklärung), aber dann haben sie plötzlich völlig andere Namen und offenbar auch nichts mit der Familie Spiegelfeld zu tun. Statt Erzählungen findet man Listen, statt konsistenter Darstellung eines Stoffes Textfragmente, die aus anderen Büchern stammen. Im elften Band liest man einen Roman, der nur aus Adelsnamen besteht oder eine Ballade auf Englisch, die aus plattem everyday english zusammengebaut wurde.

Allerdings stösst man beim Lesen sowohl im Spiegelfeld wie auch im Buch Moses immer wieder auf zusammenhängende, durchaus nachvollziehbare Erzählungen – bei Moses etwa auf die Erzählung von der Sintflut oder über den Gangster und Clan-Gründer Jakob, ja sogar auch auf eine Art Roman, die Erzählung vom Schicksal des Jakobssohns Josef. Im Spiegelfeld kann man zumindest zeitweise eine Art Geschichte von einer oder mehreren lebenden oder toten Personen erkennen, die sie entweder selbst erzählen oder die aus ihren schriftlichen Nachlässen gehoben wurde.

Kurz, das Buch Moses wie der Spiegelfeld erscheinen wie eine
willkürlich zusammengestellt Sammlung unterschiedlichster Texte, vielfach aus offenbar mündlichen, aber auch, wo diese fehlen, schriftlichen Quellen bezogen. Und genau so betrachten gelehrte Literaturwissenschaftler den Pentateuch. Sie haben in diesem Sammelsurium verschiedene Erzählstränge, die sie nach den darin verwendeten Gottesnamen bezeichnen, ausgemacht und nehmen an, dass eine Art Redaktion irgendwann einmal im Lauf der Zeit die unterschiedlichen Texte zusammengestellt und schlecht oder recht miteinander verwoben hat.

Der Lauf der Zeit ist auch für den Spiegelfeld das konstitutive Moment – freilich unter einer ungeheuren Verdichtung. Ausgehend von der Frage nach dem Sinn des Daseins schreibt Martin Heidegger sein Werk Sein und Zeit – und diese Zeit konstituiert den innersten Zusammenhalt der im Spiegelfeld zusammenkommenden Texte. Ich würde nun gerne erklären, wie das zu verstehen ist, bin aber bloss ein Redaktor, der mühsam versucht, aus einem Wust an Überlieferung und Erzählung jene Teile auszusondern und miteinander zu verweben, die in dieser Zeit aufgehoben und damit zusammengehörig sind.

Oberflächlich betrachtet, handelt es sich um Ereignisse, die jeweils in einer nach unserer Zeitmessung beschreibbaren Epoche liegen, etwa um Neun Minuten am 12. August 1099, oder um mündliche Erzählungen oder schriftliche Quellen – aber was dahinter oder besser darunter liegt, bleibt auch mir verborgen. Wäre ich ein besserer Philosoph, könnte ich erklären, was ich im Spiegelfeld nur zusammenstellen kann.

Ein Hinweis, dass es sich um eine räumliche Auffassung von Zeit, was immer das sein soll, handeln muss, ist die Tatsache, dass das elfte und letzte Buch des Spiegelfeld, sozusagen das, auf die alle anderen verweisen, keine Zeit, sondern Räume beschreibt, jedoch keine feststehenden Räume, sondern zeitlich, also historisch bestimmte Räume, nämlich die neun Bundesländer der österreichischen Republik. Das erste und zweite Buch sind die Initiation von Buben ins Mannesalter, das vierte Buch ist eine schamanistische Reise. Das dritte Buch ist Krieg – wer braucht Waffen, wenn er Wörter hat?

Ich gebe zu, das ist verwirrend, aber was soll ich machen. Ich habe das alles ja nicht erfunden, sondern halte mich an das, was mir, von wem auch immer, entgegengebracht wird, Lebendiges, das Tote und Lebende von sich preisgeben und entsprechend behutsam und respektvoll behandelt wissen wollen. Ich bin kein Heiliger und pfusche in manchem fremden Satz, in mancher mündlichen Erzählung herum, aber ich bin auch feig genug, es sehr vorsichtig zu tun – das zu meiner Rechtfertigung.

Zur Erklärung, wie man das Ganze liest: In kleinen Stücken, so dass es einen nicht irritiert, wenn plötzlich ein ganz anderer, scheinbar ganz aus dem Zusammenhang gerissener Abschnitt folgt. Man kann bei langsamem Lesen in diesen Bruch hineinhören, vielleicht tönt einem daraus eine Stimme entgegen, die weder vorher noch nachher zu vernehmen war, das Echo eines anderen Lebens, einer anderen, sehr langen Erzählung, in der sich für einen Moment Zeit und Raum verschlingen und etwas Lebendiges hervorbringen, das einen über die offenbare Brüchigkeit unserer Welt hinwegtröstet.

© Christian Zillner 2007

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