vonWolfgang Koch 27.08.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wir betreten die zweite historischen Periode der Stadt. Zur Erinnerung: Ich versuche hier die metropolitane Vergangenheit Wiens neu zu periodisieren und teile das politische Gestern in vier markante Epochen ein:

a/ das Schwarze Wien der Habsburger

b/ das Weisse Wien der klassischen Moderne, mit einer liberalen und einer christlichsozialen Phase

c/ der Aufbruch des Roten Wien bis zur doppelten Niederlage in der Austrodiktatur und gegen den braunen Faschismus

d/ und schliesslich der Weg des Grünen Wien von seinen Wurzeln im 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Diese Woche sind wir im Weissen Wien angelangt. Warum weiss? Etwa, weil das Licht der Aufklärung dem Schwarzen Wien heimzuleuchten beginnt?

Das auch; vor allem aber weil Gustav Klimt im Symbolgebäude der Secession ein Fries anfertigt, in dessen Zentrum der Weisse Ritter steht. Diese Gestalt ist die überragende Ikone der Wiener Moderne, ihre Botschaft in der Kunst-Katakombe besagt folgendes: »Das Wahre, Gute und Schöne, es wird sich seinen Weg nötigenfalls mit Gewalt bahnen!«

Klimts Weisser Ritter ist sublim gedacht: Er nimmt auf der einen Seite mittelalterliche Mythologie auf, wie sie auch dem anderen Symbol der Epoche, dem Rathausmann auf der Spitze des Rathauses, zugrundeliegt. Andererseits entwirft Klimt hier etwas, das heute auch als Präfiguration des faschistischen Führers gelten darf. Tatsächlich vereint die Moderne ja den überschiessenden Katharisglauben von so unterschiedliche Fatzken wie dem Schrift- und Wortapostel Karl Kraus und dem Siegfried-Onanisten Rudolf Schönerer, einem der Vorbilder Hitlers.

Das Weisse Wien ist eine ziemlich verrückte Epoche. Es vereint so abrupt gegensätzliche Phänomene wie den erlösungssehnsüchtigen Juden- und Frauenhasser Otto Weininger und den Ornament-Zertrümmerer Adolf Loos, dessen Polemik gegen Tatoos vom Verdacht des Rassismus nicht hundertprozentig freizusprechen ist.

Die Wiener Moderne ist also – trotz einer sichtbaren Pragmatik bei Otto Wagner, in den Wiener Werkstätte, bei den Christlichsozialen – durch und durch janusköpfig. Sie ist rationalistisch in ihren Ausdrucksmitteln, aber unsicher, wohin der Weg führen soll.

Man könnte auch sagen, dass das Weiss dieser Moderne zuerst silbern und lilienweiss strahlt, später schlohweiss, kreidebleich und schliesslich leichenblass wird. Die Epoche umfasst nämlich a) eine 1861 einsetzende liberale und b) eine 1895 mit den Christlichsozialen fortfahrende Ära. Sie steht als Ganzes für den Neubeginn einer konstitutionellen Entwicklung und für die Herausbildung des Rechtsstaates.

Politisch sinkt das Schlagwort Selbstverwaltung in diesaen Jahren herab zur Beschwörungsformel derer, die wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Es suggeriert jetzt keine göttliche der kleinsten Gebilde im Staat mehr, sondern bloss noch eine naturrechtliche Garantie.

Habsburg hofft mit dem Lippenbekenntnis zur Selbstverwaltung der widersprüchlichen Interessenslagen der gesellschaftlichen und nationalen Kräfte Herr zu werden – ohne selbst Partei ergreifen zu müssen. Es ist die verlogene Epoche einer erhabenen Neutralität des Kaiserhauses. Der »alte Prohazka«, Kaiser Franz Joseph I., schwebt mit seinem Backenbart scheinbar schwerelos über den Dingen.

Doch im Untergrund brodelt und gärt es. 1861 bringt die Abwehr der Tschechen im Reichstag die Sudetendeutschen in Führung. Das so genannte Februarpatent degradiert die Landesausschüsse zu unter Staatsaufsicht stehenden Vollzugsorganen. Landes- und Staatsverwaltung errichten auf diese Weise – organisatorisch voneinander getrennt – ein System der Doppelgleisigkeit, das bis 1925 wirksam bleiben wird.

Das Februarpatent ist als Schuss vor den Bug der Föderalisten gemeint, die die »Provinzen« (also Ungarn, Böhmen, usw.) in »Reichs-Einzelstaaten« verwandeln wollen. Zugleich haben wir es mit der Idee einer Wiedergeburt des morschen Staates durch die Aufwertung der Gemeinde zu tun, mit dem Gedanken einer Autonomie von unten nach oben, ohne das sich oben etwas zu bewegen braucht.

Entscheidend ist freilich, dass sich der Vielvölkerstaat mit diesem Gesetzeswerk zum konstitutionellen Rechtsstaat entwickelt. Entscheidend ist, dass mit dem Dualismus von Verwaltungsstrukturen ein Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden in die Köpfe einsickert, das sich nicht mehr ungeschehen machen lässt.

© Wolfgang Koch 2007
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